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Altpartei

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Altpartei ist ein überwiegend pejorativ gebrauchter Begriff, der im politischen Sprachgebrauch als Schlagwort Verwendung findet.

Begriffsverwendung

In der Gegenwart wird der Begriff häufig mit rechtspopulistischen Positionen und der AfD in Verbindung gebracht, deren Spitzenpolitiker das Schlagwort regelmäßig, beispielsweise in politischen Reden oder Interviews, als diskreditierenden Sammelbegriff zur Bezeichnung anderer im Deutschen Bundestag vertretener Parteien nutzen.

So findet sich das Schlagwort vielfach in Reden des Landesvorsitzenden der AfD in Thüringen, Björn Höcke. Dieser äußerte beispielsweise 2015: „Die Altparteien lösen Deutschland auf, wie ein Stück Seife unter einem Strahl lauwarmen Wassers.“[1] In ähnlicher Weise sprach der Bundessprecher der AfD, Stephan Brandner, 2020 in Bezug auf die Ausschreitungen und Plünderungen in Stuttgart 2020 davon, dass die „Kuschelpolitik der Altparteien für den Straßenterror in Stuttgart“ verantwortlich sei.[2] Der Vorsitzende der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski, wiederum machte mit der Formulierung „Die Altparteien hofieren Antisemiten“ von sich reden.[3]

Der Begriff der Altpartei findet sich auch bei der rechtsextremistischen NPD[4] oder den Republikaner[5]. Nicht selten wird, beispielsweise durch den Politikwissenschaftler Wolfgang Bergem[6], „eine spezifische semantische Prägung“ durch die Sprache des Nationalsozialismus behauptet. Andere Wissenschaftler wie der Diskurslinguist Fabian Deus widersprechen dieser Position.[7]

In ihren Anfängen nutzten auch die 1980 gegründeten Grünen den Begriff häufig, um sich von den damals bereits etablierten Parteien CDU, CSU, SPD und FDP abzugrenzen.[8][9][10][11] Entsprechende Aussagen finden sich beispielsweise von Gründungsmitgliedern und Spitzenpolitikern der Partei wie etwa Petra Kelly[12], Peter Willers[13] oder Joschka Fischer[14], der 1983 im Gespräch mit dem Spiegel formulierte: Wir sind ein schöner Unkrautgarten, sehr lebendig, sehr chaotisch im Verhältnis zu diesem gepflegten Golfrasen, als den man die Bonner Altparteien vielleicht bezeichnen könnte. Im Wahlprogramm der Grünen zur Bundestagswahl 1987 ist bereits in der Präambel vom „zerstörerischen Kurs der Altparteien“, „den machtorientierten Altparteien“ oder „der Abhängigkeit der Altparteien vom großen Geld“ die Rede.[15]

In massenmedialen Texten findet sich der Begriff in der Gegenwart nur noch selten und häufig zudem in distanzierender Weise.[7] Mitte der 2010er Jahre verwendeten Journalisten das Schlagwort, um den Unterschied zwischen der damals zeitweise in deutschen Landesparlamenten vertretenen Piratenpartei und den bereits älteren, etablierten Parteien zu kontrastieren.[16][17][18] So zitierte die Bild-Zeitung etwa den Parteienforscher Peter Lösche mit den Worten: „Die Piraten sind Idealisten, denen die notwendige Bodenhaftung fehlt. Sie müssen erst noch ‚parlamentarisiert‘ werden. Aber gegen sie wirken die Grünen heute wie eine muffige und spießige Altpartei.“[19]

Definition

Laut Fabian Deus lassen sich in der Gegenwart zwei Bedeutungsdimensionen des häufig im Plural gebrauchten Begriffes als dominant ausmachen.

Zum einen fasst der Begriff „alle Parteien […], die zum Zeitpunkt des Sprechens bereits länger im politischen Betrieb etabliert sind und diesen (mit-)bestimmen“ zusammen und markiert diese gleichzeitig mit Attributen wie „verbraucht, träge und bürokratisch“ eindeutig negativ.[7]

Zum anderen kommt der Begriff der Altparteien häufig „in einer sprachkritischen Sprechweise“ zur Anwendung. Während die erste Verwendungsweise darauf abzielt, die im politischen System etablierten Parteien zu diskreditieren, signalisiert die zweite Verwendungsweise eine Infragestellung der Legitimität des Begriffes selbst.[7]

Daneben existieren weitere Verwendungsweisen des Begriffes mit einer eher neutralen Bedeutungsdimension. So definiert beispielsweise der Duden die Altpartei schlicht als eine Partei „mit langer parlamentarischer Tradition“.[20]

In politikwissenschaftlichen Veröffentlichungen findet der Begriff nur in Einzelfällen Verwendung. Da der Gebrauch zudem überwiegend in unreflektierter Weise erfolgt, handelt es sich bei Altpartei bzw. Altparteien um keinen Fachbegriff. So heißt es beispielsweise bei Jürgen Dittberner: „‚Altparteien‘ sind die CDU, die CSU, die SPD und in besonderer Weise die FDP. Sie haben - auch im Wechselspiel - die Bonner Republik geprägt.“[21] In gleicher Weise verwendet Jürgen Maier den Begriff der Altpartei synonym mit CDU/CSU, SPD und FDP.[22] Mike Friedrichsen attribuiert die Altparteien in seiner Analyse zur Politikverdrossenheit als „systemtragend“ und stellt sie so den „systemkritischen neuen Parteien“ gegenüber.[23] Die Altpartei ist nicht mit Parteitypen wie etwa der Catch-all-Partei zu verwechseln.

Der Begriff findet sich auch in einer Reihe populärwissenschaftlicher Bücher zum Thema Rechtspopulismus. So führt der Politiker Andreas von Bernstorff den Begriff beispielsweise in seinem Nachschlagewerk „Rechte Wörter: Von ‚Abendland‘ bis ‚Zigeunerschnitzel‘“ gemeinsam mit dem Schlagwort „Altmedien“ auf.[24] Die Autoren von „Sprich es an! Rechtspopulistischer Sprache radikal höflich entgegentreten“ ordnen den Begriff als typische „Stammtischparole“ ein.[25]

Begriffsherkunft

Die Etymologie des Begriffes ist umstritten. In öffentlichen Meinungsäußerungen wird nicht selten die Behauptung aufgestellt, der Begriff sei dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch entlehnt. So äußerste beispielsweise der ehemalige SPD-Politiker Ulrich Kasparick:[26]

„Das Wort ‚Altparteien‘ ist ein alter, abgenutzter Kampfbegriff der politischen Rhetorik. Schon Joseph Goebbels hat das Wort gern benutzt, um seine ‚Bewegung‘ als jung, modern, aufgeschlossen darstellen zu können.“

Demgegenüber entgegnete der Journalist und Buchautor Matthias Heine:[12]

„Im Nationalsozialismus war das Wort offensichtlich nicht gebräuchlich. Es wäre auch wenig sinnvoll gewesen, denn die meisten Parteien der seit 1919 existierenden Weimarer Republik (mit Ausnahme des Zentrums und der SPD) waren ja nicht oder nur unwesentlich älter als die 1920 gegründete NSDAP.“

Laut Heine lässt sich der Begriff vielmehr erstmals 1928 in der später von den Nationalsozialisten verbotenen Zeitschrift Die Weltbühne nachweisen.[12] Auch Deus widerspricht einer Popularisierung des Begriffes im Nationalsozialismus und geht auf Grundlage der Auswertung verschiedener Zeitungskorpora davon aus, dass der Begriff erst Mitte der 1970er Jahre „im Kontext der damals neuen Umweltbewegung und der aufkommenden Grünen“ virulent wurde.[7]

Einzelnachweise

  1. Andreas Kemper: »... DIE NEUROTISCHE PHASE ÜBERWINDEN, IN DER WIR UNS SEIT SIEBZIG JAHREN BEFINDEN« Zur Differenz von Konservativismus und Faschismus am Beispiel der »historischen Mission« Björn Höckes. 2016, S. 36, abgerufen am 18. November 2020.
  2. Kuschelpolitik der Altparteien für den Straßenterror in Stuttgart verantwortlich | AfD Kompakt. 22. Juni 2020, abgerufen am 18. November 2020 (deutsch).
  3. Die Altparteien hofieren Antisemiten | AfD Kompakt. 17. Oktober 2019, abgerufen am 18. November 2020 (deutsch).
  4. Christoph Ruf, Olaf Sundermeyer: In der NPD. Reisen in die National Befreite Zone.. Verlag C. H. Beck, München 2009.
  5. Bernhard Schelenz: Der politische Sprachgebrauch der 'Republikaner'. Peter Lang GmbH, 1992.
  6. Wolfgang Bergem: Volkserzählungen. Narrative des Volkes, Narrative über das Volk. In: Narrative des Populismus. Erzählmuster und -strukturen populistischer Politik. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2019.
  7. 7,0 7,1 7,2 7,3 7,4 Altpartei. In: Diskursmonitor. 2. Juli 2020, abgerufen am 17. November 2020 (deutsch).
  8. Everhard Holtmann, Adrienne Krappidel, Sebastian Rehse: Die Droge Populismus: Zur Kritik des politischen Vorurteils. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006.
  9. Erik Harms: Der kommunikative Stil der Grünen im historischen Wandel. In: Arbeiten zu Diskurs und Stil. 9, Peter Lang GmbH, 2008.
  10. Die Antiparteien-Partei. Abgerufen am 18. November 2020.
  11. Frank Decker: Kurz und bündig: Die GRÜNEN | Parteien in Deutschland | bpb. Abgerufen am 18. November 2020.
  12. 12,0 12,1 12,2 Matthias Heine: Ein Mann, ein Wort: Die Legende vom Nazi-Begriff „Altpartei“. In: DIE WELT. 2019-10-20 (https://www.welt.de/kultur/plus202212866/Ein-Mann-ein-Wort-Die-Legende-vom-Nazi-Begriff-Altpartei.html).
  13. Peter Willers: Den Tiefschlag der Altparteien stören. 1983, abgerufen am 18. November 2020.
  14. SPIEGEL Gespräch : „Wir sind ein schöner Unkrautgarten“ - DER SPIEGEL 24/1983. Abgerufen am 18. November 2020.
  15. Wahlprogramm 1987. (https://www.boell.de/sites/default/files/assets/boell.de/images/download_de/publikationen/1987_Wahlprogramm_Bundestagswahl.pdf?dimension1=division_agg).
  16. Stefan Kuzmany, DER SPIEGEL: Piraten und die Altparteien: Wir sind Borg - DER SPIEGEL - Kultur. Abgerufen am 18. November 2020.
  17. Tobias Rüther: Bundesparteitag der Grünen: Man nennt uns eine Altpartei. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bundesparteitag-der-gruenen-man-nennt-uns-eine-altpartei-11963591.html).
  18. Piraten: „Gegen wilde Ideen helfen nur Argumente.“ Abgerufen am 18. November 2020.
  19. Nach 8,9% in Berlin: Erobern die Piraten jetzt ganz Deutschland? Abgerufen am 18. November 2020.
  20. Duden | Altpartei | Rechtschreibung, Bedeutung, Definition, Herkunft. Abgerufen am 17. November 2020.
  21. Jürgen Dittberner: Neuer Staat mit alten Parteien? Die deutschen Parteien nach der Wiedervereinigung. Westdeutscher Verlag, Opladen/Wiesbaden 1997.
  22. Jürgen Maier: Politikverdrossenheit in der Bundesrepublik Deutschland. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2000.
  23. Mike Friedrichsen: Politik- und Parteiverdruß durch Skandalberichterstattung?. In: Medien und politischer Prozeß. Springer Fachmedien, Wiesbaden 1996, S. 73-93.
  24. Andreas Graf von Bernstorff: Rechte Wörter: Von „Abendland“ bis „Zigeunerschnitzel“. Carl Auer Verlag, Heidelberg 2020.
  25. Philipp Stefan, Caroline Morfeld, Tobias Gralke: Sprich es an!: Rechtspopulistischer Sprache radikal höflich entgegentreten. Oetinger Taschenbuch Verlag, Hamburg 2020.
  26. „Altparteien“ – Anmerkungen zur Rhetorik der AfD. In: Ich werfe Kieselsteine in den Strom... 29. Oktober 2015, abgerufen am 17. November 2020 (deutsch).
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