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Bernd Hontschik

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Bernd Hontschik (2009)

Bernd Hontschik (* 11. Dezember 1952 in Graz) ist ein österreichischer Chirurg, Autor und seit 2007 Kolumnist der Frankfurter Rundschau.

Leben

Hontschik besuchte in Frankfurt am Main die Schule, Abitur machte er 1971 auf dem dortigen Goethe-Gymnasium. Er studierte Medizin an der Universität Frankfurt am Main und absolvierte ab 1978 seine Facharztausbildung zum Chirurgen. Er wurde 1987 mit einer Schrift über unnötige Blinddarmoperationen in Frankfurt am Main promoviert. Bis 1991 praktizierte er, zuletzt als Oberarzt, an den Städtischen Kliniken Frankfurt-Höchst und danach bis 2015 in seiner chirurgischen Praxis an der Konstablerwache.

Mitgliedschaften und Funktionen

  • Hontschik war von 1982 bis 1988 Vorstandsmitglied von medico international.
  • Er war von 1998 bis 2013 Vorstandsmitglied der Thure von Uexküll-Akademie für Integrierte Medizin.

Preise und Auszeichnungen

1989 erhielt Hontschik den Hans-Roemer-Preis des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM). Das Kuratorium der Hans-Roemer-Stiftung schreibt jährlich einen Preis für die beste Arbeit aus, welche die Integration psychosomatischer Fragestellungen in die Allgemeinmedizin oder in die klinischen Fächer der Medizin fördert.Bevorzugt werden Arbeiten, in denen der Bezug psychosozialer Faktoren zu somatischen Abläufen empirisch fundiert wird oder solche Arbeiten, die Modelle zur Integration psychosomatischer Versorgung in Klinik, Praxis und Ausbildung erprobt haben.

Positionen

In seinen Kolumnen kritisiert Hontschik häufig Missstände und Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen, in Deutschland und in weltweit wirksamen Institutionen.

Fallpauschalen

Das Fallpauschalensystem, das Hontschik der Agenda 2010 zuordnet, vergüte "Taten und Eingriffe", lasse aber etwa Geburten, die zu lange dauern, zu einem Minusgeschäft werden. Eine Hebamme habe berichtet, es sei kein Einzelfall, dass sie oft bis zu fünf Gebärende gleichzeitig zu betreuen habe. Hontschik beklagt die "Deformation der Medizin", die unter anderem im Wechsel von Tagessätzen zu Fallpauschalen deutlich werde.[1] Das zeitorientierte System sei zwischen 1999 und 2002 nach dem Vorbild Australiens durch ein diagnoseorientiertes abgelöst worden. Fatal sei daran die ökonomische Verknüpfung zwischen der medizinischen Tätigkeit und der Diagnose mit der Höhe der Bezahlung.

„Indem nun allein die Diagnose die Einnahmen des Krankenhauses generierte, wurde sie zum zentralen Zielobjekt der Ökonomen. Tausende von Kodierfachkräften und Medizincontrollern der Krankenhäuser kämpften fortan täglich mit Tausenden von Kodierfachkräften und Medizincontrollern der Krankenkassen um jeden Euro.“[2]

Zwei-Klassen-System

Hontschik bezieht sich auf eine Bertelsmann-Studie zur Einbeziehung aller Bürger in die gesetzliche Krankenversicherung. Diese zeige, wie auch in Deutschland Krankenversicherung wie in sämtlichen Nachbarländern solidarisch finanziert werden könne. Deutschland sei "das einzige Land weit und breit, das einem Zehntel seiner Bevölkerung die Möglichkeit einräumt, sich mit der privaten Krankenversicherung aus dem Solidarsystem zu verabschieden." Auch die ärztlichen Einkommen wären in keinerlei Gefahr, denn Privatversicherte könnten ja Zusatzversicherungen abschließen.[3]

„Pharmalobby“

In der so genannten Pharmalobby sieht Hontschik die Gefahr erhöhter Preise, der Überbelastung der Krankenkassen und der Ungerechtigkeit in der Behandlung in Notsituationen (Triage). Die Deutschen Krankenkassen hätten in 2018 226 Milliarden Euro ausgegeben, davon 40 Milliarden Euro für Arzneimittel. Hontschik nennt als Extrembeispiel Zolgensma, von dem eine Dosis zwei Millionen Euro koste. Der astronomische Preis für Zolgensma spiegele nicht Forschungskosten, sondern den Preis den Novartis für die Übernahme von Avexis bezahlt habe.[4]

WHO

Zur Weltgesundheitsorganisation äußerte sich Hontschik am 26.01.19 kritisch hinsichtlich Finanzierung und Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen:

„Der ursprüngliche Auftrag der WHO von 1948 lautete, Krankheiten zu definieren, Standards für deren Behandlung zu erarbeiten und weltweit zu verbreiten. Er ist endgültig pervertiert. Zuerst sorgen die Nahrungsmittelkonzerne dafür, dass sich Übergewicht, Gefäßkrankheiten und Diabetes auf der ganzen Welt immer mehr ausbreiten, um anschließend mit der Pharmaindustrie die Lösungen dafür gewinnbringend zu verkaufen. Die Eroberung der WHO durch Konzerne und Stiftungen ermöglicht ihnen also doppelten Profit, einmal bei der Verursachung von Krankheiten und dann an deren Behandlung.“[5]

Gates-Stiftung

Den Ursprung der Gelder der Gates-Stiftung sieht Hontschik im Anlagevermögen, vor allem bei Coca-Cola, PepsiCo, Unilever, Kraft-Heinz und anderen Alkohol- und Pharmakonzernen. Da die Gates-Stiftung über Spenden einer der Hauptfinanzerer der WHO ist, sieht Hontschik hierin den Grund, dass die WHO nicht "mit Entschiedenheit gegen das aggressive Marketing all dieser Hersteller von Junkfood voller Zucker, Fett und Salz" vorgeht.[6]

Finanzmarktspekulation und Pandemien

2019 warnte Hontschik vor der Verbindung von Pandemien und Finanzmarkspekulationen. Die internationale Finanzierung der Weltgesundheit hänge von "finanzmarktgesteuerten Wettbüros" ab, "die frei von jeder Moral und Menschlichkeit Tote und Länder zählen".

„Während die Ärmsten der Armen sterben, werden die Reichsten der Reichen dadurch reicher. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis nicht nur die Bekämpfung, sondern schon der Ausbruch von Seuchen zum Gegenstand von Wetten und hohen Renditen werden wird. Niemand weit und breit setzt der zynischen Kreativität des Finanzmarkts Grenzen.“[7]

Die Welt nach Corona

Aufsehen erregte am 30.5.2020 ein Interview von Stefan Hebel mit Bernd Hontschik in der Frankfurter Rundschau im Rahmen der Reihe Die Welt nach Corona.[8] In dem Interview erhebt Hontschik schwere Vorwürfe gegen Gesundheitsminister Jens Spahn, vor allem aber entwirft er die Utopie eines Gesundheitswesens frei von Profitinteressen, das am Gemeinwohl orientiert börsennotierte Konzerne ausschließt, das Krankenkassen auf ihre eigentlichen Aufgaben zurückführt, das die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zugunsten integrierter Versorgungsstrukturen aufhebt und das die Beschneidung der "obszönen" Profite der Pharmaindustrie vorsieht.

Publikationen

Hontschik hat seither mehrere Bücher zu chirurgischen, sozialmedizinischen und gesundheitspolitischen Themen veröffentlicht. Er ist Herausgeber der inzwischen 16-bändigen Taschenbuchreihe „medizinHuman“ im Suhrkamp Verlag.

Theorie und Praxis der Appendektomie (1989, 2012)

Für seine Dissertation über Appendektomie erhielt Hontschik 1989 den Roemer-Preis des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM). Sie wurde 1994 im Mabuse-Verlag in 2. Auflage veröffentlicht. Diese Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass es eine „chronisch-rezidivierende Appendizitis“ gar nicht gebe. Diese stelle eine vor allem im deutschsprachigen Raum verbreitete Operationsindikation dar, von der insbesondere eine Vielzahl von Mädchen und jungen Frauen betroffen seien. Die Häufung dieser Diagnose an Montagen und das häufige Drängen der Mütter auf eine Operation (wobei normalerweise Patienten und Angehörige froh seien, wenn ein chirurgischer Eingriff vermieden werden könne) wiesen auf eine verborgene Psychodynamik hin, namentlich auf Konflikte zwischen Eltern und nach Unabhängigkeit strebenden adoleszenten Töchtern, die sich speziell an Wochenenden zuspitzten.

Das Thema stellte der Autor erneut 2012 in seinem Werk Kurze Geschichte der Appendektomie. Mythen, Fakten, Perspektiven dar.

Körper, Seele, Mensch (2006)

Wer über die Medizin im 21. Jahrhundert nachdenkt, hat ein großes Klagen im Ohr: Patienten fühlen sich unverstanden, Ärzte sehen sich von Zwängen umstellt, während Technologie und immer neue alternative Methoden Heilsversprechen machen. Doch wie werden wir wirklich gesünder? Hontschik versucht, nach mehr als 40 Jahren Tätigkeit als Chirurg, über seine tägliche Arbeit – und über sie hinaus – nachzudenken, und plädiert für ein Umdenken in der Medizin. Im ersten und damit auch paradigmatischen Band der Reihe medizinHuman geht es um die Irrwege der hochgerüsteten Medizin und die Wichtigkeit ärztlicher Kreativität. Warum heilen Wunden entgegen aller Logik nicht zu? Warum wirken Medikamente manchmal und manchmal nicht? Seine Antwort: Der Mensch ist weit mehr als eine »triviale Maschine«, und die Kunst des Heilens besteht darin, ihn auch so zu behandeln: als Einheit von Körper und Seele.

Erkranken schadet Ihrer Gesundheit (2019)

Hontschik sieht in Deutschland die Voraussetzungen für sehr gutes Gesundheitssystem gegeben. Doch leider hätten, Betriebs-, Volkswirte und Juristen das Sagen. Er beklagt den Rückzug der Humanmedizin und den Wandel der Medizin zur Ware. In der Ausgliederung des Gesundheitswesens aus dem Sozialministerium und seine Integration ins Wirtschaftsministerium sieht der Autor das politische Konzepts, aus dem Sozialsystem einen Wirtschaftszweig zu machen.[9]

„Es geht darum, das Primat der Humanmedizin knallhart durch das Primat der Gewinne, der Shareholder zu ersetzen. Profit oder heilende, helfende Fürsorge stehen sich unvereinbar gegenüber. Man muss sich entscheiden – politisch. Und in unserem Land fallen die Würfel immer mehr in Richtung privatem Kapital und Profit, immer weniger Richtung Humanmedizin.“

Dies erläutert Hontschik am Beispiel Kaiserschnitt, wo der Wechsel der Gebührenordnung das Verhältnis Notfall-Sectio und geplanter Routine-Sectio von 40/60 zu 60/40 verschob; bei Rückenoperationen, Bandscheibenoperationen und Arthroskopie des Kniegelenks. Gleichzeitig sei die Physiotherapie verkümmert: "Da die Medizin in unserem Land aber medikamenten-, operations- und technikzentriert ist, führt die Krankengymnastik ein Schattendasein." Die Situation der Krankenhäuser habe sich verschlechtert, die Zahl der Krankenhäuser und der Betten sei von 1980 bis 2010 um etwa 40 % zurückgegangen, die Liegezeit habe sich auf eine Woche halbiert und über 50.000 Stellen im Pflegebereich seien gestrichen worden.

„.…es geht darum, die Humanmedizin vor dem Zugriff des Kapitals zu retten. Das ganze Schiff Gesundheitswesen steuert in die falsche Richtung. Es ist höchste Zeit, den neoliberalen Kurswechsel zu stoppen. Das Schiff müsste dann nicht rückwärts fahren, sondern vorwärts in Richtung auf ein modernes Sozialwesen, das der Gesundheit Aller dient und nicht dem Gewinnstreben Weniger.“[10]

Privates

Hontschik ist mit der Supervisorin Claudia Hontschik verheiratet, sie haben zwei erwachsene Kinder.

Seine Urgroßtante väterlicherseits war die österreichische Frauenrechtlerin Henriette Hontschik (1852–1919).[11]

Schriften (Auswahl)

Als Autor:

  • Theorie und Praxis der Appendektomie. Eine historische, psychosoziale und klinische Studie. Pahl-Rugenstein, Köln 1987.
  • mit Hermann Plagemann: Medizinische Begutachtung im Sozialrecht. Deutscher Anwaltverlag, Bonn 1996.
  • Nachwort zu: Max Kirschner: Weinen hat seine Zeit und Lachen hat seine Zeit. Erinnerungen aus zwei Welten. Aus dem Amerikanischen von Ebba D. Drolshagen. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004.
  • Körper, Seele, Mensch. Versuch über die Kunst des Heilens. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006.
  • Herzenssachen. So schön kann Medizin sein. Weissbooks.w, Frankfurt am Main 2009.
  • Kurze Geschichte der Appendektomie. Mythen, Fakten, Perspektiven. Marseille, München 2012.
  • Hippokrates for sale. Von der schleichenden Zerstörung des solidarischen Gesundheitswesens. Weissbooks.w, Frankfurt am Main 2014.
  • Erkranken schadet Ihrer Gesundheit. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2019.

Als Herausgeber:

  • mit Thure von Uexküll: Psychosomatik in der Chirurgie. Integrierte Chirurgie – Theorie und Praxis. Schattauer, Stuttgart 1999.
  • Psychosomatisches Kompendium der Chirurgie. Marseille, München 2003.
  • mit Wulf Bertram, Werner Geigges: Auf der Suche nach der verlorenen Kunst des Heilens. Bausteine für die integrierte Medizin. Schattauer, Stuttgart 2013.

Als Mitautor:

Weblinks

 Commons: Bernd Hontschik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Arzt hat Tränen in den Augen: „Fallpauschalen lassen Geburten zu einem Minusgeschäft werden“. 29. Januar 2020, abgerufen am 19. April 2020.
  2. „Totalschaden“ – Wie das Gesundheitssystem die Medizin zerstört. 26. November 2019, abgerufen am 19. April 2020.
  3. Allein unter Nachbarn: Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland. 22. Februar 2020, abgerufen am 19. April 2020.
  4. „Totalschaden“ – Wie das Gesundheitssystem die Medizin zerstört. 26. November 2019, abgerufen am 19. April 2020.
  5. Edle Weltregenten. 26. Januar 2019, abgerufen am 19. April 2020.
  6. Edle Weltregenten. 26. Januar 2019, abgerufen am 19. April 2020.
  7. Frei von Moral und Menschlichkeit: Wie der Finanzmarkt an tödlichen Seuchen verdient. 2. November 2019, abgerufen am 19. April 2020.
  8. Sozialsysteme kann man nicht optimieren. 30. Mai 2020, abgerufen am 18. Juni 2020.
  9. Chirurg und Autor Bernd Hontschik – Heilkunst ist mehr als reine Technik. Abgerufen am 19. April 2020 (deutsch).
  10. Bernd Hontschik über das Gesundheitssystem: „Die Diagnosen folgen dem Geld“. In: NachDenkSeiten – Die kritische Website. Abgerufen am 19. April 2020 (deutsch).
  11. Henriette Hontschik. Abgerufen am 11. Februar 2021 (deutsch).
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