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Bernardo Provenzano

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Bernardo Provenzano (1959)

Bernardo „Zu Binnu“ Provenzano (* 31. Januar 1933 in Corleone; † 13. Juli 2016 in Mailand) war ein Mitglied der sizilianischen Cosa Nostra. Für etwa zwei Jahrzehnte war er das Oberhaupt der Corleonesi, einem Clan aus der berüchtigten Mafia-Hochburg Corleone und er galt als mutmaßlicher „Capo di tutti i capi“ (italienisch für „Boss der Bosse“). Auf Grund seiner gnadenlosen Entschlossenheit als Massenmörder wurde er auch als Binnu u tratturi (sizilianisch: „Binnu der Traktor“) bezeichnet, der sprachbildlich – als ob er ein Traktor mit angehängter Walze sei – seine Opfer massenweise plättet.[1]

Biografie

Frühe Jahre

Bernardo Provenzano wurde am 31. Januar 1933 in Corleone als drittes von sieben Kindern in eine Bauernfamilie hineingeboren, die bis dato keine Kontakte zur Cosa Nostra gepflegt hatte. Bereits in seinen frühen Jahren arbeitete er mit seinem Vater Angelo als Landarbeiter auf den Feldern und verließ die Schule im Alter von 10 Jahren.[2]

Im späten Teenager-Alter schloss er sich mit einigen Freunden, darunter Salvatore „Totò“ Riina, Luciano Liggio an, einem ranghohen Gefolgsmann des örtlichen Mafia-Bosses Michele Navarra. Schnell erwarb Provenzano sich den Ruf eines gewissenlosen Schlägers, vor dem man sich besser in acht nahm. Zu Beginn der 1950er Jahre soll Provenzano bei einer Einweihungszeremonie in der Cosa Nostra aufgenommen worden sein.[2]

Im Jahr 1954 sollte Provenzano für den Militärdienst eingezogen werden, wurde aber für untauglich erklärt.[3]

Aufstieg der Corleonesi

Am 2. August 1958 wurde Michele Navarra ermordet.[4] Dem Mord vorhergegangen war ein Konflikt zwischen dem aufstrebenden machthungrigen Liggio und dem etablierten Patriarchen Navarra. Im folgenden Krieg, in dem Liggio und seine Anhänger Navarras Gefolgsleute systematisch eliminierten, war Provenzano einer der besten Killer Liggios. Liggio soll später über Provenzano gesagt haben: „Er schießt wie ein Gott, hat aber das Hirn eines Huhns.“[5] Corleone wurde infolge der andauernden Gewalt als der „Grabstein“ bekannt.[6] Auf die Zeitung L’Ora, die einen Bericht über Liggio und seine Anhänger mit der Überschrift „Pericoloso“ (italienisch: „gefährlich“) herausgegeben hatte, wurde drei Tage später ein Bombenanschlag verübt.

Am 10. September 1963 ermordete Provenzano einen letzten Anhänger Navarras und zog sich alsbald von der Bildfläche zurück.

Beim berühmten Massaker in der Viale Lazio am 10. Dezember 1969 tötete er persönlich Michele Cavataio, der einer der Hauptverantwortlichen für den Ersten Mafiakrieg war.[7] Nachdem Liggio 1974 in Mailand verhaftet werden konnte,[8] bestimmte Liggio Salvatore Riina und Provenzano zu seinen gemeinsamen Nachfolgern. Riina sollte als erster der neue Boss der Corleoneser werden und nach zwei Jahren von Provenzano abgelöst werden. Riina gab dieses Amt jedoch nicht mehr ab; Provenzano erklärte sich damit einverstanden. Provenzano galt seither als Riinas rechte Hand.

Im Verlaufe eines gnadenlosen Mafia-Krieges in den Jahren 1981 bis 1983, in dem ca. 1000 Mafiosi starben, stiegen die Corleonesi zur führenden Mafia-Familie in Sizilien auf. Bernardo Provenzano betrieb in der Umgebung von Bagheria in einer stillgelegten Nagelfabrik eine Art Hinrichtungsort, welches in bestimmten Kreisen als „Campo di Sterminio di Bagheria“ (KZ von Bagheria[9][10]) bekannt wurde und in der vermutlich 100 Personen[11] ermordet wurden. Riina und Provenzano dominierten fortan die Cosa Nostra; beide saßen gleichzeitig auch in der sizilianischen Mafia-Kommission. Im Januar 1993 wurde Riina verhaftet, und schließlich verurteilt, unter anderem wegen der Attentate auf Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Mai 1992.[12] Provenzano sollte 1995 nach der Verhaftung von Leoluca Bagarella, dem Schwager und Nachfolger von Riina,[13] Chef der Corleonesi und damit faktisch „Capo dei Capi“ werden.

Leben im Untergrund

Von den frühen 1960er Jahren bis zu seiner Festnahme 2006 wurde Provenzano nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Da es nur ein Fahndungsfoto aus seiner Jugendzeit gab, veröffentlichte die italienische Polizei jahrelang nur ein Phantombild. Insider beschrieben Provenzano als sehr misstrauisch und menschenscheu.

Während Riina mit blutigen Attacken gegen den Staat von sich reden machte, arbeitete Provenzano zunächst als Schuldeneintreiber eines Kreditunternehmens, das nicht viel mehr als eine Geldwaschanlage für Drogengeschäfte war und er stürzte sich auf die Aufträge, die in der Bau- und Abfallbranche der Insel zu vergeben waren.[6]

Als 1992 seine Frau und Kinder ihr Versteck verlassen hatten, gab es Vermutungen, er selbst sei nicht mehr am Leben. Im Oktober 2003 unterzog er sich in einer Privatklinik (la clinique Casamance) in Aubagne nahe Marseille (Frankreich) einer Prostata-Operation (angeblich sogar auf Kosten des italienischen Staates[14]), von der die Fahnder zu spät erfuhren. Bei einer Razzia im Januar 2005 in mehreren Orten Siziliens wurden zwar 46 Verdächtige verhaftet, nicht aber Provenzano. Die Gefängnisstrafen, zu denen er in Abwesenheit verurteilt wurde, summieren sich auf 250 Jahre.

Durch Provenzanos Führung konnte es verhältnismäßig ruhig um die sizilianische Mafia werden, da er versuchte, die Cosa Nostra aus den Schlagzeilen herauszuhalten und sie nach Kräften zu konsolidieren. Er konnte die Welle der Mafia-Abtrünnigen zum Stillstand bringen und er räumte der Betreuung von Gefangenen wieder ihre traditionell hohe Stellung auf der Prioritätenliste der Cosa Nostra ein.[6]

Immer wieder wechselte er die Verstecke und unter anderem hieß es, Provenzano habe sich als Bischof getarnt.[15] In seinen Unterschlüpfen gab es weder Computer noch Handys. Er kommunizierte ausschließlich über Pizzini – kleine, eng beschriebene und bis auf Fingernagelgröße gefaltete Botschaften, in denen er seinen Adepten Anweisungen gab und die Fäden der Organisation fest in der Hand hielt.[1]

Festnahme

Nach 43 Jahren auf der „Flucht“ wurde Bernardo Provenzano, im Alter von 73 Jahren, am 11. April 2006 zusammen mit einer weiteren Person von der italienischen Polizia di Stato in einem heruntergekommenen Schuppen („un casolare diroccato e isolato accanto una stalla e un caseificio“), etwa 2 km vom Stadtzentrum von Corleone entfernt, festgenommen. Seiner Festnahme ging eine zweiwöchige Observation voraus. In seinem Versteck fanden sich etwa 200 kleine Kassiber-ähnliche Zettel, genannt pizzini, mit Hilfe derer er mit der Außenwelt kommunizierte. Provenzano soll sich durch einen derartigen Zettel verraten haben, da es der Polizei in der Zwischenzeit gelang, die stafettenartige Weiterleitung der Zettel an seine Gefolgsleute zu überwachen. Nach seiner Festnahme wurden drei weitere Personen festgenommen, denen vorgeworfen wird, Provenzano versorgt und seine Nachrichten weitergeleitet zu haben.[16]

Ein abgehörtes Telefonat habe die Ermittler auf die richtige Spur gebracht, berichteten italienische Medien. Darin habe sich ein Vertrauensmann mit seinem Gesprächspartner darüber abgestimmt, wann er dem „Boss“ die saubere Wäsche bringen soll. In seinem Versteck fand sich auch eine Schreibmaschine, die er angeblich zum Schreiben seiner Nachrichten benutzt hatte. Nach Aussage der Polizei soll Provenzano keinen Widerstand geleistet und seine Identität zugegeben haben. Ein DNA-Vergleich mit Gewebeproben, die nach seinem Klinikaufenthalt 2003 in Frankreich gesichert wurden, zeigte Medienberichten zufolge, dass es sich tatsächlich um den lange gesuchten Mafia-Boss handle. Sein Rechtsanwalt Salvatore Traina hatte noch zwei Wochen vorher angegeben, sein Mandant sei vermutlich schon vor Jahren gestorben.

Provenzano soll bei seiner Festnahme den anwesenden Beamten gesagt haben: „Ihr wisst nicht, was ihr tut“. Es wurde in den Medien heftig darüber spekuliert, wie diese Aussage zu deuten sei. Gegenüber den Behörden schwieg Provenzano, es war auch unwahrscheinlich, dass er die Omertà brechen würde. Es wurde vermutet, dass eine neue, jüngere Generation von Mafia-Bossen bereitsteht. Ein möglicher Nachfolger ist Matteo „u Siccu“ Messina Denaro (* 1962) aus der Provinz Trapani, Provenzano hatte ihn in einem Pizzino als „il mio erede“ (mein Erbe) bezeichnet. Allerdings hat Provenzano die Cosa Nostra dezentralisiert und die nachfolgenden Jahre geben Anlass zur Vermutung, dass es keinen einzelnen Boss der Bosse geben wird.[17]

Letzte Jahre

In verschärfter Einzelhaft soll Provenzano langsam schwermütig geworden sein. Haftverschonung konnte seine Anwältin aber nicht durchsetzen. Bereits 2010 diagnostizierten Ärzte eine Hepatitis C, Erinnerungslücken und ein Prostatakarzinom. Im März 2011 stellte man einen Blasentumor fest. Ende 2012 fiel Provenzano vorübergehend ins Koma, nachdem er im Gefängnis von Parma zum wiederholten Male gestürzt war. Alle noch offenen Verfahren gegen ihn wurden daraufhin ausgesetzt, weil er laut ärztlichen Gutachten nicht mehr verhandlungsfähig war.[15] Im Mai 2012 überraschte ihn ein Justizvollzugsbeamter dabei, wie er sich gerade eine Plastiktüte über den Kopf zog. Manche hielten das für einen Suizidversuch, andere für eine Inszenierung.

Wegen seiner schlechten Gesundheit wurde Provenzano 2014 unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen in ein Krankenhaus nach Mailand verlegt. Dort verstarb er am 13. Juli 2016 im Alter von 83 Jahren.[1] „Obwohl er nur noch dahinvegetierte, hat man Provenzano bis zuletzt zu strengster Haft gezwungen“, kritisierte seine Anwältin. De facto sei Provenzano bereits vor vier Jahren gestorben.[15]

Bedeutung

Die Bedeutung von Provenzano wurde lange unterschätzt. Ihm werden 50 Morde zur Last gelegt, Falcone nannte ihn den blutrünstigsten Killer der Mafia. Aber erst 1993, nachdem verschiedene Pentiti (italienisch: Reuige, Büßer; d. h. ehemalige Mafiosi als Kronzeugen) ausgesagt hatten, bekam die Suche höchste Priorität. Nachdem er immer wieder der Verhaftung entkommen konnte, wurde unter anderem vom obersten Mafiajäger Piero Grasso die Anschuldigung erhoben, dass Provenzano von Politikern, Unternehmern und Polizisten geschützt worden sei.

2004 wurde unter der Regie von Marco Amenta der Film Il fantasma di Corleone (Das Phantom von Corleone)[18] gedreht, der sich mit der Frage beschäftigt, weshalb Provenzano all die Jahre nie gefasst werden konnte. Eine zentrale Aussage in der Dokumentation ist die von Michele Riccio, einem hochrangigen Carabiniere, erzählte Begebenheit, dass er, als er Provenzano hätte verhaften können, von höherer Stelle (Oberst Mori) zurückgepfiffen worden sei. Der Film argumentierte, dass Provenzano nicht zuletzt durch den Schutz höherer staatlicher Beamter so lange entkommen konnte. Das bestätigte in Amentas Film auch Guido Lo Forte, Staatsanwalt in Palermo.

Der Gemeinderat der Stadt Corleone hat den Tag seiner Festnahme (11. April 2006) zum Gemeindefeiertag erklärt und will einer Straße den Namen Via 11 Aprile geben, um die Festnahme zu würdigen.

Im Februar 2006 beschlagnahmte die Italienische Polizei – auf Anweisung von Staatsanwalt Roberto Scarpinato – Häuser, Grundstücke und Konten von Provenzano und Salvatore Lo Piccolo im Wert von 150 Mio. US-Dollar.[19]

Filme und Dokumentationen

Literatur

Vorbemerkung des Herausgebers: "Dieses Lexikon stützt sich weitgehend auf Stichwörter, die immer wieder in den pizzini – mehrfach gefalteten und mit Tesafilm versiegelten Zetteln – aufgetaucht sind, über die er (= Provenzano) mit seinen Gefolgsleuten kommunizierte."
  • Giovanni Falcone und Marcelle Padovani: Inside Mafia. Herbig Actuell, München 1992, ISBN 3-7766-1765-9
  • Alexander Stille: Die Richter, der Tod, die Mafia und die italienische Republik C. H. Beck Verlag, 2003:
Ausführliche und fundierte Darstellung der Hintergründe und der Geschichte der Mafia unter besonderer Berücksichtigung von deren Verstrickungen mit der italienischen Politik. Ein gesondertes Kapitel behandelt die Corleoneser Mafia und den Aufstieg Salvatore Riinas und Bernardo Provenzanos.
Hintergrundinformationen zur sizilianischen Mafia sowie zu Provenzano im Speziellen (Kapitel Der Traktor tritt auf, S. 501–509).
Themen sind die Cosa Nostra und Provenzanos Leben

Weblinks

Einzelnachweise

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