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Alexithymie

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Alexithymie (deutsch Gefühlsblindheit, manchmal auch Gefühlslegasthenie; in der internationalen Literatur auch mit griechisch-lateinischer Endung Alexithymia) ist ein Konzept in der psychosomatischen Krankheitslehre. Der Begriff wurde 1973 von den US-amerikanischen Psychiatern John Case Nemiah (1918–2009) und Peter Emanuel Sifneos (1920–2008) gebildet und benennt die Unfähigkeit ihrer Patienten mit somatisierten Beschwerden, die eigenen Gefühle adäquat wahrzunehmen und sie in Worten zu beschreiben. Im Interview erschienen die Betroffenen phantasiearm und funktional, hielten ihre Beschwerden für rein körperlich und schwiegen zu seelischen Fragen. Seit den 1990er Jahren wird versucht, diese unscharfe Beurteilung durch moderne Methoden wie z. B. Fragebögen und Scores zu objektivieren.[1] Alexithymie ist nicht im ICD-10 oder DSM-IV klassifiziert.

Wortherkunft

Alexithymie ist ein Kunstwort, gebildet aus den griechischen Wortstämmen α- (a-) „nicht“, ἡ λέξις (he léxis) „Rede/Wort“[2] und ὁ θυμός (ho thymós) „Gemüt“[2]; ἡ λέξις wiederum kommt von λέγω, was auch "lesen" heißt; Alexithymie ließe sich also übersetzen mit: „Unfähigkeit, Gefühle zu 'lesen' und auszudrücken“.

Moderne Begriffsverwendung

Das ursprüngliche Konzept, dass Alexithymie eine Persönlichkeitsstörung ist, die psychosomatische Symptome verursacht, konnte nicht bestätigt werden. Im modernen psychosomatischen Schrifttum wird der Begriff jedoch weiter verwendet für eine inadäquate Reaktion auf belastende Ereignisse bei Personen mit geringer emotionaler Intelligenz; beispielsweise werden Übelkeit und Herzklopfen nicht als Ausdruck von Angst erkannt, sondern rein körperlich gedeutet.[3]

Es gibt Ansätze, den Grad der alexithymen Persönlichkeit zu messen, etwa mit den Levels of Emotional Awareness Scales (LEAS, Lane et al., 1998) und der Toronto Alexithymia Scale (TAS-20, Bagby et al., 1994). In Deutschland sollen ca. 10 % aller Erwachsenen stark durch Alexithymie beeinträchtigt sein.[4] Verstärkt wird sie bei Ostdeutschen beobachtet, bei Personen ohne Partner, ohne konfessionelle Bindung, Arbeitslosen und Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status (stärkster Prädiktor).

Naheliegend ist, nach statistischen Verbindungen zwischen alexithymen Persönlichkeitszügen und körperlichen bzw. psychosomatischen Krankheitsbildern zu suchen. Bei Kupfer, Brosig und Brähler findet sich eine Übersicht über solche Arbeiten. Die moderne Alexithymieforschung sucht außerdem nach einem neurobiologischen (hirnorganischen) Korrelat der beeinträchtigten Affektverarbeitung, beispielsweise mit der funktionellen MRT und der PET.

Dennoch bleibt die praktische Bedeutung der Alexithymie unklar, zumal sich die Laienpsychologie des Begriffs bemächtigt hat[5] und selbst Fachautoren mit anderem, z. B. tiefenpsychologischem Hintergrund den Begriff unterschiedlich verwenden. Sie verstehen darunter etwa

  1. eine Bindungsstörung und als Defizit, Affekte zu mentalisieren,[6]
  2. ein neuropsychologisches Defizit der Affektregulation,[7]
  3. eine Symbolisierungsstörung der sprachlichen Sozialisation,[8] oder
  4. ein Gegenübertragungsphänomen in der therapeutischen Beziehung.[9]

Literatur

  • Brosig, B., Kupfer, J. P., Wölfelschneider, M., & Brähler, E. (2004): Prävalenz und soziodemographische Prädiktoren der Alexithymie in Deutschland – Ergebnisse einer Repräsentativerhebung. In: Zeitschrift für Klinische Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie, 52, 237–251.
  • Gündel, H., Ceballos-Baumann, A.O., von Rad, M. (2000): Aktuelle Perspektiven der Alexithymie. Nervenarzt 71 (3): 151–163.
  • Hoppe, K.D. (1989): Zur gegenwärtigen Alexithymie-Forschung. Kritik einer „instrumentalisierenden“ Kritik. In: Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse, 43, 1029–1043.
  • Kupfer, J., Brosig, B., Brähler, E. (2001): Toronto-Alexithymie-Skala-26. Deutsche Version. Göttingen, Bern, Hogrefe Verlag.
  • Marty, P., M’Uzan, M. de (1978): Das operative Denken (”pensée opératoire”). In: Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse, 32, 974–984.
  • Michael von Rad (Hrsg.): Alexithymie. Empirische Untersuchungen zur Diagnostik und Therapie psychosomatisch Kranker. Springer, Berlin 1983, ISBN 3-540-12141-2.
  • Nemiah, J.C., Sifneos, P.E. (1970): Affect and fantasy in patients with psychosomatic disorders. In: Hill, O.W. (Ed.): Modern Trends in Psychosomatic Medicine Vol 2. pp. 26–34. London: Butterworths.
  • Nemiah, J.C., Freyberger, H., Sifneos, P.E. (1976): Alexithymia: A view of the psychosomatic process. In: Hill, O.W. (Ed.): Modern Trends in Psychosomatic Medicine. Vol. 3. pp. 430–439. London: Butterworths.
  • Weidenhammer, B. (1986): Überlegungen zum Alexithymiebegriff: Psychischer Konflikt und sprachliches Verhalten. Ein Beitrag zur Phänomenologie. In: Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 32, 60–65.
  • Taylor, G.J., Bagby, R.M., Parker, J.D.A. (1991): The alexithymia construct: a potential paradigm for psychosomatic medicine. Psychosomatics 32, 153–164.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Otto F. Kernberg: Narzissmus: Grundlagen – Störungsbilder – Therapie, S. 557–, Schattauer Verlag 2006, ISBN 978-3-7945-2241-5 (Zugriff am 13. August 2011)
  2. 2,0 2,1 Stichwort Alexi|thymie. In: Duden. Das Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke. Software für PC-Bibliothek. Bibliographisches Institut, Mannheim
  3. Hans Morschitzky: Angststörungen: Diagnostik, Konzepte, Therapie, Selbsthilfe, S. 324–, Springer June 2009, ISBN 978-3-211-09448-8 (Zugriff am 13. August 2011)
  4. Matthias Franz: Vom Affekt zum Mitgefühl: Entwicklungspsychologische und neurowissenschaftliche Aspekte der emotionalen Regulation am Beispiel der Alexithymie. (pdf-Datei; 86 kB)
  5. Hackenbroch V: Blind für Wut und Freude. Der Spiegel, 1. Dezember 2003
  6. A. Fossati, E. Acquarini, J. A. Feeney, S. Borroni, F. Grazioli, L. E. Giarolli, G. Franciosi, C. Maffei: Alexithymia and attachment insecurities in impulsive aggression. In: Attachment & human development Band 11, Nummer 2, März 2009, S. 165–182, ISSN 1469-2988. doi:10.1080/14616730802625235. PMID 19266364.
  7. M. Wölfelschneider: Psychoimmunologische und psychoendokrinologische Aspekte der Affektverarbeitung am Beispiel des psychodynamischen Konstrukts der Alexithymie. Universität Gießen 2009. (Dissertation)
  8. O. Decker: Der Prothesengott. Subjektivität und Transplantationsmedizin. Universität Kassel 2002. (Dissertation)
  9. Michael Abele, Andres Ceballos-Baumann: Bewegungsstörungen, S. 176–, Georg Thieme Verlag 30 June 2005, ISBN 978-3-13-102392-6 (Zugriff am 13. August 2011)
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Alexithymie aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.