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Béla Balázs

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Béla Balázs [ˈbeːlɒ ˈbɒlaːʒ] (geb. als Herbert Bauer am 4. August 1884 in Szegedin; gest. 17. Mai 1949 in Budapest) war ein ungarischer Filmkritiker, Ästhetiker, Schriftsteller, Drehbuchautor, Librettist, Regisseur und Dichter.

Leben und Wirken

Balázs wuchs als Sohn eines Gymnasiallehrers in Szegedin und Lőcse (heute Levoča in der Slowakei) auf, studierte in Budapest, Berlin (u. a. bei Georg Simmel und Wilhelm Dilthey) und Paris (bei Henri Bergson) und begann eine Laufbahn als ungarischer Schriftsteller (Dramen, Lyrik, Märchen und Novellen).

Er schrieb unter anderem die Libretti für das Ballett Der holzgeschnitzte Prinz und für die Oper Herzog Blaubarts Burg, die von Béla Bartók vertont wurden, sowie den Märchenzyklus Der Mantel der Träume. Zu seinen Freunden zählte auch György Lukács.

1919 floh er wie viele andere Ungarn nach der Niederschlagung der Räterepublik nach Wien, wo er zunächst als Dramatiker und Märchenautor Fuß zu fassen versuchte. Der Zufall führte ihn mit dem neuen Medium des Films zusammen. Für die Zeitung „Der Tag“ begann er regelmäßig Filmkritiken zu schreiben und machte sich zugleich als Drehbuchautor einen Namen. Sein erstes in Wien erschienenes filmtheoretisches Werk Der sichtbare Mensch (1924) begründete die moderne Filmtheorie, in der sich romantische Motive einer Sehnsucht nach Überwindung der Entfremdung in einer visuellen Kultur mit politischen Hoffnungen auf ein populäres Medium der Aufklärung mischten.

1926 wechselte Balázs nach Berlin, wo sein zweites filmtheoretische Buch „Der Geist des Films“ entstand. Auch in Berlin arbeitete Balázs zugleich als Drehbuchautor, z. B. für die Verfilmung der „Dreigroschenoper“ (durch G. W. Pabst), die zu einer heftigen Kontroverse mit Bertolt Brecht führte. 1931 schrieb er für Leni Riefenstahl das Drehbuch zu ihrem Regiedebüt Das blaue Licht (1932). Während der Fertigstellung des Films, an dessen Regie er ebenfalls beteiligt war, wurde er nach Moskau eingeladen, um einen Film über die „Räte-Revolution“ in Ungarn zu drehen. 1933 war für ihn als Jude und Kommunist eine Rückkehr nach Deutschland unmöglich und er blieb in Moskau. 1945 nach Budapest zurückgekehrt, konnte er noch einen seiner bekanntesten Filme realisieren: Irgendwo in Europa, 1947. Im selben Jahr erschien sein autobiografischer Roman Die Jugend eines Träumers.

1949 erhielt er die höchste Auszeichnung Ungarns, den Kossuth-Preis, und nach ihm wurde 1958 der Béla-Balázs-Preis für Verdienste in der Filmkunst benannt. Das Studio für künstlerischen Film in Budapest trägt ebenfalls seinen Namen.

Béla Balázs - Bronzeportrait in Szegedin von Sándor Tóth

Filmtheorie

Balázs' filmtheoretisches Hauptwerk Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films (1924) richtet sein Augenmerk stark auf den Aspekt der Physiognomie. Seine Argumente betreffen dabei einerseits den Schauspieler im Spannungsfeld von „Typus“ und Ausdruck.[1] Helmut H. Diederichs sieht „[d]ie Physiognomik (Lavater, der junge Goethe)“ als Grundlage von Balázs’ Physiognomik.[2].

Sabine Hake identifiziert Quellen seines Gedankenguts in Lebensphilosophie und Gestaltpsychologie[3]. Eine allgegenwärtige Lebensbewegung und die abstrahierte und abstrahierbare Gestalt des Lebendigen sind weitere physiognomische Aspekte, die diese Filmtheorie mitbegründen. Andererseits also – und dies ist Balázs' genuiner Beitrag zur frühen Theoriebildung des bewegten Bildes – betont er die Anthropomorphisierung alles Sichtbaren in der filmischen Inszenierung. Er nennt dies die „latente Physiognomie“ und das „Gesicht der Dinge“[4]. Hanno Loewy bemerkt hierzu, dass auf Seiten des Zuschauers „sich die psychische Besetzung ununterschieden auf die gesamte wahrgenommene Szene und damit auch unterschiedslos auf Dinge und Wesen, die in ihr auftreten“[5], beziehe. Daniel Hermsdorf resümiert Balázs' Konzeption dahingehend, dass Balázs Begriffe, „– wenn überhaupt gekennzeichnet in ihrer diskursiven Herkunft, dann gar nicht oder eher sorglos reflektiert – in ein prekäres ideologisches Feld der physiognomischen Theorien zurückverweisen“[6]. Filmästhetik bewegt sich in dieser Hinsicht zudem zwischen einer spielerischen Vermenschlichung und einem psychopathologischen Wahrnehmungsmodus, wie ihn in der Fachliteratur erstmals Karl Jaspers in „Allgemeine Psychopathologie“ (1913) differenziert analysiert – als „Affektillusion“ und „Pareidolie[7].

Balázs selbst nennt die anthropomorphe Bildwirkung „transzendent und gespenstisch“[8]. Bei Balázs' Freund Lukács heißt es – ein Jahr vor Balázs' Veröffentlichung Der sichtbare Mensch – in marxistischer Perspektive auf die kapitalistische Wirtschaft, sie verursache die „Verwandlung der Warenbeziehung in ein Ding von ‚gespenstiger Gegenständlichkeit‘“, die „dem ganzen Bewußtsein des Menschen ihre Struktur“ aufdrücke[9]. Hermsdorf kommt deshalb zu dem Schluss, Balázs Filmtheorie sei „ein aus den Begriffen seiner Zeit geschnitzter Fetisch, der unter literarischer Politur einer inversen logischen Strategie marxistischer Kritik des Tauschwerts und anschlussfähiger Kulturtheorien folgt.“[10]

Bei tendenziell gegensätzlichen Lesarten und Bewertungen wird Balázs bis heute Respekt gezollt. Thomas Koebner sieht in Der sichtbare Mensch mit seinem „Ineinander von Enthusiasmus und Scharfblick die erste anspruchsvolle und ausführliche Würdigung des Films als neuer Kunst […]. Die Thesen von Balázs finden sich in fast allen später publizierten Studien (zu deren Vorteil) wieder.“[11]

Literatur

  • Balázs, Béla. In: Lexikon sozialistischer deutscher Literatur. Leipzig 1964, S. 78-80
  • Béla Balázs (2001): Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films. 1924, Neuausgabe Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2004. ISBN 978-3518291368
  • Daniel Hermsdorf: Filmbild und Körperwelt. Anthropomorphismus in Naturphilosophie, Ästhetik und Medientheorie der Moderne. Würzburg 2011, ISBN 978-3-8260-4462-5.
  • Hanno Loewy: Béla Balázs – Märchen, Ritual und Film. Berlin 2003. ISBN 3930916533
  • Hanno Loewy: Medium und Initiation - Béla Balázs: Märchen, Ästhetik, Kino. Diss. Universität Konstanz 1999. Volltext
  • Helmut H. Diederichs: Béla Balázs und sein Beitrag zur formästhetischen Filmtheorie. Vortrag am 20. Nov. 1997 in Berlin. Online
  • Thomas Koebner: Der Film als neue Kunst – Reaktionen der literarischen Intelligenz. Zur Theorie des Stummfilms (1911-24). In: Helmut Kreuzer (Hg.): Literaturwissenschaft – Medienwissenschaft. Heidelberg, S.1-31.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Béla Balázs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2001, S.38. ISBN 978-3518291368
  2. Helmut H. Diederichs: Einleitung. In: Béla Balázs: Schriften zum Film. Bd. 1. ‚Der sichtbare Mensch‘. Kritiken und Aufsätze 1922-26. München, S. 36.
  3. Vgl. Sabine Hake: The Cinema’s Third Machine. Writing on Film in Germany 1907-1933. Lincoln NE 1993, S.230f.
  4. Vgl. Béla Balázs: Der sichtbare Mensch. 2001, S. 59.
  5. Vgl. Hanno Loewy: Béla Balázs – Märchen, Ritual und Film. Berlin 2003, S.295. ISBN 978-3930916535
  6. Vgl. Daniel Hermsdorf: Filmbild und Körperwelt. Anthropomorphismus in Naturphilosophie, Ästhetik und Medientheorie der Moderne. Würzburg 2011, S.336. ISBN 978-3-8260-4462-5
  7. Vgl. Karl Jaspers: Allgemeine Psychopathologie. Für Studierende, Ärzte und Psychologen. 2. Aufl., Berlin 1920, S. 41. Vgl. dazu auch Daniel Hermsdorf: Filmbild und Körperwelt. 2011, S. 562f.
  8. Vgl. Béla Balázs: Der sichtbare Mensch. 2001, S.73.
  9. Vgl. Georg Lukács: Geschichte und Klassenbewußtsein. Studien über marxistische Dialektik. 3. Aufl., Darmstadt 1975, S. 194
  10. Vgl. Daniel Hermsdorf: Filmbild und Körperwelt. 2011, S. 337.
  11. Thomas Koebner: Der Film als neue Kunst – Reaktionen der literarischen Intelligenz. Zur Theorie des Stummfilms (1911-24). In: Helmut Kreuzer (Hg.): Literaturwissenschaft – Medienwissenschaft. Heidelberg 1977, S. 6.

Weblinks

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