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Barmat-Skandal

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Julius Barmat mit Frau und Sohn (1928)
Urteilsverkündung im Prozess

Als Barmat-Skandal oder Barmat-Kutisker-Skandal werden zwei ursprünglich getrennte Skandale in der Weimarer Republik bezeichnet, die in der damaligen Öffentlichkeit häufig gemeinsam genannt wurden, da sie zur gleichen Zeit bekannt wurden und da die geschädigten Kreditinstitute und die darin verwickelten Politiker zum Teil identisch waren.

Der Fall Kutisker

Am 10. Dezember 1924 verhaftete die Berliner Kriminalpolizei den 1873 in Russisch-Polen geborenen,[1] seit 1919 in Berlin ansässigen[2] und mit dem Verkauf von deutschem Heeresmaterial beschäftigten[3] Iwan Baruch Kutisker unter dem Vorwurf von Vermögensdelikten zum Schaden der Preußischen Staatsbank. Die gerichtlichen Voruntersuchungen und die Ermittlungen des Untersuchungsausschusses des Preußischen Landtages ergaben, dass er von der Preußischen Staatsbank ungedeckte Wechselkredite in der Höhe von 14,2 Millionen RM[4] erhalten hatte. Der Verdacht der Bestechung führender Mitglieder der SPD durch Kutisker konnte während der Ermittlungen weder bestätigt noch ausgeräumt werden, der Verdacht der Beamtenbestechung wurde dagegen bestätigt.[5] Nach dem bis dahin längsten Strafprozess der deutschen Justizgeschichte mit 198 Verhandlungstagen wurde er am 30. Juni 1926 wegen Betrugs und Bestechung zu 5 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust, einer Geldstrafe von 4,5 Millionen RM sowie zur Landesverweisung nach der Strafverbüßung verurteilt.[6] Kutisker ging gegen das Urteil in Berufung, starb aber am 13. Juli 1927, dem Tag vor Verkündung des Berufungsurteils, in Berlin.[7]

Der Fall Barmat

Ebenfalls unter dem Vorwurf betrügerischer Geldgeschäfte und zusätzlich unter dem Vorwurf der Bestechung von Beamten wurde am 31. Dezember 1924 der 1887 in Uman (Ukraine) geborene,[8] seit 1906 in den Niederlanden ansässige und seit 1908 in der dortigen sozialdemokratischen Partei aktive,[9] seit 1919 in Berlin ansässige Julius (Judko) Barmat verhaftet. Die Ermittlungen führten auch zur Anklage gegen seinen 1892 in Łódź geborenen Bruder Henry (Herschel) Barmat,[10] während die weiteren drei Geschwister nicht in den Skandal verwickelt waren. Kontakte zu deutschen Sozialdemokraten bestanden seit einem Besuch einer SPD-Delegation in den Niederlanden Ende 1918.[11]

Bis 1924 bauten die Barmat-Brüder dank Inflationsgewinnen den Amexima-Konzern mit bis zu 14.000 Beschäftigten auf, der hauptsächlich auf dem Gebiet des Lebensmittelimports nach Deutschland tätig war, dem aber u.a. auch die Papierfabrik AG Chromo in Altenburg (Thüringen), die Westerwälder Braunkohlen AG in Hergenroth, die Terrakottenkunst AG in Regensburg, die Berlin-Burger Eisenwerke sowie die Eisengießerei und Maschinenfabrik J. Roth AG, Berlin[12] zugehörten.

Dieser Konzern brach Ende 1924 überschuldet zusammen. Die Gesamtverluste beliefen sich auf ca. 39 Millionen RM, wovon 34,6 Millionen RM nicht hinreichend gesicherte Kredite öffentlicher Kreditanstalten waren (darunter 14,5 Millionen RM noch kurz vor dem Zusammenbruch von der Reichspost und 10,3 Millionen RM von der Preußischen Staatsbank).[13] Das Gericht stellte u. a. fest, dass sich der Reichspostminister Anton Höfle (Zentrum) zu der Kreditgewährung „teils durch unentgeltliche, teils durch dahrlehnsweise Zuwendungen“ (zinsfrei) seitens der Barmat-Brüder bestimmen ließ.[14] Von den führenden SPD-Mitgliedern war vor allem der ehemalige Reichskanzler Gustav Bauer durch seine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss des Reichstages, „keine finanziellen Vorteile“ von Barmat erlangt zu haben, stark kompromittiert, deren Wahrheitswidrigkeit sich durch Zahlungsbelege für Provisionen von Barmat an Bauer erwies.[5] Hingegen erwiesen sich ähnliche Vorwürfe gegen den damaligen Reichspräsidenten Friedrich Ebert als vollkommen gegenstandslos.

Vernehmung Julius Barmats im großen Schwurgerichtssaal im Kriminalgericht Moabit, 17. April 1925

Da die Betrugsvorwürfe vor dem Schöffengericht nicht bewiesen werden konnten, erfolgte die Verurteilung am 30. März 1928 nur wegen aktiver Bestechung: Julius Barmat erhielt elf, Henry Barmat sechs Monate Gefängnis, worauf jeweils fünf Monate der erlittenen Untersuchungshaft angerechnet wurden. 1929 erhielt Julius Barmat Bewährung für seine Reststrafe.[15][16] Danach war er bis zu seinem Tod in Litauen und Lettland geschäftlich tätig,[17] lebte aber wohl meist in Belgien und den Niederlanden, wo er am 6. Januar 1938 in Brüssel starb.[8] Zum Zeitpunkt von Julius' Haftentlassung hatte sich das öffentliche Interesse an dem Fall schon so weit abgekühlt, dass Nachrichten über das weitere Schicksal Henrys und der anderen Geschwister fehlen.

Zeitgenössische Rezeption

Beide Teilskandale erweckten in der damaligen Presse wie auch der sonstigen Öffentlichkeit ein lebhaftes Echo, allerdings mit durchaus unterschiedlicher Spitze. Während die rechte und rechtsradikale Presse die Fälle als Beispiele für die Versumpfung der republikanischen Systems ansah, erkannte die linksradikale Presse in den Fällen eher den Beweis für die Verfaultheit des Kapitalismus.[18] Lediglich die der SPD und der Zentrumspartei nahestehenden Zeitungen bewerteten aus allerdings verständlichen Gründen den Skandal weniger negativ.

Die Tatsache, dass sowohl Kutisker als auch die Barmats ostjüdischer Herkunft waren, wurde zwar allgemein erwähnt, spielte aber sonst eine durchaus untergeordnete Rolle. So berichtete die Bayerische Staatsregierung in einer Denkschrift über die „tiefgehende und gefährliche Empörung“ unter der dortigen bäuerlichen und gewerblichen Bevölkerung, weil „bei der Verwendung der Staatsmittel zur Kreditgewährung mit ungerechtem Maße gemessen“ werde[19]. Dabei werde in der Bevölkerung durchaus „in Rechnung gestellt, daß ein großer Teil der in der Presse erscheinenden Nachrichten tendenziös unrichtig oder übertrieben“ sei. Jedoch das, „was nicht bestritten wird und nicht bestritten werden kann, ist für sich allein heute schon ausreichend, um diese Wirkungen auszulösen. Mit großem Mißtrauen steht man den parlamentarischen Maßnahmen zur Bereinigung dieser Fragen gegenüber, und selbst das Vertrauen in die gerichtliche Untersuchung ist nicht mehr so unerschüttert wie ehedem“.[19]

Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) beschuldigte hingegen am 27. Februar 1925 auf einer öffentlichen Versammlung in Breslau die Schwerindustrie, mit den Skandalberichten in der bürgerlichen Presse von der Ruhrentschädigung ablenken zu wollen.

Eine agitatorische „Nachblüte“ erlebte der Skandal in der Endzeit der Weimarer Republik, als er von der NSDAP zusammen mit anderen Affären wie dem Sklarek-Skandal als Beleg für ihre Anwürfe gegen den Staat als „Juden“- und „Schieberrepublik“ verwendet wurde.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. VII, S. 536 (Fn. 42)
  2. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik Online "Kutepow, Alexander Pawlowitsch" (4.320:). In: bundesarchiv.de. 14. Januar 2014.
  3. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik Online ‚Nr. 20 Denkschrift der Bayerischen Staatsregie...‘ (2.20:). In: bundesarchiv.de. 14. Januar 2014.
  4. Huber VII, S. 536
  5. 5,0 5,1 Huber VII, S. 537
  6. Huber VII, S. 537 (Fn. 51, Verweis auf Schultheß’ Europäischer Geschichtskalender 1926, S. 124)
  7. 13.07.1927 - Marathonschwimmens Lake George (24 Meilen) US Amerikaner Edward - chroniknet - Schlagzeilen, Ereignisse. In: chroniknet.de.
  8. 8,0 8,1 Henk Muntjewerff: Carolina Kutscher (????-). In: Genealogie Online.
  9. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik Online ‚Barmat, Julius‘ (2.29:). In: bundesarchiv.de. 14. Januar 2014.
  10. The Levie-Kanes Family Tree Collection - Persons. In: levie-kanes.com.
  11. Huber VII, S. 536 (Fn.43)
  12. Fritz König: Neue Konzerngrößen. In: Rundschau der Arbeit. 1924 (Digitalisat)
  13. Artikel Barmat-Prozeß. In: Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in 20 Bänden. 15. Auflage, F. A. Brockhaus, Leipzig 1928 ff.
  14. Beschluss des Kammergerichts vom 13. Mai 1925 im Haftbeschwerdeverfahren von Julius Barmat, zitiert in Huber VII, S. 536 (Fn. 45)
  15. Huber VII, S. 537 unter Verweis auf Schultheß: Europäischer Geschichtskalender. 1928, S. 93.
  16. Wolfgang Schild: Berühmte Berliner Kriminalprozesse der zwanziger Jahre. In: F. Ebel, A. Randelzhofer: Rechtsentwicklungen in Berlin: Acht Vorträge, gehalten anläßlich der 750-Jahrfeier Berlins. Berlin: De Gruyter, 1988, S. 151.
  17. ‚Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik‘ Online ‚Barmat, Julius‘ (2.29:). In: bundesarchiv.de. 14. Januar 2014.
  18. Wolfgang Schild: Berühmte Berliner Kriminalprozesse der zwanziger Jahre. In: F. Ebel, A. Randelzhofer: Rechtsentwicklungen in Berlin. Acht Vorträge, gehalten anläßlich der 750-Jahrfeier Berlins. Berlin: De Gruyter, 1988, S. 150f.
  19. 19,0 19,1 Denkschrift der Bayerischen Staatsregierung über Mißstände auf dem Gebiet der Bewirtschaftung und Verwendung von Reichsgeldern. Übergeben von Ministerpräsident Held an den Staatssekretär der Reichskanzlei Franz Kempner am 10. Februar 1925. (Online)
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