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Säkularisierung

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Dieser Artikel behandelt den allgemeinen Prozess der Verweltlichung; zu der Enteignung von kirchlichen Besitztümern siehe Säkularisation.

Die Säkularisierung, abgeleitet von saeculum (lat. Zeit, Zeitalter; auch: Jahrhundert), bedeutet allgemein jede Form von Verweltlichung, im engeren Sinn aber die durch den Humanismus und die Aufklärung ausgelösten Prozesse, die die früheren engeren Bindungen an die Religion gelöst und den Lebenswandel zunehmend auf Basis menschlicher Vernunft begründet haben. Soziologisch wird dieser Prozess in der aktuellen Denkweise als "sozialer Bedeutungsverlust von Religion" bezeichnet. Für manche Gruppen steht Säkularisierung auch als Synonym für „Entchristlichung“, was in dem überwiegenden Auftreten dieses Prozesses in den westlichen und christlichen Industrieländern begründet liegt.

Begriffliches

Das saeculum bedeutete ursprünglich „Zeitalter, Jahrhundert“, im Kirchenlatein dann „die zeitliche Welt“ und damit das Irdische im Gegensatz zum Ewigen. Der Begriff Säkularisation bzw. Säkularisierung wurde daher zur Bezeichnung des Übergangs einer Sache aus dem Eigentum der Kirche (Bistümer und Klöster) in das von (nicht fürstbischöflich regierten) Staaten (zu dieser Begriffsbedeutung siehe Säkularisation). Seit der Wende zum 19. Jahrhundert fächerten sich die Bedeutungen weiter auf.

Heute wird der Begriff „Säkularisierung“ wie folgt gebraucht:

  • Säkularisierung wird – im weiteren Sinne – verstanden als der institutionelle und mentale Prozess der Trennung von Kirche und Staat (bzw. religiöse Organisationen und Staat). Diesen Prozess charakterisiert Böckenförde als „Ablösung der politischen Ordnung als solcher von ihrer geistlich-religiösen Bestimmung und Durchformung“.
  • Mit Säkularisierung wird – denkerisch – auch der Übergang von Begriffen und Vorstellungen aus einem primär religiösen in einen allgemeineren Kontext von Philosophie und Zeitgeist bezeichnet (z. B. Paradies, Sünde, Erlösung, Heilsgeschichte, Apokalypse u. v. a.).
  • In der Soziologie wird Säkularisierung im Rahmen der Theorie des sozialen Wandels begrifflich enger und thematisch allgemeiner gefasst und als sozialer Prozess verstanden, der gegenläufig zur Magisierung oder Sakralisierung auftritt. Dabei wird unterschieden zwischen Säkularisierung als Prozess und Säkularität als Zustandsbeschreibung einer Gesellschaft. Definitorisch wird dabei von dem Prozess eines sozialen Bedeutungsverlustes von Religion in modernen Gesellschaften gesprochen.

Abstrakte Säkularisierung in der Geschichte

Je begrifflich-abstrakter „Säkularisierung“ aufgefasst wird, desto eher lässt sich Säkularisierung in vielen historischen Gesellschaften als sozialer Wandel auffinden. So kann man das 5. und 4. vorchristliche Jahrhundert des antiken Griechenlands als klassische Periode einer Säkularisierung auffassen.
Dem gegenüber wird aber der historisch-europäische, von der Aufklärung geprägte Begriff zumeist vorgezogen.

Historische Entwicklung der abendländischen Säkularisierung

Säkularisierung in der ersten Bedeutung ist die Abschaffung der Staatsreligion und hat einen erheblichen Machtverlust der religiösen Institutionen, vor allem der Kirchen, zugunsten des Staates zur Folge.

Verständnis von Säkularisierung in modernen Gesellschaften

In den aktuellen Diskussionen wird Säkularisierung als ein umfassender Prozess verstanden, der zentral mit der Modernisierung verbunden ist. Dieser drückt sich nicht nur in der Trennung von Staat und Kirche aus, sondern umfasst auch eine schwindende soziale Bedeutung von Religion im Sinne eines Rückgangs ihres Einflusses auf das öffentliche Leben (z.B. Einfluss im Erziehungssystem) und der Mitgliederzahlen von Kirchen wie der Anzahl religiöser Menschen. Jose Casanova wie auch Karel Dobbelaere unterscheiden dabei Säkularisierung in verschiedene Prozesse. Die häufig kritisierte Annahme der Linearität der Säkularisierung wurde in jüngeren Arbeiten von Pippa Norris und Ronald Inglehart sowie Gert Pickel durch Überlegungen der kulturellen Pfadabhängigkeit der Säkularisierung ergänzt. Entgegen gängigen Säkularisierungstheorien, die Säkularisierung als Auflösung vorgegebener Wertordnungen deuten, hat Charles Taylor[1] den Aspekt der Optionalisierung von Verhaltensweisen und Weltanschauungen, und auch von Religiosität, als Charakteristikum der Säkularisierung herausgestellt.

Europa

In Europa begann die Säkularisierung mit der Aufklärung und erreichte in der Französischen Revolution und im Sozialismus mit der angestrebten völligen Abschaffung der Religion ihren Höhepunkt (Beispiele: Einführung eines Revolutionskalenders ab dem „Jahr der Revolution“, Abschaffung der nichtrevolutionären Feste).

USA

Vor der Aufklärung entzogen sich viele Menschen der Monarchie „von Gottes Gnaden“ durch Auswanderung in die Neue Welt. Die USA sind seit ihrer Konstitution 1776 ein säkularer Staat. Im Gegensatz zu der Verbreitung des Atheismus in Europa behielt hier die Religiosität einen hohen Stellenwert und führte zur Gründung einer Vielzahl reformierter Kirchengemeinden. Weitgehender Konsens bestand und besteht in der gesellschaftlichen Bedeutung des Christentums, allerdings waren viele der damaligen Führungselite des amerikanischen Staates keine Christen, sondern Deisten. Durch die Zersplitterung in einzelne christliche Konfessionen und die allgemein anerkannte Toleranz gegenüber dieser Entwicklung konnte sich jedoch keine monolithische kirchliche Institution mit politischer Macht herausbilden, wie sie bis dahin aus Europa bekannt war. Religiosität und Religionsfreiheit werden heute in den USA als gleichwertig betrachtet.

Durch nachfolgende Einwanderungswellen gelangten weitere Religionsgruppen aus der arabischen und ostasiatischen Welt in die USA, die sich durch die Tradition der religiösen Toleranz im neuen Umfeld etablieren konnten und selten vom weiterhin vorherrschenden Christentum assimiliert wurden. Einzige Ausnahmen sind die indigenen Religionen der Ureinwohner und der afrikanischen Sklaven, die durch die Christianisierung zurückgedrängt wurden.

Gegenwartsgeschichte und Globalisierung

Heutzutage ist die Säkularisierung in der gesamten westlichen Welt weit fortgeschritten. So gibt es zwar in Deutschland noch die staatlich eingezogene Kirchensteuer, Religionsunterricht, die staatliche Alimentierung von Bischöfen[2], Privilegien für Tendenzbetriebe und das Tanzverbot zu bestimmten christlichen Feiertagen, aber in Ostdeutschland (außer im Eichsfeld) ist inzwischen die statistisch niedrigste Kirchenzugehörigkeit in Europa zu verzeichnen.

In der westlichen Welt gilt die Trennung von Kirche und Staat allgemein als erstrebenswerte und notwendige Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaftsform. In der säkularen Demokratie sind nicht religiös fundierte Glaubenssätze, sondern der Wille der Wähler, das Allgemeinwohl sowie bürgerliche Werte wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität die Richtschnur des politischen Handelns.

Albanien und der totalitäre Säkularismus

Zu einer besonders radikalen Entwicklung kam es nach dem Zweiten Weltkrieg in Albanien, unmittelbar beeinflusst durch den Stalinismus und die maoistische Kulturrevolution, beides entschieden säkularistische Bewegungen. Unter dem Diktator Enver Hoxha wurde eine gewaltsame Säkularisierung vorangetrieben, die immer radikalere Formen annahm. Sie mündete schließlich 1967 in ein totales Religionsverbot, das die Praktizierung jedweder Religion unter Strafe stellte. Hoxha erklärte das Land zum „ersten atheistischen Staat der Welt“, Moscheen und Kirchen wurden systematisch zerstört.

Obwohl eine gewaltsame Forcierung der Säkularisierung in der Geschichte durchaus nicht ungewöhnlich ist, ist dieser Fall besonders bemerkenswert. War Säkularisierung von Befürwortern oft als ein Prozess der „Befreiung“ verstanden worden, verkehrte sie sich hier besonders drastisch in ein Mittel zu Repression und ideologischer Indoktrination. Albanien von 1967 bis 1990 kann sogar in gewisser Hinsicht als das atheistische Gegenstück zu einem religiösen Gottesstaat angesehen werden.

Säkularismus und Laizismus in der Islamischen Welt

Eine Übertragung der Säkularisierung nach europäischem Vorbild auf andere Kulturkreise, insbesondere die islamische Welt, wie häufig gefordert, erscheint auch deshalb problematisch, da die Grundhaltungen von (westlichem) Christentum und Islam zu Politik und Staat verschieden sind. Hatte sich im Abendland durch die Polarität von Kaiser und Papst nie eine Identität von Staat und Religionsgemeinschaft entwickeln können (obwohl beide Seiten dies anstrebten), zielte der Islam seinem Wesen nach, auch bei beschränkter Toleranzgewährung, gerade auf diese Identität.

Der Islam postuliert in der Theorie eine der Säkularisierung zuwiderlaufende Untrennbarkeit von religiöser und politischer Herrschaft (siehe auch Kalifat), verfolgte in der Praxis jedoch ein, im direkten Vergleich zur christlichen Inquisition relativ tolerantes Glaubenskonzept, das lange keine religiös motivierten Pogrome wie die europäische Judenverfolgung kannte. Angehörige anderer monotheistischer Religionen, zu denen später auch Buddhisten, Hindus und Zoroastrier gezählt wurden, hatten in islamischen Ländern den rechtlichen Status von Dhimmis, einer geschützten, aber doch untergeordneten Minderheit, denen zwar diskriminierende Beschränkungen (u. a. die Zahlung einer speziellen Steuer, Kleidungsvorschriften, Ausschluss von staatlichen Ämtern) auferlegt waren, die ansonsten jedoch religiöse Autonomie genossen und ihr eigenes Rechtssystem unterhielten, was aber auch von der Gnade der islamischen Machthaber abhing, und Minderheiten, die keine „Schriftbesitzer“ sind, nicht mit einschließt. Daher gilt eine Verwirklichung von Demokratie und Menschenrechten, die eine Säkularisierung als Voraussetzung hätte, in Gesellschaften islamischer Ländern i. d. R. nicht als erstrebenswert. Bisher gab die Forderung westlicher Industrienationen nach einer Säkularisierung im Sinne einer Verwestlichung eher einer Entwicklung in Richtung Radikalisierung auftrieb.

Ein Beispiel für die Säkularisierung ist die Türkische Republik. Seit 1923 herrscht in der Türkei mit der Republikgründung der Laizismus. Zur radikalen Reform Mustafa Kemals, dem Kemalismus, gehörte als eines von sechs Grundprinzipien der Laizismus, d. h. die Trennung von Staat und Religion. De facto übte das Amt für religiöse Angelegenheiten die Kontrolle über das religiöse Leben aus. Zu den wichtigsten Akten auf dem Weg der Säkularisierung in der Türkei zählen die Abschaffung des Kalifats, die Einführung des Gregorianischen Kalenders anstelle der islamischen Jahreszählung nach dem Mondzyklus und die Einführung der Schulpflicht zur Bildung und Aufklärung der Bevölkerung.

Faktisch sind alle die nach dem Untergang des Osmanischen Reiches entstandenen Staaten der arabischen Welt mehr oder weniger säkulare Staaten. Syrien und der Irak waren nie etwas anderes; auch Tunesien unter Bourguiba, Ägypten unter Nasser, die Türkei unter Atatürk und der Iran der Pahlavi-Dynastie (1925–1979) sowie die zentralasiatischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion haben alle starke Säkularisierungsschübe erlebt. Die Islamische Revolution in Iran bedient sich zwar einer republikanischen Staatsform, in der allerdings die nicht von der Bevölkerung gewählte theokratische Institution des Obersten Führers an der Spitze des Staates steht, der alle Entscheidungen der Regierung bzw. des Parlaments blockieren kann. Die fundamentalistischen Bewegungen, die seit den 70er Jahren in den meisten islamischen Ländern erstarkt sind, sind zum Teil eine Reaktion auf diesen fortschreitenden Säkularisierungsprozess, den sie rückgängig machen möchten. Zum Teil sind die fundamentalistischen Bewegungen aber auch eine Reaktion auf die – meist korrupten – diktatorischen Regierungen ihrer Länder. Für die Stärkung der Theokratie wird oftmals mit der „Untrennbarkeit von Religion und Staat“ im Islam argumentiert, aber auch damit, wieder einen gerechten Staat – nach Regeln des Islam – schaffen zu wollen. Viele dieser Bewegungen halten dabei auch Gewalt für ein legitimes Mittel. Kritiker werfen ihnen vor, in Wahrheit totalitäre Regime etablieren zu wollen.[3]

Säkularisierung und christliche Kirchen

Die christlichen Kirchen akzeptieren zwar im Allgemeinen die Trennung von Kirche und Staat, sehen aber gleichzeitig in der Säkularisierung und ihren Begleiterscheinungen eine Gefahr. So wird speziell in der westlichen Welt vor einer Gefahr der Bindungslosigkeit des Individuums und einem Relativismus in Bezug auf Werte gewarnt.

Säkularisierung und Demografie

Auf eine weitreichende Konsequenz von Säkularisierung haben u. a. die US-Politikwissenschaftler Ronald Inglehart und Pippa Norris auf Basis des World Value Survey hingewiesen: in säkularisierten Gesellschaften sinkt die Geburtenrate unter die Bestandserhaltungsgrenze (siehe Demografie). Weltweit wachsen religiöse Populationen, während säkulare schrumpfen – was einen wichtigen Faktor auch gegenwärtiger Konflikte abbildet.

Religionswissenschaftler haben diesen Zusammenhang zwischen abnehmender Religiosität bzw. Säkularisierung und Demografie auch anhand von ALLBUS-Daten[4] innerhalb Deutschlands und einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft empirisch bestätigt gefunden. Auch in Deutschland haben Menschen, die sich als nicht religiös einschätzen, durchschnittlich weniger Kinder als religiöse Menschen.[5]

Literatur

  • Hans Blumenberg: Säkularisierung und Selbstbehauptung. Erweiterte und überarbeitete Neuausgabe von „Die Legitimität der Neuzeit“, erster und zweiter Teil. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1974.
  • Ronald Inglehart, Pippa Norris: Sacred and Secular. Religion and Politics Worldwide. Cambridge University Press, Cambridge 2004, ISBN 0-521-54872-1.
  • Hartmut Lehmann: Säkularisierung. Der europäische Sonderweg in Sachen Religion. Wallstein, Göttingen 2004, ISBN 3-89244-820-5.
  • Hermann Lübbe: Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs. 3. Auflage. Alber, Freiburg 2003.
  • Gert Pickel: Secularization as an European Fate? In: Gert Pickel, Olaf Müller: Church and Religion in Contemporary Europe. Results from Empirical and Comparative research. VS, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-531-16748-0, S. 89–122.
  • Detlef Pollack: Säkularisierung – ein moderner Mythos? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland. Tübingen 2003.
  • Ulrich Oevermann, Manuel Franzmann: Strukturelle Religiosität auf dem Wege zur religiösen Indifferenz. In: Manuel Franzmann, Christel Gärtner, Nicole Köck (Hrsg.): Religiosität in der säkularisierten Welt. Theoretische und empirische Beiträge zur Säkularisierungsdebatte in der Religionssoziologie. VS, Wiesbaden 2006, ISBN 978-3-8100-4039-8, S. 49-82.
  • Rudolf Schlögl: Glaube und Religion in der Säkularisierung. Die katholische Stadt – Köln, Aachen, Münster – 1740–1840. München 1995.
  • Udo Steinbach: Geschichte der Türkei. Beck, München 2000.
  • Charles Taylor: A secular age. Harvard University Press, Cambridge 2007.

Siehe auch

Weblinks

Quellen

Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Säkularisierung aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.