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Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei

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Auswirkungen des Bevölkerungsaustausches auf die Bevölkerung Griechenlands
Deklaration des Eigentums bei der Umsiedlung von Griechen aus Yena (Kaynarca) nach Thessaloniki (16. Dezember 1927).

Der Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei (griechisch Ἡ Ἀνταλλαγή, türkisch Mübadele) fand auf Vorschlag der griechischen Regierung statt, leitete die bereits vorangegangene Vertreibung in geregelte Bahnen und betraf die griechisch-orthodoxen Bürger der Türkei und muslimische Einwohner Griechenlands.

Der Bevölkerungsaustausch erfolgte nach religiösen Kriterien und führte zu einem Ende der seit der Antike existierenden griechischen Gemeinschaft in Anatolien sowie zu einem Ende von seit fast 500 Jahren bestehenden muslimischen Gemeinden in Griechenland. Die Zwangsumsiedlung fand nach dem Ersten Weltkrieg und dem folgenden Griechisch-Türkischen Krieg statt.

Die „Konvention über den Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei“ wurde in Lausanne am 30. Januar 1923 von den Regierungen Griechenlands und der Türkei unterzeichnet. Sie betraf 1,6 Millionen Personen (etwa 1,2 Millionen anatolische Griechen und 400.000 Muslime in Griechenland).[1] Die Griechen in Istanbul und die Muslime in Westthrazien wurden von der Regelung ausgenommen.

Nach der Niederlage der Griechen in Anatolien vor dem Januar 1923 war bereits die große Mehrheit der kleinasiatischen Griechen und Pontosgriechen während des Krieges vertrieben; trotzdem wurden sie in die Konvention aufgenommen. Nach Berechnungen von Nikolaos Andriotis kamen über 900.000 orthodoxe Flüchtlinge in Griechenland an (darunter 50.000 Armenier).[2]

Vertreibungen

Da die türkische Regierung unter Mustafa Kemal Pascha nach dem Türkischen Befreiungskrieg den Vertrag von Sèvres ablehnte, den die Regierung des Osmanischen Reiches unterzeichnet hatte, wurde im Schweizer Ort Lausanne auf Initiative von Fridtjof Nansen eine Friedenskonferenz organisiert. Während der Lausanner Friedenskonferenz wurde am 30. Januar 1923 die „Konvention betreffend des Austausches der griechischen und türkischen Einwohner“ von den Regierungen Griechenlands und der Türkei auf Betreiben von Eleftherios Venizelos und Mustafa Kemal Atatürk unterzeichnet.[3][4][5] Die Konvention galt rückwirkend für alle Migrationsbewegungen seit dem Ausbruch des Ersten Balkankrieges am 18. Oktober 1912 (Artikel 3).[6]

Als am 1. Mai 1923 der Austausch in Kraft trat, war bereits der größte Teil der orthodox-griechischen Vorkriegsbevölkerung der ägäischen Türkei vertrieben. Faktisch betraf der Austausch nur noch die verbliebenen Griechen Zentralanatoliens (sowohl griechisch- als auch türkischsprachig), des Pontos und von Kars - insgesamt 189.916 Menschen.[7] Umgekehrt wurden 354.647 Muslime von Griechenland in die Türkei umgesiedelt.[8]

Von den 1,3 Mio. Griechen, die in den Austausch mit einbezogen wurden, wurden knapp 150.000 auf ordentlichem Weg wieder angesiedelt. Die Mehrheit wurde mit der sich zurückziehenden griechischen Armee vertrieben, während andere nach der Einnahme von Izmir von den Küsten aus flohen.[9][10]

In Griechenland wurde es als Teil der Kleinasiatische Katastrophe (Μικρασιατική καταστροφή) genannten Ereignisse betrachtet - bedeutende Flüchtlingsbewegungen, Umsiedlungen und Vertreibungen fanden bereits während der Balkankriege, des Ersten Weltkrieges (Völkermord an den Armeniern) und des Türkischen Befreiungskrieges statt. Diese umfassten die Flucht und Umsiedlung von 500.000 Moslems aus Griechenland und die Vertreibung über 1,5 Millionen Griechen aus Kleinasien, Trabzon/Pontus, Kars und Ostthrakien nach Griechenland.

Die Konvention betraf die Einwohner wie folgt: fast alle griechischen orthodoxen Christen (griechisch- oder türkischsprachig) aus Kleinasien, einschließlich der kappadokischen Griechen, aus der Region Ionien (Izmir und Aivali), der Region Pontus (Trabzon, Samsun), der ehemaligen russischen Kaukasusprovinz Kars (Oblast Kars), Bursa, der Region Bithynien (v. a. Nikomedien - Izmit), Chalcedon (Kadıköy) und Ostthrakien wurden entweder vertrieben, oder ihnen wurde die türkische Staatsbürgerschaft formell entzogen. Etwa 500.000 Menschen flohen aus Griechenland, vor allem Griechische Muslime, aber auch Türken, Roma, Pomaken, Çamen, Meglenorumänen und Dönme.

Die Kriterien für den Bevölkerungsaustausch fußten auf der Religion, nicht der Ethnizität oder der Muttersprache. Dies ist der Grund, warum das Turkvolk der Karamanlı (Καραμανλήδες) oder Karamanliden, welche türkischsprachige (mit griechischer Schrift) griechisch-orthodoxe Christen waren, ebenfalls aus ihrer Heimatregion um Karaman und Kappadokien in Zentralanatolien nach Griechenland deportiert wurden. Andererseits wurden griechische Muslime aus Kreta, die nicht in den Austausch eingeschlossen wurden, an der Ägäisküste der Türkei wieder angesiedelt - in Gegenden, die vorher von christlichen Griechen bewohnt waren.

Nachwirken

Die Muslime in Westthrakien wurden von diesem Transfer ausgenommen, ebenso die Griechen Konstantinopels (Istanbul) und der Ägäis-Inseln Imbros (Gökçeada) und Tenedos (Bozcaada).

Wegen der von der Türkei getroffenen Strafmaßnahmen wie des Parlamentsbeschlusses von 1932, der griechische Bürger in der Türkei von 30 Handels- und professionellen Berufen ausschloss,[11] begannen auch dort die griechischen Bevölkerungsanteile zu schrumpfen. Der größte Teil des Eigentums der vertriebenen Griechen wurde von der türkischen Regierung konfisziert, indem es als “aufgegeben” deklariert[12] oder die Eigentümer per Gerichtsbeschluss als “Flüchtlinge” bezeichnet wurden.[13][14][15]

Die Kapitaleinkünfte der 1942 eingeführten Varlık Vergisi gegen Nichtmuslime in der Türkei dienten auch dazu, das ökonomische Potenzial der ethnisch griechischen Geschäftspersonen in der Türkei zu reduzieren. Weiterhin beschleunigten Ereignisse wie das Pogrom von Istanbul, welches hauptsächlich gegen die griechische Gemeinde gerichtet war, die Auswanderung der Griechen. Während nach dem “Bevölkerungsaustausch” noch 200.000 Griechen in der Türkei lebten, sind es 2006 nur noch 2.500.[16] Im Gegensatz dazu stieg die muslimische Gemeinde Griechenlands seit der Unterzeichnung des Lausanner Vertrags auf über 100.000 Personen an.[17]

Die Bevölkerungsstruktur Kretas veränderte sich ebenfalls stark. Griechisch- und türkischsprachige muslimische Einwohner Kretas zogen weg, vor allem an die anatolische Küste, aber auch nach Syrien, in den Libanon und nach Ägypten. Einige dieser Personen identifizieren sich bis heute als ethnische Griechen. Andererseits kamen Griechen aus Kleinasien, vor allem Izmir, nach Kreta, wobei sie ihre typischen Dialekte, Bräuche und Küche brachten.

Laut Bruce Clark sahen sowohl die Regierungen Griechenlands als auch der Türkei die schlussendliche ethnische Homogenisierung ihrer jeweiligen Staaten als positiv und stabilisierend, da es ihnen half, das Bild eines Nationalstaats zu errichten.[18]

Weblinks

 Commons: Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Günter Seufert: Die Kurden und andere Minderheiten, in: Udo Steinbach (Hrsg.): Länderbericht Türkei, Bonn 2012 S. 255
  2. Nikolaos Andriotis (2008). Chapter The refugees question in Greece (1821-1930), in "Θέματα Νεοελληνικής Ιστορίας", ΟΕΔΒ ("Topics from Modern Greek History"). 8th edition
  3. Gilbar, Gad G.: Population Dilemmas in the Middle East: Essays in Political Demography and Economy. London: F. Cass 1997, ISBN 0-7146-4706-3
  4. Kantowicz, Edward R.: The rage of nations, S. 190–192, Grand Rapids, Mich: Eerdmans 1999, ISBN 0-8028-4455-3
  5. Crossing the Aegean: The Consequences of the 1923 Greek-Turkish Population Exchange (Studies in Forced Migration). Providence: Berghahn Books 2003, ISBN 1-57181-562-7
  6. Text of the population exchange convention
  7. Matthew J. Gibney, Randall Hansen.: Immigration and Asylum: from 1900 to the Present, Volume 3. ABC-CLIO 2005, ISBN 1-57607-796-9 „The total number of Christians who fled to Greece was probably in the region of I.2 million with the main wave occurring in 1922 before the signing of the convention. According to the official records of the Mixed Commission set up to monitor the movements, the "Greeks' who were transferred after 1923 numbered 189,916 and the number of Muslims expelled to Turkey was 355,635 [Ladas I932, 438-439]; but using the same source Eddy 1931, 201 states that the post-1923 exchange involved 192,356 Greeks from Turkey and 354,647 Muslims from Greece.“
  8. Renée Hirschon.: Crossing the Aegean: an Appraisal of the 1923 Compulsory Population Exchange between Greece and Turkey. Berghahn Books 2003, ISBN 1-57181-562-7
  9. Spyros A. Sofos: Tormented by History: Nationalism in Greece and Turkey, S. 116–117, C Hurst & Co Publishers Ltd 2008, ISBN 1-85065-899-4
  10. Hershlag, Zvi Yehuda: Introduction to the Modern Economic History of the Middle East. Brill Academic Pub 1997, ISBN 90-04-06061-8
  11. Speros Vryonis: The Mechanism of Catastrophe: The Turkish Pogrom of September 6–7, 1955, and the Destruction of the Greek Community of Istanbul. New York: Greekworks.com, Inc. 2005, ISBN 0-974-76603-8
  12. Angelos Tsouloufis: The exchange of Greek and Turkish populations and the financial estimation of abandoned properties on either side. In: Enosi Smyrnaion. 1, Nr. 100, 1989.
  13. Anastasia Lekka: Legislative Provisions of the Ottoman/Turkish Governments Regarding Minorities and Their Properties. In: Mediterranean Quarterly. 18, Nr. 1, Winter 2007, S. 135-154.
  14. Metin Herer, “Turkey: The Political System Yesterday, Today, and Tomorrow,” in Contemporary Turkey: Society, Economy, External Policy, ed. Thanos Veremis and Thanos Dokos (Athens: Papazisi/ELIAMEP, 2002), 17 – 9.
  15. Onur Yildirim: Diplomacy and Displacement: Reconsidering the Turco-Greek Exchange of Populations, 1922–1934. Taylor & Francis 2013, ISBN 1136600094
  16. According to the Human Rights Watch the Greek population in Turkey is estimated at 2,500 in 2006. "From 'Denying Human Rights and Ethnic Identity' series of Human Rights Watch" Human Rights Watch, 2 July 2006. Archived copy.
  17. The Turks of Western Trace. Human Rights Watch. Abgerufen am 2. Januar 2009.
  18. Bruce Clark: Twice A Stranger: How Mass Expulsion Forged Modern Greece and Turkey. Granta 2006, ISBN 1-86207-752-5
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