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Anna Göldi

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Nachempfundenes Porträt Anna Göldis von Patrick Lo Giudice. Das Bild im Anna-Göldi-Museum, Mollis, ist orientiert an der Titelfigur des Films «Anna Göldin – Letzte Hexe» von 1991.

Anna Göldi (auch Göldin, weibliche Form; geb. 24. Oktober 1734 in Sennwald, heute im Kanton St. Gallen; gest. 13. Juni 1782 in Glarus) war eine der letzten Frauen, die in Europa der Hexerei beschuldigt und hingerichtet wurden. Es war die letzte legale Hexenhinrichtung und rief europaweit Empörung hervor.[1]

Leben

Göldi stammte aus armen Verhältnissen und arbeitete als Dienstmagd. Sie gebar nachweislich zwei Kinder. Das erste starb kurz nach der Geburt. Anna Göldi wurde darauf wegen Kindsmordes verurteilt und bestraft. Das zweite Kind stammte von ihrem Dienstherrn Zwicky in Mollis. Das ausserehelich gezeugte Kind kam in Strassburg zur Welt und wurde in fremde Obhut gegeben. Über das Schicksal dieses Kindes ist weiter nichts bekannt. In Fachkreisen ist umstritten, ob es noch ein drittes Kind gab, da der Eintrag im Taufbuch Zweifel aufkommen lässt.

Anna Göldi arbeitete später als Magd beim Glarner Arzt, Ratsherrn, Richter und Regierungsrat Johann Jakob Tschudi. Tschudi entstammte einer der reichsten und einflussreichsten Familien des protestantischen Kantons Glarus.

Hier soll sie dann mehrmals Stecknadeln in die Milch einer Tochter Tschudis gezaubert haben. Ausserdem soll die Tochter nach Aussagen von Angehörigen der Familie Tschudi mehrfach Nägel gespuckt haben. Wegen Verzauberung der Tschudi-Tochter wurde Anna Göldi daraufhin der Hexerei beschuldigt und angeklagt. Die Hintergründe für die Anklage dürften aber eher mit einer Affäre mit ihrem Dienstherrn Tschudi in Zusammenhang stehen. Zudem war Anna Göldi gut bekannt mit dem Schwager der Familie Tschudi, Ruedi Steinmüller. Dieser war vermögend und vermutlich in einen Erbschaftsstreit mit der Familie Tschudi geraten. Auch er wurde beschuldigt und als Mittäter inhaftiert.

Im anschliessenden Gerichtsprozess gab Göldi unter Folter zu, die Kräfte des Teufels zu nutzen. Auch Steinmüller sollte unter Folter seine Aussage machen. Er erhängte sich jedoch in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 1782. Sein Suizid wurde als Schuldeingeständnis betrachtet, sein Vermögen beschlagnahmt.

Der evangelische Glarner Rat verurteilte Anna Göldi am 13. Juni 1782 zum Tod durch das Schwert. Das Urteil wurde umgehend vollstreckt. Da Anna Göldi keine Glarnerin war (Sennwald gehörte zu Zürich), galt sie als fremdländische Person. Die Gerichtsbarkeit lag somit eigentlich bei einem gemeinen Gericht, welches paritätisch aus katholischen und reformierten Personen zusammengesetzt war. Das Urteil war somit nicht rechtmässig.

Der Hexenprozess sorgte trotz Pressezensur in der Schweiz und in Deutschland für Aufruhr und wurde von August Ludwig von Schlözer als Justizmord bezeichnet. Auch der Journalist Heinrich Ludwig Lehmann publizierte den Fall. Der Gerichtsschreiber, Johann Melchior Kubli, gab die streng geheimen Akten heraus. Erst im Jahr 2007 konnte dies aufgrund Lehmanns Tagebucheintragungen bewiesen werden, die Walter Hauser während seiner Recherchen zu Justizmord an Anna Göldi ans Licht brachte. Da über den Prozess Geheimhaltung verhängt wurde, hätte Kubli ebenfalls die Todesstrafe gedroht, wenn man ihn als Informanten überführt hätte. Er hatte sich bereits während des Prozesses für Anna Göldi eingesetzt.

Im Urteil wurden die Begriffe Hexe und Hexerei vermieden. Göldi wurde als Giftmörderin verurteilt. Ihr Fall war auch nicht der letzte derartige in Europa; 1811 wurde Barbara Zdunk unter ähnlichen Umständen unter dem Vorwand der Brandstifterei hingerichtet. Ob diese wegen Hexerei hingerichtet wurde, ist jedoch sehr unwahrscheinlich, da Hexerei in Preussen zu der Zeit kein Straftatbestand war.[2] Die letzten bekannten Hinrichtungen für Hexerei in Europa fanden 1793 in Posen (damals in Preussen) statt.[3]

Aufarbeitung

Nach Auswertung zuvor unbekannter Quellen kam der Publizist Walter Hauser 2007 zu dem Schluss, dass Anna Göldi vermutlich ein Verhältnis mit ihrem Dienstherren hatte. Weil überführte Ehebrecher als unfähig galten, ein politisches Amt zu bekleiden, habe Tschudi beschlossen, Anna Göldi zu beseitigen, und den Hexenprozess initiiert. Insbesondere stellte Hauser fest, dass das Gericht, welches Anna Göldi zum Tod verurteilte, nicht zuständig war. Erstmals wurde in diesem Zusammenhang der Begriff Justizmord geprägt.

1982 veröffentlichte Eveline Hasler den Tatsachenroman «Anna Göldin, letzte Hexe». 1991 drehte Gertrud Pinkus die Filmbiografie «Anna Göldin – Letzte Hexe» mit Cornelia Kempers in der Titelrolle. Anlässlich des 225. Todestags von Anna Göldi wurde am 22. September 2007 das Anna-Göldi-Museum in Mollis eröffnet.

Am 13. Juni 2014 wurde in Glarus ein Mahnmal zu Anna Göldi errichtet. Vom Gerichtsgebäude strahlt aus zwei runden Fenstern im Dachgeschoss ein Licht in die Dunkelheit. Unten erinnert eine Tafel an den Hexenprozess von Glarus samt Anweisung in bestem Glarnerdeutsch: «Dett obe schiint es Liecht.» Das Mahnmal wurde von dem Basler Künstlerpaar Regula Hurter und Uri Urech konzipiert.[4]

Rehabilitation

Im März 2007 lehnten sowohl die Glarner Kantonsregierung als auch der reformierte Kirchenrat eine Rehabilitation Anna Göldis anlässlich ihres 225. Todestages ab, weil sie im Bewusstsein der Glarner Bevölkerung bereits rehabilitiert sei. Den Antrag auf Rehabilitation hatte der Jurist und Autor Walter Hauser eingereicht. Die Begründung dazu lieferte Hauser in seinem Sachbuch ‹Justizmord an Anna Göldi›.

Am 7. November 2007 überwies der Glarner Landrat eine Motion an den Regierungsrat mit dem Auftrag, Anna Göldi zu rehabilitieren.[5] Am 10. Juni 2008 beschloss der Regierungsrat, Anna Göldi 226 Jahre nach ihrer Hinrichtung vom Tatbestand der «Vergiftung» zu entlasten. Zugleich stellte die Regierung dem Parlament den Antrag, den Prozess vom Juni 1782 als Justizmord zu bezeichnen.[6]

Am 27. August 2008 genehmigte der Glarner Landrat einstimmig und ohne Diskussion den Beschluss der Regierung. Ausserdem erkannte er an, dass das damals gefällte Urteil in einem nicht rechtmässigen Verfahren zustande kam und Anna Göldi Opfer eines Justizmords war.[7][8]

Dokument

Steckbrief, Zürcher Zeitung vom 9. Februar 1782

In der Zürcher Zeitung erschien am 9. Februar 1782 ein vom Kanton Glarus als Inserat aufgegebener Steckbrief, mit dem Anna Göldi gesucht wurde:[9]

«Löblicher Stand Glarus, evangelischer Religion, anerbietet sich hiermit demjenigen, welcher nachbeschriebene Anna Göldin entdecken, und der Justitz einbringen wird, Einhundert Kronenthaler Belohnung zu bezahlen; womit auch alle Hohe und Höhere Obrigkeiten und Dero nachgesezte Amtsleuth ersucht werden, zu Gefangennehmung dieser Person all mögliche Hülfe zu leisten; zumahlen solche in hier eine ungeheure That, vermittelst geheimer und fast unbegreiflicher Beibringung einer Menge Guffen [Nadeln] und anderen Gezeug gegen ein unschuldiges acht Jahr altes Kind verübet hat.
Anna Göldin, aus der Gemeind Sennwald, der Landvogthey hohen Sax und Forstek zugehörig, Zürchergebiets, ohngefähr 40. Jahr alt, dicker und grosser Leibsstatur, vollkommnen und rothlechten Angesichts, schwarzer Haaren und Augbraunen, hat graue etwas ungesunde Augen, welche meistens rothlecht aussehen, ihr Anschauen ist niedergeschlagen, und redet ihre Sennwälder Aussprach, tragt eine modenfarbne Jüppen, eine blaue und eine gestrichelte Schos, darunter eine blaue Schlingen- oder Schnäbeli-Gestalt, ein Damastenen grauen Tschopen, weis castorin Strümpf, ein schwarze Kappen, darunter ein weisses Häubli, und tragt ein schwarzes Seidenbettli.
Datum, den 25. Jenner St. v. 1782.
Kanzley Glarus evangelischer Religion.»

Literatur

  • Walter Hauser: Der Justizmord an Anna Göldi. Neue Recherchen zum letzten Hexenprozess in Europa. Limmat, Zürich 2007, ISBN 978-3-85791-525-3; erweiterte NA: Anna Göldi – Hinrichtung und Rehabilitierung. Mit einem Beitrag von Kathrin Utz Tremp, Limmat, Zürich 2013, ISBN 978-3-85791-714-1.
  • August Ludwig von Schlözer: Abermaliger JustizMord in der Schweiz. In: Schlözer’s Stats-Anzeigen, II. Band, 7. Heft, Göttingen 1783, S. 273-277. Online
  • Heinrich Ludwig Lehmann: Freundschaftliche und vertrauliche Briefe den sogenannten sehr berüchtigten Hexenhandel zu Glarus betreffend – Erstes Heft. Christian Ulrich Wagner, Ulm 1783.
  • Heinrich Ludwig Lehmann: Freundschaftliche und vertrauliche Briefe den sogenannten sehr berüchtigten Hexenhandel zu Glarus betreffend – Zweytes Heft. Johann Caspar Füessly, 1783.
  • Kaspar Freuler: Anna Göldi, die Geschichte der letzten Hexe. Roman. Büchergilde Gutenberg, Zürich 1945; NA: Baeschlin, Glarus 2008, ISBN 978-3-85546-185-1.
  • Johannes Scherr, Christfried Coler: Die Hexe von Glarus. Verlag der Nationen, Berlin 1953
  • Eveline Hasler: Anna Göldin, letzte Hexe. Benziger, Zürich / Köln 1982, ISBN 3-545-36356-2, Taschenbuchausgabe: dtv, München 1985, ISBN 3-423-10457-0 / NA 2013: ISBN 978-3-423-14267-0.
  • Elisabeth Korrodi-Aebli: Auf den Spuren der letzten Hexe. Lizenziatsarbeit an der Universität Zürich 1996.
  • Nicole Lieberherr: Johann Melchior Kubli – Fürsprecher im Hexenhandel um Anna Göldi, Baeschlin, Glarus 2010, ISBN 978-3-85546-223-0.
  • Anton-Heinz Schmidt: Die Hexe gibt in Glarus wieder zu reden : Versuche zur Rehabilitation von Anna Göldi zum 225. Todestag. Selbstverlag, Aigen-Voglhub 2008.

Weblinks

 Commons: Anna Göldi – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Behringer: Hexen – Glaube, Verfolgung, Vermarktung. 5. Auflage, Beck, München 1998, S. 36.
  2. Haelschner, Hugo: System des Preußischen Strafrechts. Adolph Marcus, Bonn 1868.
  3. Marijke Gijswijt-Hofstra (et al.): Witchcraft and Magic in Europe: The Eighteenth and Nineteenth Centuries. Athlone, London, ISBN 0485890054.
  4. Glarus weiht Mahnmal zu Anna Göldi ein - Ein Licht für die letzte Hexe
  5. Weg frei für Rehabilitierung der «letzten Hexe», NZZ-Online vom 7. November 2007.
  6. Anna Göldi wird rehabilitiert, NZZ-Online vom 10. Juni 2008.
  7. Gerechtigkeit für Anna Göldi – 226 Jahre zu spät, Tagesanzeiger-Online vom 27. August 2008.
  8. Jürgen Dunsch: Die letzte „Hexe“ Europas war keine, FAZ-Online vom 28. August 2008.
  9. Abgedruckt bei Hauser, Justizmord (2007), S. 61, und bei Hasler, Anna Göldin (1982), S. 166. Vgl. Pulver, Elisabeth (Einleitung), Zwischenzeilen – Schriftstellerinnen der deutschen Schweiz, Bern: Zytglogge, 1985, S. 81. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)


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