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Robert Ritter

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Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen werden unter Robert Ritter (Begriffsklärung) aufgeführt.
Robert Ritter bei der Blutabnahme

Robert Ritter (geb. 14. Mai 1901 in Aachen; gest. 17. April 1951 in Oberursel) war ein nationalsozialistischer Rassentheoretiker, der die Rassenhygienische Forschungsstelle leitete, und nach 1945 Obermedizinalrat der Stadt Frankfurt am Main war.

Politische und berufliche Biografie

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schloss sich Ritter 1918 zunächst einem oberschlesischen Freikorps an.[1] 1927 promovierte er über Das geschlechtliche Problem in der Erziehung. Versuch einer Sexualpädagogik auf psychologischer Grundlage. 1930 folgte seine medizinische Dissertation mit dem Titel Zur Frage der Vererbung der allergischen Diathese.

1931 und 1932 war Ritter an der kinderpsychiatrischen Abteilung der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich tätig.

Von 1932 bis 1935 war er Oberarzt in der Jugendabteilung der Psychiatrie an der Universität Tübingen, wo er unter anderem für die Begutachtung von schwererziehbaren Jugendlichen zuständig war. Dort entwickelte er rassistische und eugenische Theorien über die biologischen Grundlagen von sozialer Auffälligkeit, die seiner Karriere im NS-Staat förderlich waren. 1935 publizierte er einen Beitrag in der Zeitschrift Volk und Rasse über Rothaarigkeit als rassenhygienisches Problem.[1] Im selben Jahr übernahm er einen Forschungsauftrag der deutschen Forschungsgemeinschaft zur Untersuchung der biologischen Grundlagen von Asozialen, Obdachlosen und Zigeunern im Reichsgesundheitsamt in Berlin.

Mit seinen Studien qualifizierte er sich aus Sicht der Nationalsozialisten für die Leitung der neu gegründeten „Rassenhygienischen und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt“, die er im November 1936 übernahm. Seine Stellvertreterin wurde Eva Justin. 1937 habilitierte er sich mit folgender Arbeit: Ein Menschenschlag. Erbärztliche und erbgeschichtliche Untersuchungen über die durch 10 Geschlechterfolgen erforschten Nachkommen von 'Vagabunden, Jaunern und Räubern'. Darin vertrat er die These vom „geborenen Verbrecher“, von der genetischen Bedingtheit kriminellen und asozialen Verhaltens.

Tobias Joachim Schmidt-Degenhard weist in Robert Ritter (1901–1951). Zu Leben und Werk des NS-„Zigeunerforschers“ nach, das Ritter in zahlreichen Textstellen die gleichen Ideen vertritt und sehr ähnliche Formulierungen nutzt wie Hermann Aichele in seiner 1911 ebenfalls in Tübingen geschriebenen Dissertation Die Zigeunerfrage mit besonderer Berücksichtigung Württembergs. Aicheles Arbeit findet sich weder im Literaturverzeichnis noch wird auf sie sonst hingewiesen.[2] Der NSDAP trat Ritter nicht bei.[3]

Robert Ritter (rechts im Anzug)

Ritter erhielt 1935 aufgrund einer Empfehlung Ernst Rüdins vom Reichsgesundheitsministerium den Auftrag, „eine gründliche rassenkundliche Erfassung und Sichtung aller Zigeuner und Zigeunermischlinge durchzuführen“. „Diese Untersuchungen sind in engster Zusammenarbeit mit dem Reichskriminalpolizeiamt und der Münchner Zigeuner-Polizeizentrale in vollem Gange,“ schrieb Ritter 1938. Er befand: „Je reinrassiger die Zigeuner sind, umso besser lassen sie sich überwachen“[4].

Im Mittelpunkt des Interesses von Ritter standen "Zigeuner". Die Kategorie war ethnisch-rassisch definiert und gegen die "deutschblütigen" Angehörigen der „deutschen Volksgemeinschaft“ abgegrenzt, an deren sozialen Rand die nationalsozialistische Asozialenforschung unter anderem auch Jenische platzierte. Auch sie schätzte Ritter als „minderwertig“ und als auszusondern ein, womit er sich jedoch nicht durchsetzte. Ihr Fehlen in späteren Normierungen wird als „fraglos[er] ... Beleg dafür“ gewertet, dass es ihm nicht gelang, "die Gesetzgeber davon zu überzeugen, dass die Jenischen eine relevante rassenhygienische Gruppe und Bedrohung darstellen“.[5]

Ritters Institut begutachtete bis 1945 fast 24.000 Menschen, um sie als „Voll-Zigeuner“, „Zigeuner-Mischling“ oder „Nicht-Zigeuner“ zu klassifizieren. Die "gutachtlichen Äußerungen" der Forschungsstelle spielten eine wichtige Rolle bei der Entscheidung über eine Sterilisation, nach dem Auschwitz-Erlass über die Deportation in das Vernichtungslager oder auch die Verschonung von Verfolgung.[6]

Für die Begutachtung von Jugendlichen, die von der NS-Jugendfürsorge oder der Kriminalpolizei in Jugendkonzentrationslager verbracht wurden, war das von ihm ab 1941 geleitete Kriminalbiologische Institut der Sicherheitspolizei, ab September 1939 dem RSHA unterstellt, verantwortlich. Seine „kriminalbiologische Einschätzung“ entschied über den Grad der nach Härte gestuften „Erziehungsmaßnahmen“.

Mitte 1944 wurde er zum Regierungsrat befördert.[7]

Nach dem Ende des Nationalsozialismus leitete er ab 1947 die „Fürsorgestelle für Gemüts- und Nervenkranke“ sowie die Jugendpsychiatrie der Stadt Frankfurt am Main. Ende Mai 1948 wurde er von der Stadt rückwirkend zum 1. April zum Obermedizinalrat befördert. Einen Großteil seiner Arbeitskraft steckte er in die Verschiebung des von ihm aufgebauten und unterschlagenen „Zigeunerarchivs“, das über mehrere Zwischenstationen (etwa die Landfahrerstelle der Polizei in München, sogenannte Anthropologische Institute in Tübingen und Mainz) erst nach massiven Protesten der Betroffenen ins Bundesarchiv gelangte.

Ein gegen ihn eingeleitetes Strafverfahren wegen Beteiligung an der nationalsozialistischen Zigeunerverfolgung wurde 1950 eingestellt. Ernst Klee bemerkte, dass Notker Hammerstein noch 1999 im Namen der DFG in seinem Buch „Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich“ eine „Auftragsarbeit“ lieferte und den „Versuch der Reinwäsche“ unternahm. Er meint, darin wird Ritters Tun zur „allgemeinmedizinischen Forschung" hochstilisiert.

Über die NS-Rassenhygiene allgemein heißt es, viele Forscher seien den „üblichen Auffassungen von moderner Hygiene, von Fürsorge und Vorsorgepflicht der öffentlichen Hand für Geschädigte, sogenannte Asoziale oder Behinderte" gefolgt. So werden Handlanger von Auschwitz und Hadamar in den Dunstkreis von Für- und Vorsorge gerückt, resümiert Klee.

Literatur

  • Joachim S. Hohmann: Robert Ritter und die Erben der Kriminalbiologie: „Zigeunerforschung“ im Nationalsozialismus und in Westdeutschland im Zeichen des Rassismus. Reihe: Studien zur Tsiganologie und Folkloristik Bd. 4. Peter Lang, Frankfurt 1991, ISBN 3-631-43984-9
  • Joachim S. Hohmann: »Persilscheine« für den Schreibtischtäter. Das Beispiel des NS-Kriminalbiologen Dr. Dr. Robert Ritter. Deutscher Text aus: Zs. Historical Social Research, Bd. 19, 1994, Nr. 4, S. 42 - 59
  • Michael Zimmermann: "Mit Weigerungen würde also nichts erreicht." R. Ritter und die Rassenhygienische Forschungsstelle im Reichgesundheitsamt. in Gerhard Hirschfeld & Tobias Jersak Hgg., Karrieren im Nationalsozialismus: Funktionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz. Campus, Frankfurt 2004 ISBN 3593371561 S. 291 - 318 (einige Seiten online lesbar, google Buchsuche, Internet-Händler)
  • Tobias Joachim Schmidt-Degenhard, „Kleinkarierter Größenwahn"- zur ,ärztlichen Karriere‘ des Dr. Dr. Robert Ritter ( 1901-1951). in Urban Wiesing; Klaus-Rainer Brintzinger; Bernd Grün; Horst Junginger; Susanne Michl (Hrg.): Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus. Contubernium - Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Band 73, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2010 , ISBN 978-3-515-09706-2.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 499.
  2. Tobias Joachim Schmidt-Degenhard: Robert Ritter (1901–1951). Zu Leben und Werk des NS-„Zigeunerforschers“. Diss. Tübingen 2008 (pdf) Das Kapitel über Aichele ab Seite 89 widmet sich ganz dem Vergleich der Textstellen und Ideen, die auch in einer umfangreichen Tabelle einander gegenübergestellt werden.
  3. So die übereinstimmende Feststellung innerhalb der fachwissenschaftlichen Literatur. Eine davon abweichende Feststellung (Rudolph Bauer, Ritter, Robert, in: Hugo Maier (Hrsg:) Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg im Breisgau : Lambertus 1998, S. 494f.) dürfte unzutreffend sein.
  4. Zitate nach http://www.thata.ch/thataromatagi970428.htm
  5. Andrew d'Arcangelis: Die Jenischen - verfolgt im NS-Staat 1934-1944. Eine sozio-linguistische und historische Studie. Hamburg 2006, S. 312.
  6. Karola Fings, Die "gutachtlichen Äußerungen" der Rassenhygienischen Forschungsstelle und ihr Einfluss auf die nationalsozialistische Zigeunerpolitik, in: Michael Zimmermann (Hrsg.): Zwischen Erziehung und Vernichtung. Zigeunerpolitik und Zigeunerforschung im Europa des 20. Jahrhunderts. Reihe: Beiträge zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bd. 3. Franz Steiner, Stuttgart 2007, S. 425-459.
  7. Michael Zimmermann: Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische "Lösung der Zigeunerfrage". In: Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Hrsg.: Die Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus, 33. Hamburg 1996, S. 154, 436.
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