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Abstraktionsprinzip

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Dieser Artikel behandelt das Abstraktionsprinzip im deutschen Zivilrecht. Für das gleichnamige Prinzip in der Mathematik siehe Klasse (Mengenlehre)#Definitionen.

Das Abstraktionsprinzip gehört zu den Grundsätzen des deutschen Zivilrechts (Lehre vom Rechtsgeschäft). Es hat sich unter dem Einfluss von Savigny im 19. Jahrhundert durchgesetzt und ist seit 1900 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert.

Grundlage: Das Trennungsprinzip

Das Abstraktionsprinzip beruht auf dem Trennungsprinzip und besagt, dass Kausalgeschäft (schuldrechtlich) und abstraktes Geschäft (sachenrechtlich) in ihrem rechtlichen Bestand voneinander unabhängig sind. Dieser Grundsatz ist für Laien nicht ohne weiteres verständlich. Daher soll folgendes Beispiel der Erläuterung dienen:

Müller kauft von Friedrich ein Auto. Er bezahlt noch am gleichen Tag. Den Wagen und die Papiere erhält er aber erst eine Woche später.

Das deutsche Privatrecht trennt hier drei Vorgänge (bzw. Rechtsgeschäfte): Zunächst haben Müller und Friedrich einen Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 1 BGB geschlossen. Dieser ist ein Kausalgeschäft (Verpflichtungsgeschäft) mit dem Inhalt:

Müller und Friedrich sind sich einig, dass Müller das Auto und Friedrich den Kaufpreis bekommen soll (1. Vorgang).

Aber erst als Friedrich Müller das Auto mitgegeben hat, hat er durch ein abstraktes Geschäft gemäß § 929 Satz 1 BGB, in Form eines Verfügungsgeschäfts, das Eigentum auf Müller übertragen.

Müller und Friedrich sind sich einig, dass Müller das Eigentum an Friedrichs Auto bekommt (weil Müller aus dem Kaufvertrag einen Anspruch darauf hat – 2. Vorgang).

Müller andererseits erfüllte seine Verpflichtung durch Zahlung, also Übereignung und Übergabe des Geldes sofort.

Müller und Friedrich sind sich einig, dass Friedrich das Eigentum an Müllers Geld in Höhe des Kaufpreises bekommt (weil Friedrich aus dem Kaufvertrag einen Anspruch darauf hat – 3. Vorgang).

Entwicklung

Das Abstraktionsprinzip resultiert aus der Analyse von Rechtsgeschäften im römischen Reich. Dort war in Hinblick auf bestimmte Rechtsgeschäfte eine Durchführung auf dem Forum erforderlich. Es wurde daraus geschlossen, dass zur Erreichung der angestrebten rechtlichen Wirkung eben nicht nur eine Vereinbarung, sondern vielmehr ein hiervon losgelöster, abstrakter Akt der Durchführung des Vereinbarten erforderlich war. Ansatzpunkt war das Emanzipationsverfahren, das zum Erwerb der vollständigen römischen Bürgerrechte erforderlich war. Speziell zum Eintritt in bestimmte Staatsämter war es erforderlich, freier römischer Bürger zu sein. Dieses war für den jungen Römer regelmäßig nicht vereinbar mit seiner Stellung unter der Gewalt seines Vaters, des Pater Familias, dessen Existenz alle Mitglieder seiner Familie in deren Freiheit beschränkte, ohne dass durch Erreichung einer bestimmten Altersgrenze eine Art Volljährigkeit und damit Verlassen der väterlichen Herrschaftsgewalt erfolgte. Ein Ausweg bestand in einer Regelung, dass nach dreimaligem Verkauf des Sohnes in fremde Knechtschaft der Vater seine Herrschaftsgewalt über den Sohn verlor. Zur Erreichung der Emanzipation übertrug der Vater auf dem Forum seinen Sohn in die Knechtschaft eines kooperativen Dritten, regelmäßig eines Freundes der Familie. Dieser entließ den Sohn jeweils unverzüglich aus seinem Dienst. Nach dreifacher Durchführung dieser Farce war der Sohn endgültig frei und berechtigt, Staatsämter zu übernehmen.

Aus diesem Verfahren wurde geschlossen, die Tatsache, dass die drei Beteiligten vereinbart hatten, dem Sohn so die Emanzipation aus der väterlichen Gewalt zu ermöglichen, habe nicht ausgereicht, um die angestrebte Rechtswirkung zu entfalten. Vielmehr sei zusätzlich zu diesem ausschließlich verpflichtenden, nicht jedoch rechtsgestaltenden Vertrag noch ein zusätzlicher Rechtsakt, ein rechtsändernder Vertrag erforderlich, um die vorab vereinbarte Wirkung zu erreichen. Dieses habe in der Durchführung der vereinbarten Emanzipationshandlung auf dem Forum bestanden.

Tatsächlich stellen unabhängig von der Frage, ob ansonsten im römischen Reich das Abstraktionsprinzip existierte, zumindest derartige Verfahrensweisen lediglich die Erfüllung von Formvorschriften dar, so wie zum heutigen Zeitpunkt aufgrund bestehender Formvorschriften Willenserklärungen, die zunächst nur mündlich erfolgen, nochmals unter Einhaltung von Erfordernissen wie der Schriftform oder notarieller Beurkundung wiederholt werden müssen. Die vorhergehende formlose Erklärung bewirkt keine Verpflichtung, sondern ist form- und damit wirkungslos. Das römische Zivilrecht kannte – ebenso wie die anderen europäischen auf dem römischen Zivilrecht basierenden Gesetzeswerke wie das Code civil in Frankreich – kein Abstraktionsprinzip.

Inhalt des Abstraktionsprinzips

Abstraktionsprinzip

Das Abstraktionsprinzip besagt nun, dass die abstrakten Geschäfte – im Beispielsfall mit Müller und Friedrich also Übereignung des Fahrzeuges und Übereignung des Geldes – auch wirksam sind, wenn das Kausalgeschäft (Verpflichtungsgeschäft), also der Kaufvertrag, unwirksam ist, weil beide voneinander in ihrem rechtlichen Bestand unabhängig sind. Ein solcher Fall läge beispielsweise vor, wenn Friedrich bei Abschluss des Kaufvertrags wegen absoluter Volltrunkenheit nicht geschäftsfähig gewesen wäre (§ 105 Abs. 2 BGB). Dann ist der Kaufvertrag unwirksam, Müller wird aber trotzdem Eigentümer des Wagens, wenn Friedrich bei der Übereignung wieder geschäftsfähig war. Die Wirksamkeit einer Verfügung ist unabhängig von dem Erfüllungsanspruch aus einem Schuldverhältnis.

Der Vorteil des Abstraktionsprinzips liegt in der Tatsache, dass die Fehler bei Verfügungsgeschäft und Verpflichtungsgeschäft getrennt bewertet werden können. So ist der relativ einfache verfügende (dingliche) Vertrag ohne Rücksicht auf den möglicherweise komplizierten verpflichtenden (schuldrechtlichen) Vertrag wirksam. Dieser schafft rechtlich angreifbare, aber zunächst wirksame Verhältnisse, an denen der Rechtsverkehr sein Handeln ohne die Notwendigkeit erheblicher Prüfungen ausrichten kann. Wenn Müller durch ein abstraktes Geschäft das Eigentum erwirbt, obwohl das zu Grunde liegende Kausalgeschäft (der Kaufvertrag) unwirksam ist, kann er das Auto dennoch ohne Sorgen weiterverkaufen: Er ist schließlich Eigentümer geworden. Falls Müller Schulden hat, könnten seine Gläubiger das Auto pfänden, auch ohne sich Gedanken über den Kaufvertrag machen zu müssen.

Da mit dem abstrakt wirksamen dinglichen Geschäft bei unwirksamem Verpflichtungsgeschäft jedoch keine endgültige Güterzuordnung getroffen werden soll, besteht die Notwendigkeit von Regelungen für den Fall, dass das dingliche Geschäft erfolgt, ohne dass ein wirksames Verpflichtungsgeschäft die (rechtliche) Grundlage hierfür bildet. Hierzu dient das Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB). Das Bürgerliche Gesetzbuch sieht somit eine Möglichkeit vor, die Übergabe des Eigentums rückabzuwickeln. § 812 Abs. 1 BGB regelt in diesem Beispiel, dass Friedrich das Eigentum am Auto zurückfordern kann, wenn der Grund für das Übereignungsgeschäft (der Kaufvertrag) wegfällt oder von Anfang an nicht bestand.

Während im alltäglichen Verkehr Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft kaum sichtbar zutage treten, sondern durch konkludentes Handeln erfolgen, ist die formale Trennung beim Kauf und Verkauf von Grundstücken deutlich ausgeprägt: Die Vertragsparteien schließen die erforderlichen Verträge durch Beurkundung vor einem Notar. Dabei erfolgt auch hier zunächst das Verpflichtungsgeschäft, nämlich die Regelung, dass der Verkäufer sein Grundstück an den Käufer verkauft und dafür einen Kaufpreis erhält. Sodann erklären die Vertragsparteien zusätzlich die Auflassung, das heißt, sie schließen einen zweiten Vertrag, indem sie Einigkeit darüber bekunden, dass das Eigentum an dem Grundstück vom Verkäufer auf den Käufer übergehen soll. Die Auflassung ist Voraussetzung für den Antrag beim Grundbuchamt auf Eintragung des neuen Eigentümers. Er wird in der Regel erst dann beim Grundbuchamt gestellt, wenn der Kaufpreis auf ein privates Treuhandkonto (z. B. Notaranderkonto) gezahlt wurde. Erst wenn das Grundbuchamt diese Eintragung in das Grundbuch vorgenommen hat, hat der Käufer das Eigentum an dem Grundstück tatsächlich erworben und auch die Verfügungsgeschäfte sind abgeschlossen.

Rechtsvergleich

In vielen anderen Rechtsordnungen gilt statt des Abstraktionsprinzips das Kausalprinzip.

Das österreichische Recht trennt zwar Verpflichtungsgeschäft (z. B. Kaufvertrag; im deutschen Recht das Kausalgeschäft) und Verfügungsgeschäft (z. B. Übergabe; im deutschen Recht das abstrakte Geschäft) ebenso strikt, erlaubt aber weder ein abstraktes Verpflichtungs- noch ein abstraktes Verfügungsgeschäft. Vielmehr müssen beide jeweils kausal sein: Das Verpflichtungsgeschäft muss in dem Sinne kausal sein, dass es einen Grund hat, der es wirtschaftlich macht. Außerdem muss das Verfügungsgeschäft in dem Sinne kausal sein, dass es nur dann wirksam ist, wenn ein gültiges Verpflichtungsgeschäft, ein Titel, besteht (Prinzip der kausalen Tradition). Es ergibt sich also folgendes Schema: Wirtschaftlicher Zweck –Kausalbindung→ Verpflichtungsgeschäft –Kausalbindung→ Verfügungsgeschäft

Der französische Code civil und das portugiesische Recht kennen keine Unterscheidung zwischen Kausalgeschäft und abstraktem Geschäft: Wer beispielsweise ein Auto kauft, wird (grundsätzlich) mit Abschluss des Kaufvertrages auch Eigentümer.

Kritik am Abstraktionsprinzip

Das Abstraktionsprinzip ist seit seiner Einführung in der juristischen Literatur oft kritisiert worden. Viele Autoren bemängeln, dass ein einheitlicher Lebenssachverhalt in künstliche Teile zerlegt werde. Dies sei für juristische Laien kaum verständlich. Uwe Wesel kritisiert gar, Savigny habe das Abstraktionsprinzip aufgrund fehlerhafter Auslegung historischer Quellen entwickelt, da im römischen Recht kein solches Abstraktionsprinzip bekannt gewesen sei. Im römischen Recht ist die Wirksamkeit der Übereignung abhängig von der Wirksamkeit des Kaufvertrages.[1] War dieser unwirksam, so konnte das Eigentum nicht übergehen und der Verkäufer konnte die Kaufsache mit der rei vindicatio zurückverlangen. Weiterhin führe das Abstraktionsprinzip zu unbilligen Ergebnissen, da es an der Übertragung des Eigentums auch dann festhalte, wenn hierfür kein Grund bestand, der zugrundeliegende Kaufvertrag beispielsweise nichtig ist. Einen Höhepunkt erreichte die Kritik während der Zeit des Nationalsozialismus, als die bestehende Rechtslage aufgrund ihrer Komplexität als „unvölkisch“ abgelehnt und Reformen gefordert wurden.

Das Abstraktionsprinzip ist auch im Rahmen der Vereinheitlichung der Zivilrechtsordnungen innerhalb der Europäischen Union angegriffen worden. Deutschland und Estland sind die einzigen Mitgliedsländer, in denen das Abstraktionsprinzip gilt.

In der DDR wurde das Abstraktionsprinzip durch das Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik (ZGB) vom 19. Juni 1975 abgeschafft, welches am 1. Januar 1976 in Kraft trat. Für seit dem 3. Oktober 1990 vorgenommene Rechtsgeschäfte gilt auch in diesem Gebiet wieder das Abstraktionsprinzip des BGB.

Ein Blick auf die Rechtsausübung zeigt, dass weder das Abstraktionsprinzip des Bürgerlichen Gesetzbuches noch das Kausalprinzip zum Beispiel des code civil wesentliche Vorteile bringt. Es treten letztendlich die gleichen rechtlichen Probleme auf. Die sich aus den rechtlichen Konstruktionen ergebenden Lösungswege sind anders. Eine unterschiedliche Wertigkeit besteht aber wohl nicht.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Uwe Wesel: Juristische Weltkunde. Frankfurt a. M. 2000, S. 93.
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