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Blau-Weiß Liederbuch

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Das im Jahr 1914 im Jüdischen Verlag erschienene Blau-Weiß Liederbuch ist ein Liederbuch für die jüdischen Blau-Weiß Wanderbünde. Das Liederbuch vertrat (verstärkt noch in der 2. Auflage) eine dezidiert jüdische Perspektive und wurde aufgrund dieser Konzeption zum Modellfall für die folgenden Liederbücher der jüdischen Jugendbewegung. [1]

Entstehungshintergrund

Die 1912 gegründeten Blau-Weiß Wanderbünde waren eine Art von jüdischer Variante der Wandervögel, die darüber hinaus von der zionistischen Idee geprägt waren. Die Blau-Weiß Wanderbünde waren der erste zionistische Jugendbund in Deutschland und hatten zeitweise bis zu 3.000 Mitglieder. [2]

In Mitteleuropa wirkte der Blau-Weiß Wanderbund eher als städtische Jugendbewegung, und befasste sich mit der Präsenz der jüdischen Jugend in der nichtjüdischen Umgebung der deutschen Gesellschaft am Voraband des 1. Weltkrieges. Dieses Engagement spiegelt die 1. Auflage des Blau-Weiß Liederbuches wieder. [3] In einem 1913 veröffentlichten Leitfaden für die Gründung eines jüdischen Wanderbundes wird dann bereits die Schaffung eines bundeseigenen Liederbuches avisiert. Darin wurden dem Lied die Funktionen zuerkannt, die Ideologie der Jugendorganisation zu verbreiten und den Gruppenzusammenhalt zu stärken. [4] In diesem Leitfaden heißt es u.a.:

"Während der Wanderung soll oft gesungen werden. Gesang erleichtert das Wandern und belebt die Wanderer. Es muß in der Art des "Wandervogels" mit Mandolinen und Zupfgeigen gepflegt werden. Ein Liederbuch wird demnächst vom Jüdischen Wanderbund "Blau-Weiß" in Berlin herausgegeben werden. (...) Der Pflege des Gesanges und der Einübung von Liedern dienen besondere Liederabende. (...) Das deutsche Volkslied können wir nicht entbehren. Streng verboten sind Gassenhauer oder moderne Operettenmelodie." [5]

Inhalt (1. Auflage)

Das Motiv der Umschlagillustration mit dem eine Gitarre tragenden Wanderer wurde vom 1908 erschienenen Liederbuch Der Zupfgeigenhansl übernommen. Allerdings steht es im Gegensatz zum Zupfgeigenhansl auf dem Innentitelblatt und auf der Umschlagillustration des Blau-Weiß Liederbuches ist eine Davidstern abgebildet. [6] Die Nähe zum Zupfgeigenhansl wird auch an der Tatsache deutlich, dass sich über 40 der Lieder aus dem Blau-Weiß Liederbuch auch im Zupfgeigenhansl finden. [7] Mehr als die Hälfte der Lieder im Blau-Weiß Liederbuch entstammte dem Wandervogel-Liederbuch und dem Zupfgeigenhansl. [8] Im Vorwort zur 1. Auflage des Liederbuches heißt es u.a.:

"Unser Liederbuch liegt fertig vor - nach Geist und Inhalt ganz verschieden von jeder anderen jüdischen Liedersammlung. Gewiß, wir nehmen nicht den Ruhm der Originalität für uns in Anspruch. Ohne Wandervogel und Zupfgeigenhansl wäre diese Buch nicht entstanden. Wir haben nur den reichen Stoff gesichtet, haben verworfen, was wertlos oder jüdischem Geiste fremd, nahmen auf, was über Zeit und Volk hinweg zum Menschen spricht. Aber auch unseres Stammes haben wir nicht vergessen. Freilich von jungjüdischer Dichtung wird man manches bei uns vermissen. Auch hier bemühen wir uns, nur wirklich Schönem, tief Empfundenem Eingang zu gewähren; für den üblichen Kommersgesang haben wir wenig übrig. Desto mehr Bedeutung schenken wir dem jüdischen Volkslied, aus dessen weichen, traurigen Weisen alles Leid und alle Sehnsucht unseres Volkes spricht ..." [9]

Die 1. Auflage des Liederbuches umfasst auf 137 Buchseiten 110 Lieder. Diese sind in vier Kategorien geeordnet: Freiheitslieder - Jüdische Volkslieder - Allgemeine Lieder - Rastlieder.

Die ersten beiden, 41 Seiten umfassenden Kategorien beeinhalten jüdische Lieder, wie Dort wo die Zeder, Boi na jadalti, Chazkele, Chazkele schpiel, Oif n` Pripetschik, Zehn Brüder seinen mir oder Haint is Purim Brüder. Die Texte sind in Deutsch, Hebräisch und überwiegend Jiddisch gehalten. Die jüdischen Lieder sind dabei überwiegend nicht die bekanntesten osteuropäischen Lieder bzw. bereits vor etwas längerer Zeit veröffentlichte Lieder, sondern solche, die erst kurz vorher als Aufzeichnungen in zionistischen Publikationen publiziert wurden. Es handelt sich häufig um Lieder aus der 1912 erschienenen Lieder-Sammelbuch für die jüdische Schule und Familie des jüdischen Journalisten und Verlegers Leo Winz oder um Bearbeitungen bereits bestehender Lieder durch den jüdischen Musikwissenschaftler Arno Nadel. [10]

Die restlichen beiden Kategorien bieten auf 83 Seiten dagegen Lieder mit rein deutschen Texten wie Bald gras ich am Neckar, Der Mai ist gekommen, Ade, zur guten Nacht, Droben im Oberland, Es war ein König in Thule, Lustig ist das Zigeunerleben oder Wenn ich ein Vöglein wär, die auch in nichtjüdischen Liederbüchern der Zeit häufig auftauchen.

Inhalt (2. Auflage)

Obwohl die 1. Auflage des Liederbuches ein großer Erfolg und bereits nach wenigen Wochen vergriffen war, vergingen vier Jahre bis zur Veröffentlichung der zweiten, erweiterten Auflage. Dies mag mit dem 1. Weltkrieg, aber auch einer Reorientierung der jüdischen Jugendbewegung Deutschlands zu tun haben. Zur Zeit des Krieges kam es zu einer Blütezeit des jüdischen Selbsbewusstseins und dessen Ausprägung in der deutschen Öffentlichkeit. [11] Neue literarische und kulturelle Zeitschriften, wie z.B. die von Martin Buber und Salman Schocken herausgegebene Zeitschift Der Jude (1916) [12], die Jüdische Korrespondenz (1915) [13] oder die Neuen Jüdische Monatshefte (1916), [14] und vermittelten neue Zugänge zu Judentum und Zionismus.

So setzt man in der 2. Auflage des Blau-Weiß Liederbuches bewusst stärker auf jüdische Inhalte. Das dem Zupfgeigenhansl entlehnte Bild der Innenillustration ist verschwunden und durch eine ornamentale Illustration ersetzt. Auch wurde auf die Gliederung der 1. Auflage verzichtet. Nun folgen deutsche, jiddische und hebräische Lieder ungeordnet aufeinander. Es sind auch etliche Lieder für jüdische Feiertage sowie Lieder mit hebräischen Texten und entsprechenden volksfrommen Funktionen aufgenommen worden. [15] Auch mit der Angabe des Datums des Vorwortes setzt man ein Zeichen: Es heißt nun nicht wie in der 1. Auflage Januar 1914, sondern Pessach 5678 (was dem April 1918 entspricht). Die neue, verstärkt jüdische Ausrichtung des Liederbuches wird im Vorwort mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht:

"Der wesentliche Unterschied gegenüber der ersten Auflage besteht in der starken Vermehrung des Schatzes an hebräischen und jiddischen Liedern. Es ist fast vier Jahre her, seit das erste Liederbuch erschien und in dieser Zeit ist unser Verhältnis zu den Liedern unseres Volkes ein anderes, engeres geworden, als es damals war. Denn was in der ersten Auflage nur ein Versuch schüchterner Romantik, ein tastendes Bemühen um die Wiederbelebung des jüdischen Volksliedes für die westliche Judenheit war, da ist heut ein Ausdruck unserer eigenen Wesensart geworden. Es ist nicht übertrieben, wenn wir behaupten, daß sich das jidische und das hebräische Lied bei uns mehr als Verständnis, daß sie sich in unseem Herzen einen Platz errungen haben. Von einer Scheidung des Materials in einen deutschen und einen jüdischen Teil sahen wir daher ab; wir brachten die Lieder wie wir sie singen und meinen so am besten unserer Art zu entsprechen." [16]

Rezeption

Die Veröffentlichung des Blau-Weiß Liederbuches zog sowohl negative wie auch positive Reaktionen nach sich, welche sich entsprechend der Aufspaltung der jüdischen Gemeinden Deutschlands zwischen weltlich orientierten und frommen Juden, westjüdischen und ostjüdischen Vertretern oder zwischen reform-assimilierten und orthodox-traditionellen Gemeinden vollzogen. Im Prinzip handelte es sich um eine Aufspaltung zwischen "deutsch" und "jüdisch". [17]

Zu den heftigsten Kritikern des Liederbuches gehörte der jüdische Essayist und Publizist Fritz Mordechai Kaufmann, mit seiner 1918 in der konservativ-religiös ausgerichteten Zeitschrift Jerubbaal erschienenen Rezension Das Blauweißliederbuch. [18]

Aus einer anderen Richtung kommend kritisierte der jüdische Literatur- und Kulturhistoriker Ludwig Geiger das Liederbuch. Er bemängelte, dass die Lieder "in aufdringlicher Weise zionistisch" und daher "unvereinbar mit der Liebe zum deutschen Vaterland" seien. Deswegen sah er das Liederbuch als "ungeeignet für deutsche Knaben und Jünglinge jüdischen Glaubens". [19]

Weblinks

Literatur

  • Philip V. Bohlman: Jüdische Volksmusik - eine Mitteleuropäische Geistesgeschichte, Böhlau Verlag, Wien, 2005, Seite 197 bis 207
  • Martina Willemsen: Fritz Mordechai Kaufmann und »Die Freistatt« - Zum 'alljüdischen' Literaturkonzept einer deutsch-jüdischen Monatsschrift, Walter de Gruyter, 2012
  • Ivonne Meybohm: Erziehung zum Zionismus - Der Jüdische Wanderbund Blau-Weiss als Versuch einer praktischen Umsetzung des Programms der Jüdischen Renaissance, Peter Lang, 2009

Einzelnachweise

  1. Annegret Völpel und Zohar Shavit: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur - Ein literaturgeschichtlicher Grundriß, Springer-Verlag, 2017, S. 226
  2. Ilse Korotin: Die Frauen des jüdischen Prager Kreises - Kreative Netzwerke und Transaktionsfelder aus historisch-biografischer Perspektive, Wien, 2008, S. 19
  3. Philip V. Bohlman: Jüdische Volksmusik - eine Mitteleuropäische Geistesgeschichte, Böhlau Verlag, Wien, 2005, S. 197
  4. Annegret Völpel und Zohar Shavit: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur - Ein literaturgeschichtlicher Grundriß, Springer-Verlag, 2017, S. 226
  5. Leitfaden für die Gründung eines Jüdischen Wanderbundes "Blau-Weiß", herausgegeben vom Jüdischen Wanderbund "Blau-Weiß", Berlin, November 1913, S. 11
  6. Annegret Völpel und Zohar Shavit: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur - Ein literaturgeschichtlicher Grundriß, Springer-Verlag, 2017, S. 226
  7. Daniela Neuser: Identitätssuche und Erinnerungsikonographie - Deutsch-jüdische Jugendbewegung 1912-1933; in Yotam Hotam (Hrsg.): Deutsch-Jüdische Jugendliche im "Zeitalter der Jugend", Vandenhoeck & Ruprecht, 2009, S. 115
  8. Ulrike Pilarczyk: Gemeinschaft in Bildern - Jüdische Jugendbewegung und zionistische Erziehungspraxis in Deutschland und Palästina/Israel, Wallstein Verlag, Göttingen, 2009, S. 50
  9. Blau-Weiß-Liederbuch, Jüdischer Verlag, Berlin, 1. Aufl., 1914, Vorwort von Kurt Glaser, S. 3
  10. Philip V. Bohlman: Jüdische Volksmusik - eine Mitteleuropäische Geistesgeschichte, Böhlau Verlag, Wien, 2005, S. 198
  11. Philip V. Bohlman: Jüdische Volksmusik - eine Mitteleuropäische Geistesgeschichte, Böhlau Verlag, Wien, 2005, S. 200
  12. Eleonore Lappin: Der Jude, 1916-1928 - Jüdische Moderne zwischen Universalismus und Partikularismus, Mohr Siebeck, 2000, S. 1
  13. Gerald Lamprecht: Jüdische Erfahrungen und Erwartungen im Ersten Weltkrieg; in Hans Otto Horch, Vivian Liska, Malgorzata Maksymiak und Stefan Vogt (Hrsg.): Wegweiser und Grenzgänger - Studien zur deutsch-jüdischen Kultur- und Literaturgeschichte, Vandenhoeck & Ruprecht, 2018, S. 277
  14. Anna Ullrich: Von "jüdischem Optimismus" und "unausbleiblicher Enttäuschung - Erwartungsmanagement deutsch-jüdischer Vereine und gesellschaftlicher Antisemitismus 1914–1938, Walter de Gruyter, 2018, S. 84 und 85
  15. Philip V. Bohlman: Jüdische Volksmusik - eine Mitteleuropäische Geistesgeschichte, Böhlau Verlag, Wien, 2005, S. 200
  16. Blau-Weiß-Liederbuch, 2. Aufl., 1918, hrsg. von der Bundesleitung des Blau-Weiß, Bund für Jüdisches Jugendwandern in Deutschland. Musikalisch bearb. von Leo Kopf
  17. Philip V. Bohlman: Jüdische Volksmusik - eine Mitteleuropäische Geistesgeschichte, Böhlau Verlag, Wien, 2005, S. 203
  18. Fritz Mordechai Kaufmann: Das Blauweißliederbuch; in Jerubaal - Eine Zeitschrift der jüdischen Jugend, 1. Jahrgang, Heft 5, August 1918, Seite 197 bis 199
  19. Martina Willemsen: Fritz Mordechai Kaufmann und »Die Freistatt« - Zum 'alljüdischen' Literaturkonzept einer deutsch-jüdischen Monatsschrift, Walter de Gruyter, 2012, S. 272
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