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Äthiopisches Henochbuch

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Das äthiopische Henochbuch (in der Bibelwissenschaft mit „1 Hen“ oder auch mit „äthHen“ bezeichnet) gehört zu den so genannten Pseudepigraphen des Alten Testaments. Es umfasst eine umfangreiche Sammlung apokalyptischer Henoch-Traditionen mit unterschiedlichen Entstehungszeiten. Die ältesten Teile des Henoch-Buches dürften aus dem 3. Jh. v. Chr. stammen. Im Henochbuch finden sich apokalyptische Schilderungen, wie in der Johannesoffenbarung und im Danielbuch, sie sind jedoch deutlich älter als diese. Die Offenbarung wird meist auf etwa 95 n. Chr. datiert, Daniel auf 167 v. Chr. Das Henochbuch ist somit die älteste bekannte apokalyptische Schrift.

Fragmente des Textes liegen auf aramäisch, hebräisch, griechisch, syrisch und koptisch vor. Vollständig ist das Werk nur in der äthiopischen Fassung überliefert. Dies ist der Tatsache zu verdanken, dass das Buch Teil des biblischen Kanons der äthiopischen Kirche ist. Die äthiopische Übersetzung beruht auf griechischen und aramäischen Henoch-Schriften. In den jüdischen Kanon oder denjenigen anderer christlicher Kirchen wurde das Werk nicht aufgenommen.

Entdeckung der originalsprachlichen Fassung in Qumran

Große Teile des in der aramäischen Originalsprache verfassten Henochbuches wurden 1948 zusammen mit anderen Werken in den Höhlen von Qumran gefunden. Teile des Henochbuchs sind enthalten in den Qumrantexten 4Q201 bis 4Q202, 4Q204 bis 4Q212 und 1Q19.

Nicht in den Qumran-Funden enthalten ist das (Teil-)Buch der Bildreden. Es wurde schon immer vermutet, dass dieser Teil des Henochbuches erst in christlicher Zeit entstanden sei. Die Qumran-Funde nähren diese Vermutung zusätzlich. Man kann daher davon ausgehen, dass die Essener im 1. Jahrhundert v. Chr. das Werk zu einem großen Teil kannten.

In welchem Zusammenhang das sogenannte Gigantenbuch, eine vor den Qumran-Funden nur aus der Überlieferung der Manichäer bekannte Henoch-Apokalypse, zu dem äthiopischen Henochbuch steht, bleibt unklar. Eines der Fragmente des Gigantenbuchs (4Q203) und das Henochbuch waren offenbar Teil der gleichen Sammelschrift.[1]

Biblische Bezüge

Henoch, der siebente Nachkomme Adams (1 Mos 5,18–23 ELB), wurde gemäß der Bibel bei lebendigem Leib in den Himmel entrückt (1 Mos 5,24 ELB). Dort heißt es:

„Und Henoch wandelte mit Gott, nachdem er Metuschelach gezeugt hatte, 300 Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Und alle Tage Henochs betrugen 365 Jahre. Und Henoch wandelte mit Gott; und er war nicht mehr da, denn Gott nahm ihn hinweg.“ (1 Mos 5,22–24 ELB)

Außer Henoch wurde von den Personen des Alten Testaments nur noch der Prophet Elija entrückt (2 Kön 2,11 ELB). Henoch soll auf dem Weg zum Himmel diverse Offenbarungen von Engeln und Gott selbst erhalten haben. Im neutestamentlichen Judasbrief wird das Henochbuch zitiert (Judas 14–15 ELB).

Das Wächterbuch weist Parallelen zu Tobit GNB auf, was auf die Verarbeitung einer gemeinsamen Überlieferung hinweist.[2] Weiter wurden inhaltliche Bezüge des Einleitungsteiles (insbesondere 1 Hen 1) zur Segensrede des Mose in Deut 33 ELB angenommen.[3]

Inhalt

Das Buch handelt einerseits von Henoch, der während seines irdischen Daseins in den Himmel entrückt wurde und dem so alle himmlischen und göttlichen Geheimnisse offenbart wurden, andererseits vom Fall der Engel.

Üblicherweise wird wie folgt gegliedert:

  • Einleitung (Kapitel 1–5)
  • Buch der Wächter (Kapitel 6–36)
  • Bildreden (Kapitel 37–71)
  • Astronomisches Buch (Kapitel 72–82)
  • Geschichtsbuch / Buch der Traumvisionen (Kapitel 83–90)
  • Erbauungsbuch / Mahnreden (Kapitel 91–108)

In der Einleitung wird Henoch als Prophet dargestellt, der eine Vision vom kommenden Gericht empfängt. Aus diesem Teil des Henochbuches (I,9) wird im Judasbrief zitiert.

Im Buch der Wächter wird zuerst erzählt, wie einige Engel um ihren Anführer Semjasa beschlossen hatten, auf der Erde Frauen zu nehmen (vgl. 1 Mos 6,1–4 ELB). Wie auch sonst in der Mythologie kann eine solche Vermischung zwischen der himmlischen und der irdischen Sphäre nicht gut ausgehen. Nachdem die Engel auf Erden sich beliebig Frauen genommen hatten, gebären diese daraufhin Riesen, welche die Erde verheeren. Dies löst bei Gott Zorn aus, so dass er die Engel aus dem Himmel verbannt und am Jüngsten Tag in einen Feuersee werfen will. Über die Erde wird Gott eine Sintflut ergehen lassen um die Riesen zu bekämpfen. Die Engel bitten Henoch, für sie durch eine Bittschrift bei Gott um Gnade zu flehen. Dieser Wunsch wird von Gott jedoch abgelehnt. Henoch muss danach wiederum als Bote fungieren und dieses den gestürzten Engeln mitteilen. Bei der anschließenden Himmelsreise Henochs wird ausführlich der Himmel und seine Umgebung geschildert, wo Henoch hin entrückt wurde. Es werden auch Hinweise auf einen Feuersee gezeigt, ein Motiv das dann in der Johannes-Offenbarung aufgenommen wird.

In den vermutlich später hinzugekommenen Bildreden wird viel vom Menschensohn gesprochen, unklar bleibt, ob damit der künftige Messias, den er an der rechten Seite des Thrones Gottes sieht, oder Henoch selbst gemeint ist.

Im sogenannten Astronomischen Buch wird von einer flachen Erde gesprochen, die auf Säulen ruht, der Mond und die Sonne finden sich an Fäden aufgehängt und kreisen um die Erde. Zwei Riesentiere, der Behemoth und der Leviathan, werden als männliches und weibliches Ungeheuer beschrieben, welche in der Wüste und im Meer leben.

Henoch kehrt noch einmal zur Erde zurück und erfährt in einem Traum, was seinem Enkel Noach widerfahren wird und wie dieser von der Sintflut errettet wird. In der sogenannten Tierapokalypse zeigt Gott dem bestürzten Henoch, was mit der Welt und dem Volk Israel bis zur Verbannung Judas nach Babylon passieren wird, dies alles symbolisch mit Tierbildern, dabei symbolisieren Schafe das Volk Israel. Den Traum erzählt er seinem Sohn Methusalem als Warnung. Schließlich wird er endgültig im Himmel aufgenommen.

Literarische Gattung

Zur Frage, welcher literarischen Gattung das Wächterbuch zuzuordnen ist, gibt es in der Forschung keinen Konsens.[4] Man ist sich aber einig darüber, dass 1 Henoch insgesamt als apokalyptisches Buch zu bezeichnen ist.[5][6]

Rezeption

Im äthiopischen Henochbuch erscheint erstmals im jüdischen Kulturraum eine ausführliche Beschreibung des Himmels sowie des Totenreichs, das nicht mit der Hölle zu verwechseln ist. Vielmehr kommt Henoch bei seiner Himmelsreise an schrecklichen Orten vorbei, wo die gefallenen Engel gefangen gehalten werden (1 Hen 21). Diese Beschreibungen haben vermutlich sowohl im Christentum als auch im Islam die Lehre von Himmel und Hölle beeinflusst und wurden in diesem Fall jeweils entsprechend weiter ausgeschmückt. Der Tanach kennt diese Form der Hölle nicht.[7]

Siehe auch

Textausgaben und Übersetzungen

chronologisch absteigend geordnet

  • George W.E. Nickelsburg, James C. VanderKam: 1 Enoch: A New Translation. Fortress, Minneapolis 2004, ISBN 0-8006-3694-5 (englische Übersetzung).
  • Daniel C. Olson. Enoch: A New Translation. TX: Bibal, North Richland Hills 2004, ISBN 0-941037-89-4.
  • Matthew Black (mit James C. VanderKam): The Book of Enoch; or, 1 Enoch. A new English edition with commentary and textual notes. With an Appendix on the 'astronomical' chapters by O. Neugebauer. SVTP 7, Brill, Leiden 1985, ISBN 90-04-07100-8 (englische Übersetzung und Kommentar).
  • Siegbert Uhlig: Das äthiopische Henochbuch. In: Werner Georg Kümmel, Hermann Lichtenberger (Hrsg.): Jüdische Schriften aus hellenistisch römischer Zeit. Bd. 5: Apokalypsen, L. 6, Gütersloh 1984, 461 - 780, ISBN 3-579-03956-3. (mit Einleitung, deutscher Übersetzung und Kommentar)
  • Ephraim Isaac: 1 (Ethiopic Apocalypse of) Enoch, Charlesworth, James Hamilton (Hg.): The Old Testament Pseudepigrapha. Vol. 1: Apocalyptic Literature and Testaments, Garden City, New York: Doubleday 1983, 5-89, ISBN 0-385-09630-5 (englische Übersetzung, Einleitung)
  • Michael A. Knibb. The Ethiopic Book Of Enoch., 2 Bde., Oxford: Clarendon 1978 / ND 1982. (Bd. 1: Text und Apparat, Bd. 2: englische Übersetzung und Kommentar)
  • Paul Riessler: Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel. Kerle, Freiburg & Heidelberg 19886, S. 353–451 (deutsche Übersetzung)
  • Francois Martin: Le livre d’Hénnoch. Traduit sur le texte éthiopien. Edition Letouzey, Paris 1906.
  • Andreas Gottlieb Hoffmann: Das Buch Henoch in vollständiger Übersetzung mit fortlaufendem Kommentar, ausführlicher Einleitung und erläuternden Exkursen. Jena 1833

Literatur

  • Matthias Albani: Astronomie und Schöpfungsglaube. Untersuchungen zum astronomischen Henochbuch (= Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament. Bd. 68). Neukirchen-Vluyn 1994.
  • Veronika Bachmann: Die Welt im Ausnahmezustand. Eine Untersuchung zu Aussagegehalt und Theologie des Wächterbuches (1 Hen 1–36). Dissertation. Auch als: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Beihefte 409. de Gruyter, Berlin/New York 2009, ISBN 978-3-11-022429-0.
  • Klaus Berger: Art. Henoch. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Bd. 14, Stuttgart 1988, Sp. 473–545.
  • Matthew Black: A Bibliography on 1 Enoch in the Eighties. In: JSPE 5 (1989), S. 3-16.
  • Gabriele Boccaccini / John J. Collins (Hgg.). The Early Enoch Literature. Brill, Leiden 2007, ISBN 90-04-16154-6.
  • Gabriele Boccaccini: Beyond the Essene Hypothesis. The Parting of the Ways between Qumran and Enochic Judaism. Eerdmans, Grand Rapids 1998, ISBN 0-8028-4360-3.
  • John J. Collins: The Apocalyptic Imagination. An Introduction to the Jewish Matrix of Christianity. New York 1984, S. 33–67, 142–154.
  • James H. Charlesworth: The Old Testament Pseudepigrapha and the New Testament, CUP Archive: 1985, ISBN 1-56338-257-1.
  • Helge S. Kvanvig: Roots of Apocalyptic: The Mesopotamian Background of the Enoch Figure and of the Son of Man, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 1988, ISBN 3-7887-1248-1.
  • Byung Hak Lee: Befreiungserfahrungen von der Schreckensherrschaft des Todes im äthiopischen Hennochbuch; Diss. Bochum 1998.
  • George W.E. Nickelsburg: 1 Enoch: A Commentary, Minneapolis: Fortress Press 2001, ISBN 0-8006-6074-9.
  • Andrei A. Orlov: The Enoch-Metatron Tradition, Tübingen: Mohr Siebeck 2005, ISBN 3-16-148544-0.
  • Eckhard Rau: Kosmologie, Eschatologie und die Lehrautorität Henochs. Traditions- und formgeschichtliche Untersuchungen zum äth. Henochbuch und zu verwandten Schriften, Diss. Hamburg 1974.
  • Annette Yoshiko Reed: Fallen Angels and the History of Judaism and Christianity: The Reception of Enochic Literature, Cambridge: Cambridge University Press 2005, ISBN 0-521-85378-8.
  • Paolo Sacchi: Art. Henochgestalt/Henochliteratur. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 15, 1986, S. 42-54.
  • Paolo Sacchi / William J. Short: Jewish Apocalyptic and Its History, Sheffield: Academic 1996, ISBN 1-85075-585-X.
  • Erik Sjöberg: Der Menschensohn im äthiopischen Hennochbuch, Gleerup, Lund 1946.
  • Michael E. Stone: The Book of Enoch and Judaism in the Third Century B.C.E. In: Catholic Biblical Quarterly. Nr. 40, 1978, S. 479-492.
  • Johannes Theisohn: Der auserwählte Richter. Untersuchungen zum traditionsgeschichtlichen Ort der Menschensohngestalt der Bilderreden des Äthiopischen Henoch. Göttingen 1975.
  • James C. VanderKam: Enoch: A Man for All Generations, Columbia, SC; University of South Carolina 1995, ISBN 1-57003-060-X.
  • James C. VanderKam: Enoch and the Growth of an Apocalyptic Tradition, Washington: Catholic Biblical Association of America 1984, ISBN 0-915170-15-9.
  • Marie-Theres Wacker: Weltordnung und Gericht. Studien zu 1 Henoch 22. Dissertation Tübingen 1981/82. Auch als: Forschung zur Bibel 45. Echter, Würzburg 1982, ISBN 3-429-00794-1.

Weblinks

Textausgaben und Übersetzungen
Informationen zum Henochbuch

Einzelnachweise

  1. Hartmut Stegemann: Essener; Freiburg 19999; S. 137
  2. George W. E. Nickelsburg: Tobit and Enoch: Distant Cousins with a Recognizable Resemblance. In: Jacob Neusner, Alan J. Avery-Peck (Hrsg.): George W.E. Nickelsburg in perspective: an ongoing dialogue of learning. Bd. 1, Brill, Leiden / Boston 2003( = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 80/1; ISBN 90-04-12985-5), S. 217-239, S. 236
  3. Lars Hartman: Asking for a Meaning: A Study of 1 Enoch 1-5. Gleerup, Lund 1979 (= Coniectanea biblica, New Testament series, 12; ISBN 91-40-04701-6), S. 22-26
  4. Veronika Bachmann: Die Welt im Ausnahmezustand - Eine Untersuchung zu Aussagegehalt und Theologie des Wächterbuches (1 Hen 1–36). de Gruyter, Berlin / New York 2009, S. 47-62 (Kap. 3: Das Wächterbuch als Segensrede: Überlegungen zur literarischen Gattung doi:10.1515/9783110224306.47)
  5. Nickelsburg, The nature and function of revelation (1997): „That 1 Enoch is properly called an apocalyptic writing is widely agreed. The Society of Biblical Literature taskforce on genres includes large sections of this work in its typology of apocalypses“
  6. John J. Collins: The Jewish Apocalypses. In: Semeia 14 (1979), S. 21-59
  7. Georges Minois: Die Hölle. München 1996, S. 98
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