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Damnatio memoriae

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Damnatio memoriae des Kaisers Commodus auf einer Inschrift im Römermuseum Osterburken. Nachdem der Name zunächst ausgemeißelt worden war, wurde er später wieder eingefügt, allerdings nur mit Farbe.

Damnatio memoriae (lateinisch für „Verdammung des Andenkens“) bedeutet die Verfluchung und demonstrative Tilgung des Andenkens an eine Person durch die Nachwelt. Der Begriff bezieht sich vor allem auf Handlungen im Römischen Reich, ist selbst aber eine moderne Neuschöpfung. In der Antike sprach man von der abolitio nominis.

Septimius-Severus-Tondo: Kaiser Septimius Severus und seine Familie; Getas Gesicht ist nachträglich getilgt worden.

Die Namen besonders verachteter und verhasster Personen wurden aus sämtlichen Annalen getilgt, sämtliche erreichbaren Bildnisse und Inschriften wurden zerstört, und in der Zukunft wurde es tunlichst vermieden, den Verurteilten öffentlich zu erwähnen - wobei die Nennung seines Namens nie unter Strafe stand.

Die moderne Forschung schätzt den Sinn der damnatio memoriae vor allem in Rom dabei heute meist anders ein als früher: Die Maßnahmen sollten demnach keineswegs wirklich zu einem Vergessen des Betroffenen führen, vielmehr wurde die Erinnerung an ihn durch die Verfluchung seines Namens bewusst wachgehalten - nicht zufällig kennt man fast jeden, der in Rom der damnatio verfiel, mit Namen. Oft lässt sich sogar zeigen, dass die Tilgung von Namen und Bildern der Betroffenen absichtlich unvollkommen blieb: Es sollte erkennbar bleiben, dass etwas entfernt wurde.

Von der Antike bis zur Neuzeit

Ägypten und Griechenland

In Ägypten waren die Pharaonin Hatschepsut und der Pharao Echnaton sowie die weiteren mit der Amarna-Zeit in Verbindung stehenden Könige Semenchkare, Tutanchamun und Eje von dieser Art der Rache betroffen. Von ihnen sind daher nur wenige Abbildungen und (meist) keine Mumien erhalten und in den ägyptischen Königslisten werden ihre Namen nicht geführt. Obwohl auch Tutanchamuns Name in den Königslisten fehlt, entging sein Grab der Zerstörung, da es zum Zeitpunkt der Ächtung bereits vom Abraum eines anderen Grabes verschüttet gewesen war. Königin Nitokris fällt ebenfalls darunter.

In Griechenland versuchte Herostratos, seinen Namen unsterblich werden zu lassen, indem er eines der Sieben Weltwunder, den Tempel der Artemis in Ephesos anzündete und damit völlig zerstörte. Als Vergeltung wurde ihm vor seiner Hinrichtung gesagt, dass sein Name für alle Zeit nie mehr ausgesprochen werden würde und damit seine Tat sinnlos gewesen sei. In Ephesos, der Heimatstadt des Tempels, war es fortan bei Todesstrafe verboten, den Namen auszusprechen. Nur durch die Erwähnung des Historikers Theopompos blieb sein Name der Nachwelt erhalten.

Rom

Der römische Senat ließ auf diese Weise unter anderem die Kaiser Caligula (laut Cassius Dio nur de facto, da Kaiser Claudius eine regelrechte damnatio seines Neffen verhinderte), Nero, Domitian, Commodus, Caracalla, dessen Mitregenten Geta sowie Elagabal und Maximinus Thrax bestrafen. Überliefert ist der Wortlaut eines (allerdings vielleicht fiktiven) Damnationsbeschlusses in der Vita Commodi der Historia Augusta (20, 4-5), und Spuren der damnatio gegen Geta haben sich auf einem Papyrus (BGU 2056) erhalten. Über Alexander Severus und Gordian III. wurde zwar offiziell keine damnatio verhängt, doch gibt es dennoch Inschriften und Bildnisse, die entsprechend bearbeitet worden sind.

Die Bildnisse der betroffenen Kaiser (Statuen, Büsten, Hermen, Münzen etc.) wurden oft zerstört oder beschädigt, mitunter aber auch eingezogen und in Bildnisse anderer Persönlichkeiten umgearbeitet. Spuren der Umarbeitungen lassen sich noch heute an den Statuen finden. Auffälliges Merkmal für eine solche Umarbeitung ist z. B. ein proportional zu kleiner Kopf für den Körper, mit auffallend großen oder abstehenden Ohren. An den Bildnissen des Kaisers Nero sind im Nacken der umgearbeiteten Porträts noch Spuren der Locken zu sehen, da sich Nero selbst als großer Künstler gab und sich dementsprechend mit langem Haar in der Tracht der Künstler abbilden ließ. In Inschriften wurde der Name des betreffenden Kaisers getilgt.

Auf diesem Relief, das Kaiser Marcus Aurelius bei seinem Triumphzug im Jahr 176 zeigt, wurde Commodus, der ursprünglich rechts neben seinem Vater abgebildet war, vollständig entfernt.

Ob ein toter princeps der damnatio verfiel oder im Gegenteil unter die Götter erhoben wurde (Apotheose bzw. Divinisierung), war faktisch die Entscheidung des Nachfolgers, nicht des Senats. So verhinderte nicht nur Claudius die damnatio des Caligula, sondern offenbar auch Antoninus Pius die des unbeliebten Hadrian. Einige der Kaiser, deren Andenken die damnatio auferlegt worden war, wurden zudem durch eine so genannte restitutio memoriae wieder rehabilitiert, so z. B. Nero unter Otho und Vitellius sowie insbesondere Commodus unter Septimius Severus, der eine vollständige restitutio einschließlich Apotheose durchsetzte, da er eine fiktive Verwandtschaftsbeziehung mit Commodus beanspruchte. Das Verfahren der damnatio wurde in der Kaiserzeit auch gegen politisch missliebige Senatoren angewandt. Es dürfte dabei, wie gesagt, nicht um die Tilgung der Erinnerung gegangen sein – denn die Namen damnierter Kaiser durften ja weiterhin genannt werden –, sondern um eine Verfluchung des Andenkens. Dabei scheint die damnatio außerhalb Roms nie ausdrücklich angeordnet worden zu sein: Dem erhaltenen Damnierungsbeschluss für Gnaeus Calpurnius Piso ist zu entnehmen, dass man den Provinzen lediglich mitteilte, wie man in der Hauptstadt verfahren sei; die Entscheidung, dies nachzuahmen, lag formal bei den lokalen Autoritäten.

In der Spätantike wurde die damnatio seltener verfügt; ein Beispiel ist der Usurpator Magnus Maximus, der 388 damniert wurde. Noch Theoderich der Große wurde mit einer damnatio memoriae belegt: 552 zerstörte der Feldherr Narses im Auftrag des Kaisers Justinian I. das Ostgotenreich und integrierte Italien in das Oströmische Reich. Alle Erinnerungen an die Gotenherrschaft sollten demonstrativ getilgt werden. So zeigten z. B. die Mosaiken in San Apollinare Nuovo in Ravenna zweifellos ursprünglich den 526 verstorbenen Theoderich und sein Gefolge in Theoderichs Palast; hier kann man anhand einiger Überreste sicher sagen, dass die vor dem Gebäude abgebildeten Figuren entfernt und durch Bilder von Vorhängen ersetzt wurden (die Hände sind teils noch sichtbar - aller Wahrscheinlichkeit nach absichtlich). Gleichzeitig wurde aus der arianischen eine katholische Kirche. Dass das Verfahren noch um 550 prinzipiell bekannt war, belegt Prokopios von Caesarea (Historia Arcana 8,13-20).

Moderne

Verfahren nachträglicher Ächtung finden sich bis in die Gegenwart. Sie werden mitunter ebenfalls als damnatio memoriae bezeichnet, wobei es im Zeitalter der modernen Propaganda aber oft tatsächlich darum ging, unliebsame Personen und Ereignisse aus der Erinnerung zu tilgen (wobei der Erfolg nicht überprüft werden kann). Im großen Rahmen wurden insbesondere unter Stalin Fotografien und Gemälde nachträglich verändert, um Menschen, mit denen der Diktator zwischenzeitlich nicht mehr abgebildet werden sollte, aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen. Vielfach handelte es sich dabei um Personen, die den Stalinschen Säuberungen zum Opfer fielen oder wie Leo Trotzki in deutliche Opposition zu Stalin geraten waren.

Doch auch Stalin selbst war im Rahmen der Entstalinisierung von einer damnatio memoriae betroffen: Beispielhaft ist die Geschichte des Gemäldes des Malers Wladimir Serow aus dem Jahre 1947, welches mit dem Stalinpreis ausgezeichnet wurde: Das Werk Lenin proklamiert die Sowjetmacht zeigte Stalin im Gefolge Lenins. Zehn Jahre später veränderte Serow das Werk nach den neuen offiziellen Richtlinien, indem er Stalin durch eine andere Person ersetzte. Im Rahmen der Entstalinisierung kam es zudem auch zur Um- bzw. Rückbenennung von topografischen Objekten, so auch bei nach Stalin benannten Städten.

Im Dezember 2013 ließ Kim Jong-un in Nordkorea seinen entmachteten Onkel Jang Song-thaek aus offiziellen Medienberichten entfernen.

Literarische Umsetzung

Literarische Umsetzung findet die Thematik etwa in George Orwells Roman 1984, in dem sogenannte Unpersonen nach ihrer Ermordung rückwirkend aus Zeitungen und anderen Medien entfernt werden.

Literatur

  • Harriet I. Flower: The Art of Forgetting. Disgrace and oblivion in Roman political culture. University of North Carolina Press, Chapel Hill NC 2006, ISBN 0-8078-3063-1.
  • Hans W. Hütter, Petra Rösgen (Hrsg.): Bilder, die lügen. Begleitbuch zur Ausstellung der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. = X für U. 3. Auflage. Bouvier, Bonn 2003, ISBN 3-416-02902-X.
  • David King: Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulation in der Sowjetunion. Hamburger Edition, Hamburg 1997, ISBN 3-930908-33-6.
  • Florian Krüpe: Die Damnatio memoriae. Über die Vernichtung von Erinnerung. Eine Fallstudie zu Publius Septimius Geta (198–211 n. Chr.). Computus, Gutenberg 2011, ISBN 978-3-940598-01-1 (bietet über die Fallstudie hinaus eine allgemeine Geschichte der damnatio memoriae)
  • Herwig Maehler (Hrsg.): Urkunden römischer Zeit (= Ägyptische Urkunden aus den Staatlichen Museen zu Berlin. Griechische Urkunden. (BGU) Bd. 11, Hälfte 1, ZDB-ID 802642-7). Band 1. Hessling, Berlin 1968, (enthält die Papyri 2012–2131).
  • Friedrich Vittinghoff: Der Staatsfeind in der römischen Kaiserzeit. Untersuchungen zur „damnatio memoriae“ (= Neue deutsche Forschungen. Bd. 2 = Bd. 84 [Gesamtreihe]). Junker & Dünnhaupt, Berlin 1936, (auch: Bonn, Phil. Diss.: Pilger-Druckerei, Speyer 1936).

Weblinks

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