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Angststörung

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Klassifikation nach ICD-10
F40.0 Agoraphobie
F40.1 Soziale Phobien
F40.2 Spezifische (isolierte) Phobien
F40.8 Sonstige phobische Störungen
F40.9 Phobische Störung, nicht näher bezeichnet
F41.0 Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst)
F41.1 Generalisierte Angststörung
F41.2 Angst und depressive Störung, gemischt
ICD-10 online (WHO-Version 2013)

Angststörung (auch: phobische Störung) ist ein Sammelbegriff für psychische Störungen, bei denen entweder eine übertriebene unspezifische Angst oder konkrete Furcht (Phobie) vor einem Objekt bzw. einer Situation besteht oder eine der Situation angemessene Angst fehlt. Auch die Panikstörung, bei der Ängste zu Panikattacken führen, zählt zu den Angststörungen.

Eine Angststörung wird von Betroffenen und Therapeuten meist nur als ein der Bedrohungslage nicht angemessenen Zuviel an Angst oder Furcht wahrgenommen. Sie kann nach den Erkenntnissen der Wagnisforschung aber auch in einem zu geringen Maß an Angst bestehen, was zu unbeherrschbaren Risikohandlungen verführen kann.

Begriffsbildungen

Der Wortteil „-phobie“ (von altgriechisch φόβος phóbos ‚Furcht‘, ‚Schrecken‘[1]) wird dem angstauslösenden Objekt angehängt: Alliumphobie (Knoblauchangst), Nosokomiophobie (Krankenhausangst), Hydrophobie (Wasserangst, Wasserscheu), Thanatophobie (Angst vor dem Tod) etc.

Definition

Angst, Angststörung

Angst ist zunächst ein notwendiger und normaler Affekt. Die Definition dessen, was unter „Angst“ zu verstehen ist, ist in anerkannter Weise von Karl Jaspers gegeben worden.[2] Die Definition dessen, was als „Angststörung“ zu verstehen ist, ist schwieriger zu geben. Die Kennzeichnung von Ängsten als „Störung“ stützt sich auf Kriterien, die der Orientierung dienen können, letztlich aber unscharf bleiben. Wir geben hier mehrere „Definitionen“ wieder, da jeder Autor andere „Kriterien“ als besonders wichtig für die Hineinnahme in seine Definition empfindet und durch die vergleichende Darstellung ein Höchstmaß an Einblick in die Komplexität der Störung entsteht. Klarer und einfacher ist dagegen die definitorische Kennzeichnung der „Phobie“ sowie die Abgrenzung der Phobien untereinander.

Volker Faust (1995) nennt für die Abgrenzung „pathologische Ängste“ (im Sinne einer Störung) gegen die „vielfältigen“ angemessenen „Ängste“ zwei Kriterien:

  • die „Unangemessenheit“ der Angstreaktion gegenüber den Bedrohungsquellen
  • die Symptomausprägung, wie Angstintensität, Fortbestehen der Angst (Persistenz), abnorme Angstbewältigung und subjektiver und körperlicher Beeinträchtigungsgrad.

Angst kann vor allem dann den Stellenwert einer Krankheitsbeeinträchtigung gewinnen, wenn

  • mögliche oder tatsächliche Bedrohung in ihrer Gefährlichkeit überschätzt werden (z. B. bei Herzphobie und Agoraphobie)
  • Angst ohne konkrete Gefahr und Bedrohungswahrnehmung auftritt (z. B. bei Panikattacken).

Abgrenzung Angststörung – Phobie

Phobien unterscheiden sich von konkreten oder gerichteten einfachen Ängsten definitionsgemäß dadurch, dass bei ihnen im Sinne der Angstabwehr eine unrealistische, durch den Willen unbeeinflussbare Verschiebung des Angstobjekts gegen bessere Einsicht erfolgt ist. Dadurch wird der Kreislauf unzureichender Angstabwehr auf immer weitere Gegenstände ausgedehnt, denen zwar jeweils eine geringere Angstbesetzung eigen ist, die jedoch zu immer ausgedehnteren Vermeidungshaltungen führen. Einfache Angststörungen bleiben dagegen diffus oder an reale Situationen bzw. an ein real in gewisser Weise nachvollziehbares Objekt gebunden.[3]

Klassifikation

Systematik der WHO

In Deutschland wird wie in den meisten europäischen Staaten zur Klassifikation und Diagnostik psychischer Störungen die sogenannte ICD der WHO herangezogen. Obwohl Angst ein „Affekt“ ist, werden Angststörungen, Panikattacken und auch phobische Störungen in der ICD-10, einem modernen Klassifikationssystem, nicht in der Rubrik F3 (Affektive Störungen), sondern im Kapitel F4 (Neurotische-, Belastungs- und somatoforme Störungen) kodiert. Menschen mit Angststörungen empfinden selber oft gar nicht die Angst als das hervorstechende Symptom. Stattdessen werden häufig körperliche Symptome, wie etwa Schwindel, Herzrasen, Zittern, verminderte Belastbarkeit oder auch Magen-Darm-Beschwerden zuerst genannt.

Im Unterkapitel F4 der ICD-10 werden die Agoraphobie, die Sozialen Phobien und die spezifischen (isolierten) Phobien unterschieden bzw. einzeln klassifiziert. Bei der Agoraphobie wird weiterhin zwischen der Agoraphobie ohne Panikstörung und der Agoraphobie mit Panikstörung unterschieden. Die spezifischen Phobien können ebenfalls weiter in folgende Subtypen unterteilt werden: Tier-Typ (z. B. Spinnen, Katzen), Naturgewalten-Typ (z. B. Gewitter, Wasser), Blut-Injektion/Verletzungs–Typ (z. B. Injektion durch Spritze), situativer Typ (z. B. Flugzeug, Fahrstuhl) und andere nicht näher bezeichnete Typen.

Im Laufe der Zeit und der Weiterentwicklung der diagnostischen Klassifikationssysteme sind einige zuerst zu den phobischen Störungen zählende Störungsbilder genauer oder an anderer Stelle eingeordnet worden. Die WHO zählt beispielsweise die (nicht wahnhafte) Dysmorphophobie und die Nosophobie nicht mehr zu den phobischen Störungen, sondern zu den hypochondrischen Störungen. Auch bezüglich der Agoraphobie gibt es einige Forschungsergebnisse, die eine andere Klassifikation fordern (siehe das US-amerikanische DSM-IV).

Da sich prinzipiell spezifische Phobien gegen alle denkbaren Situationen oder Gegenstände entwickeln können, ist eine spezielle Bezeichnung jeder phobischen Störung auch innerhalb der spezifischen Phobien kaum sinnvoll. Andererseits ist es für die medizinische Behandlung natürlich wichtig, die genauen auslösenden phobischen Stimuli (z. B. Spinnen, Fahrstühle) zu dokumentieren, da die Verhaltenstherapie unter anderem mit der Konfrontation mit den angstauslösenden phobischen Stimuli arbeitet.

Die Unterteilung in der ICD-10 ist wie folgt:

Phobische Störungen

Andere Angststörungen

  • Panikstörungen (ICD-10 F41.0): Spontan auftretende Angstattacken, die nicht auf ein spezifisches Objekt oder eine spezifische Situation bezogen sind. Sie beginnen abrupt, erreichen innerhalb weniger Minuten einen Höhepunkt und dauern mindestens einige Minuten an.
  • Generalisierte Angststörung (ICD-10 F41.1): Eine diffuse Angst mit Anspannung, Besorgnis und Befürchtungen über alltägliche Ereignisse und Probleme über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten, begleitet von weiteren psychischen und körperlichen Symptomen.
  • Angst und depressive Störung, gemischt (ICD-10 F41.2): Angst und Depression sind gleichzeitig vorhanden, eher leicht ausgeprägt ohne Überwiegen des einen oder anderen.

Diagnose

Im Mittelpunkt der Diagnostik steht das ärztliche oder psychotherapeutische Gespräch. Anhand der geschilderten Symptome kann der Psychiater oder psychologische Psychotherapeut eine erste Verdachtsdiagnose stellen. Um körperliche Beschwerden der Angst, wie zum Beispiel Atemnot und Herzrasen, von einer organischen Erkrankung unterscheiden zu können, muss zunächst eine ausführliche medizinische Untersuchung zum Ausschluss einer körperlichen Ursache erfolgen. Dazu sind meist auch laborchemische und technische Untersuchungen erforderlich (Blutuntersuchung, EKG und ähnliche). Erst nach Ausschluss einer körperlichen Erkrankung soll eine seelische Störung diagnostiziert und die Behandlung geplant werden.

Folgende Kriterien sprechen für eine phobische Störung:

  1. die Angst ist der Situation erkennbar nicht angemessen
  2. die entsprechenden Angstreaktionen halten deutlich länger an, als nötig wäre
  3. die besonders geartete Angst ist durch die Betroffenen weder erklärbar, beeinflussbar noch zu bewältigen
  4. die Ängste führen zu deutlichen Beeinträchtigungen des Lebens der Betroffenen
  5. die Ängste schränken den Kontakt zu fremden Menschen ein

Allgemeine Symptome

Herzklopfen, Pulsbeschleunigung, Schwindel, Schweißausbruch, Zittern, Beben, Mundtrockenheit, Hitzewallungen, Sprachschwierigkeiten, dazu Atembeschwerden, Beklemmungsgefühl, Brustschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, auch Bewusstseinsstörungen, zum Beispiel das Gefühl, verrückt zu werden, das Gefühl, dass Dinge unwirklich sind oder man selbst „nicht richtig da“ ist, dass man nicht mehr die Kontrolle über die eigenen Gedanken hat, Benommenheit, Angst zu sterben, allgemeines Vernichtungsgefühl. Jeder vierte Patient mit Angststörung klagt über chronische Schmerzen.[4]

Erscheinungsformen

Spezifische Phobien

In Bezug auf ein spezifisches Objekt oder eine Situation oder einen Ort bildet sich die Angstsymptomatik. Es besteht eine deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome. Die angstauslösenden Objekte beziehungsweise Situationen werden vermieden. Gleichzeitig besteht die Einsicht, dass die Ängste übertrieben oder unvernünftig sind. Beim Anblick des angstauslösenden Objekts beziehungsweise der Situationen kommt es zu den oben beschriebenen Symptomen.

Agoraphobie

Der aus dem Griechischen stammende Begriff Agoraphobie bedeutet wörtlich „Angst vor dem Marktplatz“. Es handelt sich um eine Angst, das eigene Haus zu verlassen, Geschäfte zu betreten, sich in eine Menschenmenge, auf öffentliche Plätze zu begeben oder allein in Zügen, Bussen oder Flugzeugen zu reisen. Die Betroffenen suchen in solchen Situationen häufig panisch nach einem möglichen Fluchtweg.[5]

Die Agoraphobie wird oft mit der Klaustrophobie (Raumangst), der Angst vor dem Eingeschlossensein, verwechselt.[6] Allgemein ist damit eine Angst vor öffentlichen Räumen, Menschenansammlungen oder Situationen gemeint, bei denen eine Flucht oder Hilfe schwierig scheint. Diese Art von Angst tritt besonders heftig auf, wenn sich der Betroffene allein an diesen Orten aufhält. Unter Akrophobie leidende Personen vermeiden daher öffentliche Verkehrsmittel, lange Autofahrten auf Autobahnen oder abgelegenen Landstraßen, aber auch etwa einen Bummel durch die Innenstadt. Zum Teil sind Betroffene nur in Begleitung einer vertrauten Person in der Lage, die alltäglichen Anforderungen zu meistern. In schweren Fällen kommt es zu einer Isolation, wenn beispielsweise das Haus oder die Wohnung als schützende Räume nicht mehr verlassen werden oder verlassen werden können.

Die Agoraphobie tritt häufig in Verbindung mit der sogenannten Panikstörung auf. Es wird daher vermutet, dass sich die Agoraphobie nicht durch Modell-Lernen und klassisches Konditionieren wie die spezifischen Phobien entwickelt, sondern infolge einer Panikstörung auftritt.

Einzelne Phobien

Hauptartikel: Liste von Phobien

Es gibt eine Unzahl von möglichen Phobien; phobische Reaktionen können sich auf alles und jedes richten. Im Folgenden sind einige bekanntere spezifische Phobien aufgelistet:

Soziale Phobie

Bei der sozialen Phobie bezieht sich die angstbesetzte Situation auf Situationen, die Kontakte mit anderen Menschen erfordern. Daher kann schon die Interaktion mit einem anderen Menschen eine Überforderung darstellen.

Symptome:

  • starke Ängste, sich in bestimmten sozialen Kontexten zu zeigen
  • extreme Angst, in dieser Angst erkannt und öffentlich beschämt zu werden
  • vor und in angstbesetzten Situationen starke körperliche Reaktionen (Herzrasen, Schwitzen, Übelkeit, Atemnot, Stimmversagen u. a.)
  • starkes Vermeidungsverhalten, dadurch oft ausgeprägtere Defizite beim Reifungsprozess [des Heranwachsenden] und Defizite bei der Wahrnehmung sozialer Verantwortung
  • häufig in der Folge sehr schlechtes Selbstbewusstsein, Versagensgefühle, Unterlegenheitsgefühle, Furcht vor Kritik
  • Erröten, Zittern der Hände, Vermeidung von Blickkontakt, Übelkeit, auch Harndrang

Ein nahe verwandtes Bild mit fließendem Übergang zur Sozialen Phobie ist die so genannte Erythrophobie, die Furcht vor dem Erröten (in Gegenwart anderer). Außerdem gibt es die Paruresis, die verhindert, dass Menschen - insbesondere Männer - in der Öffentlichkeit Wasser lassen können.

Panikstörungen

Die Panikstörungen zeichnen sich dadurch aus, dass wiederholt schwere impulsive Angst- oder Panikzustände auftreten, die sich nicht auf spezifische Situationen beschränken und deshalb nicht vorhersehbar sind. Panikattacken gehen besonders häufig einher mit plötzlichem Herzklopfen, Herzrasen oder unregelmäßigem Herzschlag. Es können ebenfalls Brustschmerzen, Erstickungsgefühle, Zittern, Schwitzen, Schwindel und das Gefühl der Entfremdung auftreten. Die Betroffenen haben Todesangst, befürchten zum Beispiel einen Herzstillstand oder Herzinfarkt. Immer wieder treten auch Gefühle von Derealisation auf und die Angst, verrückt zu werden. Dazu kommen die übrigen beschriebenen Symptome. Diese Anfälle dauern in der Regel nur wenige Minuten, manchmal etwas länger. Da diese Situationen plötzlich und unberechenbar auftreten, entsteht schließlich eine Angst vor der Angst. Spezifisch für die Panikstörung ist es, dass die Betroffenen oft den Zusammenhang zwischen den körperlichen Symptomen und ihrer Angst nicht erkennen und die Symptome fehlinterpretieren.

Generalisierte Angststörung

Unter die generalisierten Angststörungen werden anhaltende Symptome von Angst zusammengefasst, die sich ebenfalls nicht auf bestimmte Situationen beschränken. Dabei treten folgende Symptome auf: Nervosität, Zittern, Muskelspannung, Schwitzen, Benommenheit, Herzklopfen, Hyperventilation, Schluckbeschwerden, Schwindelgefühle, Oberbauchbeschwerden, Ruhelosigkeit, Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit und Einschlafstörungen auf Grund der ständigen Besorgnis und Angst. Die Betroffenen kennen den Auslöser ihrer Angst oft nicht. Sie werden zum Beispiel von der Furcht gequält, dass sie oder ihre Angehörigen erkranken oder Unfälle erleiden könnten.

Angst und depressive Störung, gemischt

Zu den Symptomen der Angst kommen die der Depression. Man hat festgestellt, dass es durch die Angstsymptome, die häufig anfangs nicht als diese erkannt werden, auch noch zu Depressionen kommen kann. Man fühlt sich schlecht, weil anfangs kein Arzt helfen kann und eben keine körperlichen Symptome gefunden werden (Blut, Nerven etc.). Es kann daher vorkommen, dass man sich irgendwelche schweren körperlichen Erkrankungen einredet (Tumor etc.) und somit noch mehr darunter leidet. Dies kann sich mit der Zeit bis zur Depression aufschaukeln.

Auch die Feststellung, durch die Angst in der eigenen Leistungs- und Belastungsfähigkeit eingeschränkt zu sein, führt häufig dazu, dass sich die Betroffenen minderwertig oder schwach fühlen. Hinzu kommt die Scham über die sichtbaren Symptome, oder darüber, nicht „voll zu funktionieren“.

Häufigkeit

Spezifische (isolierte) Phobien sind nach neueren Studien in der Bevölkerung recht häufig. Dennoch sucht nur ein kleiner Teil der Betroffenen fachmännische Hilfe. Da insbesondere die einfachen Phobien nicht immer das Alltagsleben beeinträchtigen, ist eine Bestimmung der Häufigkeit nicht einfach. Es werden für die Lebenszeitprävalenz Zahlen von etwa elf Prozent für die einfachen Phobien, von etwa 13 Prozent für die soziale Phobie und von fünf Prozent für die Agoraphobie genannt. Generell treten Angststörungen bei Frauen etwa doppelt so häufig wie bei Männern auf, insbesondere ist der Unterschied bei der Agoraphobie ausgeprägt.[7]

In der psychiatrischen Praxis sind Angsterkrankungen in der Relation häufig anzutreffen. Nach einer Studie der WHO 1996 litten etwa 8,5 % der Patienten in deutschen Allgemeinarztpraxen an einer generalisierten Angststörung und 2,5 % an einer Panikstörung.

Menschen mit Panikstörungen leiden in der Hälfte der Fälle zusätzlich an einer Agoraphobie. Fast 20 % der Patienten, die sich in den USA in einem allgemeinmedizinischen Krankenhaus vorstellten, litten an einer Angsterkrankung, 41 % davon unbehandelt.[8]

Ursachen

Wie bei den meisten psychischen Störungen gibt es auch bei der generalisierten Angststörung, bei sozialen Ängsten, Panikattacken und Phobien bislang keine abschließenden Erkenntnisse bezüglich deren Ursachen.[9] Aktuell geht man von einer Vielzahl verursachender oder auslösender Faktoren aus, die erst im Zusammen- und Wechselwirken den tatsächlichen Ausbruch der Störung bewirken. Je nach psychiatrischer oder psychotherapeutischer Sichtweise werden andere Ursachen erforscht. So tragen alle in der Fachwelt anerkannten theoretischen Ausrichtungen aus ihrem speziellen Blickwinkel zur Erforschung von Ursache und Entstehung (Entwicklung) dieser Störungen bei.

Schilddrüsenfehlfunktionen

Sowohl eine Überfunktion (Ursache: meist Morbus Basedow oder Schilddrüsenautonomie) als auch eine Unterfunktion (Ursache: meist Hashimoto-Thyreoiditis) der Schilddrüse können zu Angst und Panikattacken führen. Dies kann bei Hashimoto auch im Anfangsstadium vorkommen, wenn die Laborwerte noch unauffällig sind.

Psychologische Modelle

Die Angstpsychologie unterscheidet seit Charles Spielberger (1966) zwischen

  • einer sogenannten „Trait-Angst“, die sich als ein relativ stabiler, durchgängiger Charakterzug kennzeichnet und
  • einer sogenannten „State-Angst“, die je nach Sachlage als ein vorübergehender Gemütszustand auftritt.[10]

Persönlichkeitsmodelle der Psychologie, die dimensional konzipiert sind, stimmen im Wesentlichen in der Annahme überein, dass es eine Art genetischer Disposition zur „Ängstlichkeit“ gibt, die bei starker Ausprägung (Dimensionierung) eine Schwachstelle (vulnerabler Bereich) in der psychischen Konstitution darstellt, die zum Kristallisationspunkt einer Angststörung werden kann. “Strategisches Ziel der Selbsterziehung“ muss es nach Siegbert Warwitz sein, „möglichst viele der frei flottierenden Ängste in Furcht zu verwandeln, die sich besser beherrschen und therapieren lassen.[11]

Kognitive Schemata und soziale Kompetenz

Es ist unbestritten, dass Menschen, die unter vermehrten Ängsten leiden, die Welt anders und teilweise verzerrt wahrnehmen. Auf Dauer gesehen wird aus dieser verzerrten Wahrnehmung dann eine falsche „Bewertung“ der äußeren Welt. Man spricht in der kognitiven Therapie von der Entwicklung und Einnistung sogenannter „maladaptiver kognitiver Schemata“, also einer Art verinnerlichter „Vorurteile“ oder zumindest „Fehlurteile“ über die Gefährlichkeit der Welt. In einem weiteren Schritt kommt es dann zu einem unangemessen starken „Vermeidungsverhalten“, um diesen vermeintlich drohenden Gefahren auszuweichen. Dieses „Vermeidungsverhalten“ wiederum führt zu einer mehr oder weniger starken, oft fortschreitenden Einengung des Aktionsradius und der Aktivitäten überhaupt, im weiteren Schritt oft zu Rückzug und Isolation. Der Betreffende bleibt in der Regel mehr oder weniger weit hinter seiner eigentlichen gesellschaftlichen Leistungsfähigkeit zurück. Der Erwerb einer verlässlichen sozialen Kompetenz wird dadurch erschwert oder verhindert.

Entwicklungsmodelle

Aus der Entwicklungspsychologie und aus der täglichen Erfahrung mit Kindern ist bekannt, dass es gewisse „typische“ und „altersgebundene“ Ängste gibt. Kapfhammer (2000) nennt das „Fremdeln“, die „Trennungsangst“, die „Schulangst“, „Tierängste“. Er weist darauf hin, dass Zusammenhänge bestehen zwischen

  • dem späteren Auftreten von Panikstörung oder Agoraphobie einerseits und frühkindlichen Trennungsängsten (Bolwby, 1976) bzw. Trennungsängsten und Schulphobie (Gittleman u. Klein, 1984) andererseits
  • dem späteren Auftreten einer generalisierten Angststörung einerseits und frühen familiären Traumatisierungen „(Konflikte zwischen den Eltern, Konflikte mit den Eltern, sexuelle Traumatisierungen, mangelhafte Aufmerksamkeit, niedriges Prestige der Familie, stärkere körperliche Züchtigungen)“ (Angst und Vollrath, 1991) resp. Aufwachsen in einer Alkoholikerfamilie (Mathew et al. 1993; Tweed et al. 1989) andererseits
  • dem späteren Auftreten von Phobien einerseits und kindlicher Angst vor Beschämung bei hohen elterlichen Ansprüchen (Parker, 1979), sozialphobischem Vorbildverhalten der Mütter (Bruch et al., 1989) oder übertriebener Besorgnis der Eltern vor Kritik durch Außenstehende (Bruch und Heimberg, 1994) andererseits.

Lerntheoretische Modelle

Der von Orval Hobart Mowrer entwickelte Ansatz geht davon aus, dass Ängste durch (klassische und operante) „Konditionierung“ entstehen im Sinne von pathologischen (=krankhaften, unangemessenen) Angstreaktionen auf ursprünglich neutrale Stimuli, die durch zeitliche und/oder räumliche Kontingenz zu einer realen angstauslösenden Situation im Rahmen von Lernerfahrungen zu einem konditionierten Angststimulus werden. Durch Vermeiden dieser Situation wird der Stimulus vermieden und damit auch die Angst reduziert. Das führt zu einer negativen Verstärkung des Vermeidungsverhaltens, d. h. der Betreffende „lernt“, dass das Vermeiden gut für ihn ist, indem es ihn vor aufkommenden Ängsten schützt.

Wie bei den kognitiven Schemata auch (s.o.) handelt es sich um ein fehladaptiertes, d. h. nicht wirklichkeitsgerechtes Lernen, bei dem zwischen der eigentlichen Angstquelle und dem symbolischen Stimulus nicht mehr unterschieden werden kann. Aufgrund der anhaltenden Vermeidung bleibt eine korrigierende Lernerfahrung aus, sodass sich pathologische Angstreaktion „etabliert“.

Bei der Panikstörung spielt eine positive Rückkopplung „zwischen körperlichen Sensationen (z. B. wahrgenommene Veränderung der Herzrate) und kognitiven Bewertungsvorgängen als Gefahr (z. B. „drohender Herzinfarkt“) mit einer hieraus resultierenden eskalierenden Angstreaktion“ eine große Rolle.

Eine wichtige Bedeutung insbesondere bei der Entstehung einer generalisierten Angststörung (Blazer, 1987), aber auch einer Panikstörung (Finlay-Jones u. Brown, 1981; Goldstein u. Chambless, 1978; Faravelli u. Pallanti, 1989) kommen schwerwiegenden, negativen (und traumatisierenden) Lebensereignissen zu (sogenannte „life events“).

Psychodynamische Modelle

Einen Versuch, das psychodynamische Verständnis von Angststörungen in heutiger Sicht zusammenfassend darzustellen, unternahm Huber (1999):

„Die unmotivierte, nicht objektgebundene Angst kann als existentielle Angst (Untergrundangst) im normalen und nichtneurotischen Seelenleben als allgemeine Grunderfahrung des Menschen vorkommen (…). Sie kann aber bei der Angstneurose auch Leitsymptom einer neurotischen Entwicklung sein; doch muss hier stets vorrangig eine endogene, schizophrene oder zyklothyme Erkrankung ausgeschlossen werden. Bei der Angstneurose (FREUD, 1895) tritt die Angst bei den hilflos-anklammernd erscheinenden Patienten als mit vegetativen Symptomen einhergehender Angstanfall (der phänomenologisch der „neurotischen Herzphobie“, …, und den „dysästhetischen Krisen“ bei endogenen Psychosen entsprechen kann) oder als nicht auf ein bestimmtes Objekt bezogenes, frei flottierendes, intensives, länger anhaltendes Angstsyndrom auf. FREUD nahm ursprünglich als Ursache einen aktuellen Konflikt in Form sexueller Frustration mit Umsetzung verdrängter Libido in einen Angstaffekt an (…), z. B. bei Coitus interruptus oder Aufgabe von Ipsation (Onanie). Später und bis heute denkt man mehr an Trennungsängste (Verlassenwerden und dadurch bedingte Hilflosigkeit) bei Menschen, die in der Biographie Züge von Trennungsempfindlichkeit (angstneurotische Familienkonstellation) zeigen und stark von Schutzfiguren abhängig sind; ähnlich wie bei der Herzphobie (…) kann die Anwesenheit von Schutzfiguren, z. B. eines Arztes, das Symptom beheben. Angstneurotische Symptome kommen für sich allein oder kombiniert mit anderen neurotischen Erscheinungen, z. B. auch mit – lokalisierten – Phobien vor. Übereinstimmung besteht darin, dass Angstneurosen wie Phobien Ausdruck ungelöster Konflikte sind, wobei besonders die unbewusste Angst, Zuwendung zu verlieren, alleingelassen zu werden, Aggressionshemmung und Verkehrung ins Gegenteil eine Rolle spielen.“

Huber, Psychiatrie (1999) S. 460

Sigmund Freud kannte das Phänomen Angst in zwei Zusammenhängen:

  • als Ausdruck bzw. als Folge eines innerpsychischen Konfliktes, etwa zwischen einem verbotenen triebhaften Impuls und einem strengen Gewissen. Angst resultiert hiernach durch die unvollständige Unterdrückung einer Wunschregung, z. B. eines sexuellen Verlangens und der Angst vor Bestrafung, sie ist Ergebnis eines Abwehrvorganges (Freud, 1895).
  • als Signalangst. In dieser Funktion signalisiert die Angst dem Ich das Vorhandensein einer inneren Bedrohung, z. B. durch ähnliche Konflikte wie oben genannt. Sie steht dann am Beginn einer Schutzmaßnahme durch das Ich und ist somit Initiator eines Abwehrvorganges (Freud, 1926).

Nach psychoanalytischem Verständnis handelt es sich bei der Ausbildung einer Phobie in allererster Linie um eine aktive psychische Leistung und zwar im Besonderen um das Ergebnis einer intrapsychischen Abwehr: angsterregende Bewusstseinsinhalte werden verdrängt, wobei an die Stelle der ursprünglichen Inhalte (es kann sich um Vorstellungen oder Gefühle handeln) belanglose äußere Situationen gesetzt werden. Die Angst wird also an einen anderen „harmlosen“ Ort verschoben, dem der „eigentliche (verbotene und deshalb angstbesetzte und verdrängte) Inhalt“ nicht mehr angesehen und zugeordnet werden kann. Die Verschiebung ist selbst für den Betreffenden selber nicht mehr bewusst, auch er staunt, wo die Angst herkommt. Es ist zu beachten, dass die Phobie mehr als einfache Verdrängung ist. Diese würde zu einer akzeptablen Lösung nicht ausreichen. Durch die Verdrängung des spezifischen Vorstellungsinhaltes erfährt nämlich die vorher gebundene und gerichtete Furcht eine Regression zu einer ungebundenen entdifferenzierten diffusen Angst, die wegen des freien Flottierens äußerst schlecht zu ertragen ist. In einer zweiten Phase muss daher der Hauptabwehrmechanismus des phobischen Modus, nämlich die Verschiebung, zum Einsatz kommen, wodurch „künstlich“ die Bindung an einen neuen Inhalt erreicht wird. Greenson formulierte dies einmal so: „Eine Form der Angst wird als Abwehr gegen eine andere Angst benutzt.“

Der Vorteil des Verschiebungsmechanismus liegt darin, dass aus der ursprünglichen inneren Gefahr eine äußere konstruiert wird: eine äußere Gefahr hat den „Vorteil“, dass sie leichter vermieden werden kann als eine innere.

Wie bei allen neurotischen Lösungsversuchen handelt es sich auch bei der Phobie um einen Kompromiss, der darin besteht, dass auf der einen Seite die verbotenen Wünsche und Strebungen unbewusst bleiben können und nicht wirksam werden, auf eine verzerrte Weise, nämlich als phobische Reaktion, aber dennoch partiell ausgelebt werden können.

Neurobiologische Modelle

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Das neuroanatomische Modell

Bei der Angstregulation sind vor allem

Das Neurotransmitter-/Rezeptormodell

In der Pathophysiologie von Ängsten wird die Rolle verschiedenster Neurotransmittersysteme (chemische Botenstoff-Systeme) diskutiert. Es handelt sich dabei um

Die inhibitorische (hemmende) Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) ist der am meisten mit Angststörungen und deren medikamentöser Behandlung in Verbindung gebrachte Transmitter. Die Substanzgruppe der „Benzodiazepine“ setzt mehrheitlich am sogenannten GABA-A-Rezeptorkomplex an, bewirkt dort über die Freisetzung von Chloridionen eine Hyperpolarisation der Rezeptormembran, was zu einer Verstärkung der gaba-ergen Hemmung der Ansprechbarkeit des Rezeptors gegenüber erregenden Impulsen führt.

Dieser indirekte Effekt der Verstärkung einer gaba-ergen Hemmung durch Benzodiazepine führt klinisch zur Reduktion der Angstsymptomatik.

Verschiedene Serotonin-Rezeptoren (5-HT1A-Rezeptor sowie 5-HT2- und 5-HT1C) des serotonergen Systems sind ebenfalls an der Angstmodulation beteiligt. Deshalb wirken folgende Substanzen angstlösend (anxiolytisch)

  • Buspiron
  • Imipramin, MAO-Hemmer, Trazodon
  • SSRI, MAO-Hemmer

Das noradrenerge System ist wesentlich für die körperlichen Begleitsymptome bei Angstzuständen verantwortlich und wird über postsynaptische ß1-Rezeptoren vermittelt.

Behandlungsmöglichkeiten

Zur Therapie von Angststörungen (generalisierte Angststörung, Panikstörung, Panikattacken) und Phobien kommen verschiedene Behandlungsverfahren aus den Arbeitsfeldern der Psychologie, der Psychotherapie, der Medizin, der Angst- und Wagnisforschung zum Einsatz. Mit einer neuen S3-Leitlinie[12] liegt ein wissenschaftlich begründeter Konsens aus dem Bereich der Medizin zur Behandlung von Angststörungen vor.

Psychotherapie

Da sich Angststörungen in der Regel aus einem Missverhältnis der äußeren Lagebeurteilung und der eigenen subjektiven Befindlichkeit ergeben, wird nach dem Yerkes-Dodson-Gesetz der Angst bei der Behandlung ein geregelter, mental wie emotional gesteuerter Umgang mit den überschießenden Ängsten angestrebt.[13] Dabei geht es um eine angemessene Angstkontrolle, nicht aber um völlige Angstfreiheit, weil die subjektive Gefahrenwahrnehmung und das Warnsystem vor dem persönlich zuträglichen Wagnis erhalten bleiben muss. Ein Vorgehen nach dem "Prinzip der graduellen Annäherung" und "behutsamen Konfrontation" hat sich bei dieser Zielsetzung als erfolgreiche Methode bewährt.[14]

Im Unterschied zu der landläufigen Vorstellung, dass eine Angststörung nur oder vornehmlich in überschießenden Ängsten bestehe, die es zu bewältigen gelte, sieht die Wagnisforschung auch im Gegenteil, einem Zuwenig an Angst oder Furcht, eine Angststörung, die behandlungsbedürftig ist. Defizite bei der Funktion des Warnsystems Angst können bei Risikohandlungen wie jugendlichen Mutproben oder im Extremsport nicht minder fatale Folgen haben als übersteigerte Ängste. Nach Warwitz[15] vollzieht sich das verantwortungsbewusste Eingehen von Risiken in einem ausgewogenen Spannungsverhältnis von Wagemut und Angst. Tollkühnes Wagen weist auf eine -zumindest zeitweise- defizitäre Angstkonstitution hin, die für den Betroffenen ebenso gefährlich sein kann wie eine panische Überreaktion. Sie muss entsprechend in ein Gleichgewicht gebracht werden, was Warwitz mit dem Bild der Waage verdeutlicht. Im Gegensatz zur Behandlung überdimensionierter Ängste ergibt sich bei den defizitären Ängsten das Problem, dass bei den Betroffenen meist kein unmittelbarer Leidensdruck besteht, der sie zu einer therapeutischen Maßnahme drängt.

Tiefenpsychologie

Psychoanalytische und tiefenpsychologische Behandlungsmethoden basieren auf den theoretischen Grundannahmen der Psychoanalyse, denen zufolge die Angstsymptomatik Ausdruck eines unbewussten Konfliktes mit misslungener Kompromisslösung ist. Die Aufdeckung dieses Konfliktes und das „Durcharbeiten“ unter Reaktivierung der ursprünglichen Affekte soll den Angstaffekt dann überflüssig machen und wieder zum Verschwinden bringen.

Verhaltenstherapie

Bei der Verhaltenstherapie der Phobien, Angst- und Panikstörungen geht es v. a. darum, sich den Ängsten und angstbesetzten Situationen gezielt und in zunehmender Dosis auszusetzen, bis alle zuvor gemiedenen Situationen wieder in Besitz genommen und in das normale Leben integriert werden können. Man bedient sich hierzu der Reizkonfrontation, die in zwei Formen ablaufen kann.

  • Reizüberflutung („flooding“): Es erfolgt unter paralleler therapeutischer Begleitung eine Konfrontation mit einer maximal angstauslösenden Situation, die solange ausgehalten werden muss, bis eine physiologische Gewöhnung eintritt und der Patient lernt, dass die gefürchteten katastrophalen Folgen ausbleiben. Auf dieses Verfahren wird im deutschsprachigen Raum inzwischen wegen ethischer Bedenken weitgehend verzichtet.
  • Abgestufte Reizexposition: systematische Desensibilisierung durch stufenweise gesteigerte Reizexposition, bis alle Hierarchiestufen bis zum Maximum durchlaufen wurden.

Bei der Kognitiven Therapie, die häufig mit klassischen verhaltenstherapeutischen Verfahren kombiniert wird, soll der Patient seinen Denk- und Bewertungsstil ändern. Theoretische Grundlage ist die Annahme, dass vor allem eine „Fehlbewertung“ der angstauslösenden Situation die heftige Angst und Vermeidungsreaktion hervorruft und immer weiter verstärkt. Dabei kann die Frage nach der Finalität der Angst sehr hilfreich sein: Was möchte der Patient mit seiner Angst (unbewusst) erreichen.

Medikamente

Zur Behandlung von Angsterkrankungen werden anxiolytisch (angstlösend) wirkende Medikamente eingesetzt.[16]

Zu den gängigen angstlösenden Arzneistoffen zählen:[17][18]

Die o.g. anxiolytischen Wirkstoffe unterscheiden sich in Struktur, Wirksamkeit, Suchtgefahr und Nebenwirkungsprofil sehr stark voneinander. Die Verordnung eines Anxiolytikums erfolgt daher in der Regel durch einen erfahrenen Arzt.[19]

Entspannungsverfahren

Ängste sind in aller Regel von körperlichen Symptomen, v. a. auch von Verspannungen begleitet, die wiederum negativ auf die Angstsymptomatik und die körperlichen Symptome zurückwirken und diese verstärken oder zumindest aufrechterhalten. Deshalb ist ein wichtiger Ansatz bei der Angsttherapie die Beseitigung von Spannungen durch Entspannungsverfahren. Zum Einsatz kommen

Selbsthilfegruppen

Sofern nicht die Krankheit selbst dem Betroffenen hier Schwierigkeiten bereitet, können Selbsthilfegruppen eine sehr wichtige Ergänzung für die anderen Behandlungsformen sein und/oder nach Ende einer Behandlung deren Erfolge sichern helfen. In den letzten Jahren wird auch das Internet für die Hilfe Betroffener untereinander vielfältig genutzt.

Sport

Mit körperlichem Training lassen sich Angstsymptome eindämmen. Bei der Betrachtung der Sportdauer schnitten Übungszeiten von mindestens 30 Minuten am besten ab. Diese nicht-pharmakologische Behandlung eignet sich auch besonders für Patienten, die Medikamente ablehnen.[20]

Verlauf

Angststörungen können sich aus einer „ganz normalen“, klinisch noch nicht relevanten Schüchternheit heraus entwickeln.[21] Sie neigen zu einer Chronifizierung, das heißt, zu einer dauernden Anwesenheit, wenn sie nicht behandelt werden. Bei der Panikstörung beispielsweise kommt es nur bei 10 bis 30 % der Betroffenen spontan (d. h. ohne Behandlung bzw. nicht als Folge einer Behandlung) zu einer vollständigen Gesundung.

Psychotherapie und Medikamenteneinnahme verbessern die Prognose wesentlich. Die isolierten Phobien sind sehr gut zu behandeln.

Grundsätzlich gilt: Je früher eine Behandlung begonnen wird, desto günstiger ist der Verlauf.

Begleiterkrankungen

Angststörungen weisen eine hohe Komorbidität sowohl untereinander, als auch zu Depressionen, somatoformen Störungen und Substanzstörungen (intrapersonal gesteuerter Gebrauch von psychotropen Stoffen) auf. Die Wahrscheinlichkeit, eine komorbide Störung zu entwickeln, ist bei Panikstörungen und Agoraphobie am höchsten. Sekundäre Depressionen sind am häufigsten bei Panikstörungen, gefolgt von der Generalisierten Angststörung und der Agoraphobie. Substanzstörungen als Folge einer Angststörung werden als Versuch der Selbstmedikation betrachtet.

Geschichtliche Aspekte der Angsttherapie

Auch wenn der Begriff Phobie erst im 19. Jahrhundert in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt wurde, so kann er doch rückblickend auf vielseitige Traditionen bezogen werden. Von den Griechen wurde Phobos, der Begleiter des Kriegsgottes Ares, vor Kampfhandlungen beschworen. Auch die Ängste, die man im 20. Jahrhundert als Kriegsneurosen bezeichnete, bezogen sich auf ähnlich konkrete äußere Gefahren. In Religion, Kunst und Literatur wurden Ängste häufig mit dem Tierreich in Verbindung gebracht (Tierphobie). Viele Inhalte der Mythologie finden ihren Ausdruck in Tierphobien und sind nach C. G. Jung für den Mutterarchetyp charakteristisch. Sie finden ein Echo im Reichtum religiösen Gefühls, das der „Offenbarung williges Gefäß“ ist.[22]

Der Ausdruck Phobie wurde erstmals gegen 1870 in der Psychiatrie benutzt. Er sollte ein Leitsymptom einer Neurose bezeichnen. Für die Psychoanalyse galt Phobie nicht als eine bestimmte Neurose, sondern als Symptom der Angsthysterie.[23] Der Ausdruck „Angsthysterie“ wurde 1908 von Wilhelm Stekel auf Vorschlag von Sigmund Freud eingeführt. Freud bevorzugte diesen Ausdruck, da er ihm erlaubte, die Sexualität im Zentrum des phobischen Symptoms zu sehen. Diese Vorstellung Freuds schien insbesondere bei der Hysterie zuzutreffen, obwohl sie sich auch bei der Zwangsneurose und auch bei der Angstneurose bestätigen ließ, die Freud zu den Aktualneurosen rechnete.[24] Auch zwanghafte Sauberkeit und Enthaltsamkeit dienten der Abwehr alles Sexuellen. Auch bei psychotischen Störungen stellte Freud phobische Symptome fest. Erst bei der Analyse des kleinen Hans (Herbert Graf) im Jahre 1909 stellte sich heraus, dass hier die Libido nicht im Konversionssymptom, in innerseelischen Störungen oder im inneren Gefühl existentieller Bedrohung gebunden ist. Die Angst richtete sich vielmehr auf konkrete externalisierte Objekte.[25]

Trivia

Anatidaephobie ist eine erfundene Phobie, welche die Angst umfassen soll, „von einer Ente beobachtet zu werden“. Die Erfindung wird Gary Larson zugeschrieben, welcher sie für seinen Cartoon The Far Side verwendete. Tatsächlich ist dies keine Angststörung. In der deutschen Fernseh-Talkshow Domian meldete sich jedoch am 7. Februar 2013 eine Patientin, die berichtete, wegen einer Anatidaephobie in psychotherapeutischer Behandlung zu sein und dazu einen detaillierten Krankheitsverlauf schilderte.[26]

Siehe auch

Medizinische Leitlinien

Literatur

  • B. Bandelow, J. Zohar, E. Hollander, S. Kasper und H. J. Möller: Leitlinien der World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) für die medikamentöse Behandlung von Angst-, Zwangs- und posttraumatischen Belastungsstörungen. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2005, ISBN 978-3-8047-2208-8.
  • Ronald J. Comer: Klinische Psychologie. 2. korrigierte Auflage, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2001, ISBN 3-8274-0592-0.
  • Horst Dilling (Hrsg.), W. Mombour, M. H. Schmidt, E. Schulte-Markwort: Internationale Klassifikation psychischer Störungen (ICD 10 Kapitel V). Huber, Bern 2004, ISBN 3-456-84124-8.
  • Holger Bertrand Flöttmann: Angst. Ursprung und Überwindung. 6. Auflage, Kohlhammer, Stuttgart 2005, ISBN 978-3-17-021784-3.
  • S. O. Hoffmann, M. Bassler (1992): Psychodynamik und Psychotherapie von Angsterkrankungen. in: Nervenheilkunde 11: S. 8–11
  • Gerd Huber: Psychiatrie. Lehrbuch für Studium und Weiterbildung. 7. Auflage, Schattauer, Stuttgart 2005, ISBN 978-3-7945-2214-9.
  • H.-P. Kapfhammer: Angststörungen. In: Hans-Jürgen Möller, Gerd Laux, H.-P. Kapfhammer (Hrsg.): Psychiatrie und Psychotherapie, S. 1185 ff., Springer-Verlag, 2000, ISBN 3-540-64719-8.
  • Robert-Koch-Institut (Hrsg.), Hans-Ulrich Wittchen, Frank Jacobi: Themenheft 21 – Angststörungen, Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2004, ISBN 3-89606-152-6.
  • Rudolf Marx: Angststörungen - eine Einführung. In: Beiglböck et al.: Handbuch der klinisch-psychologischen Behandlung. 2. Auflage, Springer, Wien 2006, Seiten 197-203.
  • Hans-Jürgen Möller, Gerd Laux, Mirijam Fric, Andrea Schnitzler (Illustrationen): Psychiatrie und Psychotherapie. 2. Auflage, Thieme, Stuttgart 2011 ISBN 978-3-13-145432-4 (= Memorix).
  • A. Perkonigg, H. U. Wittchen: Epidemiologie von Angststörungen. In: S. Kasper, H.-J. Möller (Hrsg.): Angst- und Panikerkrankungen. Fischer, Jena / Stuttgart, 1995, Seiten 137–156
  • Maren Sörensen: Einführung in die Angstpsychologie. Deutscher Studien-Verlag, Weinheim 1993, ISBN 3-89271-374-X
  • Charles Spielberger: Anxiety and Behavior New York 1966.
  • Siegbert A. Warwitz: Angst vermeiden - Angst suchen - Angst lernen. In: Sache-Wort-Zahl 112 (2010). Seiten 10–15
  • Siegbert A. Warwitz: Das Feld der Angstgefühle. In: Ders.: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Baltmannsweiler 2001, Seiten 36-37. ISBN 3-89676-358-X
  • Robert Yerkes, John D. Dodson: The relation of strength of stimulus to rapidity of habit-formation. Journal of Comparative Neurology and Psychology, 18 (1908) Seiten 459-482

Weblinks

Wiktionary: Phobie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Thanatophobie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Wilhelm Gemoll: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. München/Wien 1965.
  2. Gefühle und Gemütszustände in: Allgemeinen Psychopathologie (9. Aufl. 1973)
  3. Sven Olaf Hoffmann und G. Hochapfel: Neurosenlehre, Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin. [1999], CompactLehrbuch, Schattauer, Stuttgart 62003, ISBN 3-7945-1960-4; S. 104–106
  4. „Angststörung kann Schmerzen bereiten“, Ärzte-Zeitung, 18. Januar 2007, S. 11
  5. Rudolf Marx: Angststörungen - eine Einführung. In: Beiglböck et al.: Handbuch der klinisch-psychologischen Behandlung. 2. Aufl. 2006, Wien: Springer, Seiten 197-203
  6. Siegbert A. Warwitz: Das Feld der Angstgefühle. In: Ders.: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Baltmannsweiler 2001. Seiten 36-37
  7. Möller, Laux, Kapfhammer: Psychiatrie und Psychotherapie. Berlin/Heidelberg 2000
  8. Zitiert nach „Angststörungen bleiben oftmals unbehandelt“, Ärztliche Praxis, 15. Mai 2007, S. 14
  9. Vetter, Brigitte: Psychiatrie. 7. Auflage, Stuttgart 2007
  10. Charles Spielberger: Anxiety and Behavior New York 1966
  11. Siegbert A. Warwitz: Trait-Angst und State-Angst. In: Ders.: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Baltmannsweiler 2001, Seite 35
  12. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-028l_S3_Angstst%C3%B6rungen_2014-05.pdf
  13. Robert Yerkes, John D. Dodson: The relation of strength of stimulus to rapidity of habit-formation. Journal of Comparative Neurology and Psychology, 18 (1908) Seiten 459-482
  14. Siegbert A. Warwitz: Warnungen vor dem Wagnis. In: Ders: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Baltmannsweiler 2001. Seite 39
  15. Siegbert A. Warwitz: Die Kontrasttugenden Angst und Mut. In: Ders: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Baltmannsweiler 2001. Seiten 40-48
  16. Borwin Bandelow, ‎Stefan Bleich, ‎Stefan Kropp: Handbuch Psychopharmaka. 3. vollständig überarbeitete Auflage. Göttingen 2012
  17. Klaus Mohr, Heinz Lüllmann: Pharmakologie und Toxikologie: Arzneimittelwirkungen verstehen - Medikamente gezielt einsetzen. 17. Auflage. Thieme 2010
  18. Otto Benkert: Psychopharmaka: Medikamente, Wirkung, Risiken. 5. Auflage. München, 2009.
  19. Gerd Laux,Hans-Jürgen Möller: Memorix Psychiatrie und Psychotherapie. 2. aktualisierte Auflage. Thieme, 2011
  20. Matthew P. Herring et al.: Arch Int Med 2010; 170: S. 321–331, zitiert nach Medical Tribune, 12. März 2010, S. 6
  21. Jerrold F. Rosenbaum u. a.: Behavioral Inhibition in Childhood: A Risk Factor for Anxiety Disorders, Harvard Review of Psychiatry, Mai 1993
  22. Jung, Carl Gustav: Die Archetypen und das kollektive Unbewußte. Gesammelte Werke. Walter-Verlag, Düsseldorf 1995, Paperback, Sonderausgabe, Band 9, 1. Halbband, ISBN 3-530-40084-X, Seite 98 ff. § 159-164
  23. Biran S. Jaffa: Der Unterschied zwischen Phobie und Angsthysterie. Psychother. Psychosom. Jg. 1955 (DOI:10.1159/000278498)
  24. Stavros Mentzos: Psychodynamische Modelle in der Psychiatrie. Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen 1992
  25. Loch, Wolfgang: Zur Theorie, Technik und Therapie der Psychoanalyse. Conditio humana. Hrsg. von Thure von Uexküll & Ilse Grubrich-Simitis. S. Fischer Verlag, 1972
  26. http://www.domianforum.de/telefon-talk-2013-f52/topic7100.html
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