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Lebensborn

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Dieser Artikel beschreibt den nationalsozialistischen Verein; für den Film des Titels siehe Lebensborn (Film).
Schwester in einem Lebensborn-Heim, gehisste SS- und Hakenkreuz-Flaggen, aus SS-Leitheft 9/3 S. 33 f., 1943.

Der Lebensborn e. V. war im nationalsozialistischen Deutschen Reich ein von der SS getragener, staatlich geförderter Verein, dessen Ziel es war, auf der Grundlage der nationalsozialistischen Rassenhygiene und Gesundheitsideologie die Erhöhung der Geburtenzifferarischer“ Kinder herbeizuführen. Dies sollte durch anonyme Entbindungen und Vermittlung der Kinder zur Adoption – bevorzugt an Familien von SS-Angehörigen – erreicht werden.

Der Lebensborn war daneben mitverantwortlich für die Verschleppung von Kindern aus den von Deutschland besetzten Gebieten. Falls diese im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie als „arisch“ galten, wurden sie unter Verschleierung ihrer Identität in Lebensborn-Heimen im Reich oder den besetzten Gebieten untergebracht. Das letztendliche Ziel war die Adoption durch parteitreue deutsche Familien. So wurden 13 der 98 vom Lidice-Massaker betroffenen Kinder für den Lebensborn selektiert, während die anderen ins Vernichtungslager Kulmhof deportiert und dort durch Gas ermordet wurden.[1]

Ideologische Grundlagen

Der Name leitet sich von dem nur noch in Ortsnamen und in der Dichtkunst oder in verschiedenen deutschen Dialekten erhaltenen, alten deutschen Wort „Born“ für „Brunnen, Quelle“ ab; er bedeutet daher etwa „Lebensbrunnen“ oder „Lebensquelle“.

Operationssaal in einem Lebensborn-Heim 1936

Der Lebensborn war ein Projekt Heinrich Himmlers, das sich vor allem an den beiden wichtigsten bevölkerungspolitischen Grundsätzen des Nationalsozialismus orientierte:

Der Lebensborn war um die Umsetzung dieser Grundsätze in der Mütterfürsorge bemüht, was durch Einrichten von Heimen für die anonyme Entbindung geschah. Das offizielle zentrale Anliegen war die Vermeidung von Abtreibungen und damit die Erhöhung der Geburtenrate, jedoch keineswegs im Sinne einer humanen Moral, sondern im Sinne der „neuen Moral“ einer aktiven, rassistisch bestimmten nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik. Entsprechend der nationalsozialistischen Rassenhygiene wurden in den Heimen zumindest anfänglich nur ledige Mütter aufgenommen, die selbst und bezüglich ihres Nachwuchses den strengen „rassenhygienischen“ Ansprüchen von SS-Bewerbern entsprachen.

Geschichte und Organisation

Geburtenrate und NS-Maßnahmen

Nach dem Ersten Weltkrieg war, bedingt durch den Frauenüberschuss von 2 Millionen die Geburtenrate in Deutschland stark gesunken. In keinem anderen Industrieland gab es einen vergleichbaren Einbruch in der Geburtenstatistik.

Allerdings hatte sich der Frauenüberschuss nach Erhebungen des Statistischen Reichsamtes bis 1933 ausgeglichen.[3]

Heinrich Himmler, der „Reichsführer SS“ und Chef der Deutschen Polizei, legte unter Missachtung dieser Daten nach Erhebungen des „Hauptamtes für Volksgesundheit“ andere Zahlen vor und bezog sich hauptsächlich auf die damals bei Strafe verbotenen Schwangerschaftsabbrüche, die zu einem Geburtenrückgang führten. In einem Brief an Wilhelm Keitel aus dem Jahr 1940 schätzte er die Zahl der jährlichen Abtreibungen auf bis zu 600.000, die dem Deutschen Reich als Nachwuchs verloren gingen. Ebenso seien „jährlich Hunderttausende wertvoller Mädchen und Frauen Opfer heimlicher, häufig steril machender Abtreibung. … Das Ziel, jedoch, deutsches Blut zu schützen, ist auf das Höchste verpflichtend.“[4]

Um Anreize für mehr Geburten zu bieten, gründete die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt zunächst im März 1934 das „Hilfswerk Mutter und Kind“, das mehr als die Hälfte des gesamten Spendenaufkommens des Winterhilfswerks erhielt. Das „Deutsche Institut für Jugendhilfe e. V.“ betreute uneheliche Kinder, deren Väter die Alimente verweigerten. Eheschließungen wurden mit Darlehen in Form von Bedarfsdeckungsscheinen für Möbel und Hausrat bis zu 1.000 Reichsmark gefördert.

Auch die Einrichtung des Lebensborn als konkurrierende SS-eigene, Himmler direkt unterstellte Organisation sollte die Geburtenrate steigern und ledige Mütter zum Austragen der Kinder bewegen. Himmler rechtfertigte in seinem Brief an Keitel die Existenz von Lebensborn und forderte eine finanzielle Unterstützung durch die Wehrmacht. So würden „allein durch diese bevölkerungspolitische Maßnahme in 18 bis 20 Jahren 18 bis 20 Regimenter mehr marschieren.“[4]

Vereinsgründung und Satzung

Der Verein Lebensborn wurde am 12. Dezember 1935 auf Veranlassung Himmlers in Berlin gegründet, der darin von Otmar Freiherr von Verschuer beraten wurde. Die Organisation war als eingetragener Verein rechtlich selbständig, um als juristische Person Eigentumsrechte an Heimen usw. erwerben und auch Nicht-SS-Angehörigen den Beitritt ermöglichen zu können. Organisatorisch blieb der Verein jedoch der SS unterstellt. Himmler war Präsident. Finanziert wurde die Organisation durch Zwangsbeiträge der SS-Angehörigen. Kinderlose hatten die höchste Abgabe zu entrichten, ab vier Kindern, egal ob ehelich oder unehelich, endete die Beitragspflicht. Diese Maßnahme sollte SS-Angehörige anregen, ihren „völkischen Verpflichtungen“ bezüglich Nachwuchsförderung nachzukommen.

Lebensborn-Heim Steinhöring, Südansicht vom Park aus (1938)

Am 15. August 1936 eröffnete der Lebensborn sein erstes Heim „Hochland“ in Steinhöring bei Ebersberg in Oberbayern. Das Heim verfügte anfangs über 30 Betten für Mütter und 55 für Kinder. Bis 1940 verdoppelte sich die Bettenzahl.

Geschäftsführer des Lebensborn war zunächst SS-Sturmbannführer Guntram Pflaum und ab dem 15. Mai 1940 bis Kriegsende SS-Standartenführer Max Sollmann; ärztlicher Leiter war von Anfang an SS-Oberführer Gregor Ebner.

Aufnahmebedingungen

Frauen, die sich um Aufnahme bewarben, sollten laut Satzung des Lebensborn „in rassischer und erbbiologischer Hinsicht alle Bedingungen erfüllen, die in der Schutzstaffel allgemein gelten“. Entsprechend mussten die Frauen die gleichen Anforderungen erfüllen wie jeder SS-Bewerber bei der Aufnahme in die SS und bei der Heirat:

  • Vorzulegen war der „Große Abstammungsnachweis“, umgangssprachlich „Ariernachweis“, mit dem Nachweis der Vorfahren bis zum 1. Januar 1800, wie es für die NSDAP und ihre Untergliederungen galt.
  • Ein „Erbgesundheitsbogen“ mit Angaben über mögliche erbliche Belastungen in der Familie war auszufüllen.
  • Ein „ärztlicher Untersuchungsbogen“ zum Nachweis der Gesundheit und zur „rassischen Beurteilung“ fasste die Untersuchungen durch SS-Ärzte, später wegen Ärztemangels auch durch andere zugelassene Ärzte, zusammen.
  • Die Bewerberin musste einen Fragebogen zur Person, mit Fragen nach Beruf, Krankenversicherung, Parteizugehörigkeit, Heiratsabsicht usw., ausfüllen, dazu einen handgeschriebenen Lebenslauf mit Lichtbildern vorlegen.
  • Unverheiratete werdende Mütter hatten außerdem eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, dass der angegebene Mann der Vater des Kindes sei.

Sämtliche Unterlagen musste gleichfalls der werdende Vater einreichen. Ausgenommen waren SS-Angehörige nur, wenn die Heiratsgenehmigung für die Mutter bereits vom Rasse- und Siedlungshauptamt erteilt worden war.

Im Laufe des Krieges wurden die Aufnahmekriterien reduziert, so dass schließlich etwa 75 Prozent der Anträge bewilligt wurden.

Betreuung in den Heimen

Entbindungszimmer in einem Lebensborn-Heim 1936

Als SS-eigene Organisation konnte der Lebensborn Entbindungen geheim halten. Eigene Standesämter und polizeiliche Meldeämter in den Lebensborn-Heimen durften eine Geburt nicht an die Heimatgemeinde der ledigen Mutter weitermelden.

Nationalsozialistische Lebensborn-„Taufe“ 1936

War die Aufnahme bewilligt, konnte die Frau die Zeit der Schwangerschaft, auf Wunsch auch weit entfernt vom Heimatort, bis einige Wochen nach der Geburt des Kindes in einem Heim des Lebensborn zubringen. Bei ledigen Müttern übernahm der Lebensborn die Vormundschaft. Die Neugeborenen wurden in einem eigenen Zeremoniell mit einer Mischung aus pseudochristlichen, nationalsozialistischen und pseudogermanischen Riten unter Auflegung eines silbernen SS-Dolches unter der Hakenkreuzfahne „getauft“. Als Geschenk erhielten sie einen im KZ Dachau gefertigten Kerzenleuchter.[5]

Kinderverschleppung

Infolge des Krieges wuchs die „arische Elite“ nur mäßig. Daher befahl Himmler als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums am 19. Februar 1942 in Halensee mit "Anordnung 67/1", „arisch“ aussehende, blonde und blauäugige Kinder aus besetzten Gebieten wie Polen zwecks „Eindeutschung“ zu entführen.[6] Weitere Kinder wurden in anderen besetzten Ländern geraubt, wie Frankreich und Jugoslawien; für die annektierten tschechischen Gebiete bildete Lodz die Clearingstelle, der NS-Arzt dort hieß Dongus. Die Kinder wurden vom Lebensborn aufgenommen und je nach Alter an private Pflegestellen bei SS-Familien, zur Adoption oder in Lebensborn-Heime weiter verschoben. Kleinere Kinder, etwa bis zu 6 Jahren, erhielten gefälschte neue Geburtsurkunden. Sie bekamen einen neuen Namen und durften nur noch Deutsch sprechen, um ihre Muttersprache zu vergessen. Falls sie nicht den Kriterien nach den „Ariertabellen“ entsprachen, wurden sie in ein Vernichtungslager abgeschoben.[5]Von einer Aktion in Tschechien ist bekannt, dass neun Kinder zur Germanisierung ausgesucht, 82 jedoch zur Tötung nach Chelm in das Vernichtungslager Sobibor gebracht wurden.[7]

Während der Besetzung Jugoslawiens wurden Kinder slowenischer Widerstandskämpfer unter anderem nach Saldenburg, Kastl und Neustift bei Vilshofen (Gemeinde Ortenburg) verschleppt. Diese Kinder wurden unter Zwang von ihren Familien getrennt und aus Slowenien über Franken verteilt. Diese Maßnahme diente nicht nur als Vergeltung, sondern auch dazu, die Lebensborn-Heime mit „arisierbaren“ Kindern aufzufüllen.[8][9]

Lebensborn-Heime

Viele Lebensborn-Heime wurden in enteigneten jüdischen Anwesen eingerichtet. Manche kamen auch als Schenkungen zum Verein.

Heime im Gebiet des heutigen Deutschland

„Mütter-Häuser“ des Lebensborns, aus einem SS-Reklamekalender von 1938

Bis zum 31. Dezember 1939 wurden in den Heimen etwa 770 nichteheliche Kinder geboren, davon befanden sich noch 354 in Lebensborn-Heimen.

Heime im Gebiet des heutigen Österreich

Heime im Gebiet des heutigen Polen

Luxemburg

Belgien

Aufnahme fanden, dem Militärverwaltungschef Belgien/Nordfrankreich zufolge, „werdende Mütter sog. germanischen Blutes…, die von reichsdeutschen Angehörigen der Wehrmacht oder fremdländischen Angehörigen deutscher Hilfsorganisationen (Waffen-SS, Wallonische (SS-)Legion, Flämische SS, NSKK und dgl.), die sog. germanischen Blutes sind“ ein Kind erwarteten. Stillschweigend war der Lebensborn in Belgien offenbar dazu übergangen, auch rein ausländische Kinder zu betreuen, deren Mütter und Väter keine deutschen Staatsangehörigen waren.

Frankreich

Niederlande

  • „Gelderland“ in Nijmegen – 60 M / 100 K (Heim nicht mehr in Betrieb genommen)

Norwegen

  • „Heim Geilo (1942) – 60 M / 20 K
  • Kinderheim „Godthaab“ bei Oslo (1942) – 165 K (im Oktober 1943 mit 250 Kindern zwischen 3 Monaten und 4 Jahren belegt)
  • „Heim Hurdalsverk“ (1942) – 40 M / 80 K
  • „Heim Klekken“ (1942)
  • „Heim Bergen“ in Hop bei Bergen (1943) – 20 M / 6 K
  • Kinderheim „Stalheim“ (1943) – 100 K
  • „Stadtheim Oslo (1943) – 20 M / 6 K
  • „Stadtheim Trondheim (1943) – 30 M / 10 K
  • „Heim Os“ bei Bergen – 80 K (Heim nicht mehr in Betrieb genommen)

Im Laufe des Kriegs wurden insgesamt 200 bis 250 norwegische Kinder in fünf Lufttransporten in die Heime Kohren-Sahlis, Hohehorst und Bad Polzin gebracht. Sie wurden entweder von ihren Vätern aufgenommen oder kamen in Pflege, mit dem Ziel einer späteren Adoption.

Bis zum 30. September 1944 wurden 6584 Norwegerinnen, manche Quellen sprechen von etwa 8000 Norwegerinnen,[10] in die dortigen völlig überbelegten Lebensborn-Entbindungsheime aufgenommen. Bis zum Ende der deutschen Besatzung wurden in den Heimen ungefähr 12.000 Kinder geboren.[5] Die Frauen wurden nach Kriegsende mit der offiziellen Begründung, man wolle mögliche Geschlechtskrankheiten eindämmen, zuerst interniert.[10] Für die spätere Diskriminierung dieser tyskerbarna („Deutschenkinder“) und ihrer Mütter, die man abwertend als tyskertøser, etwa: „Deutschenflittchen”, bezeichnete, entschuldigte sich der norwegische Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik im Jahre 1998.

Geburtenstatistik (außer Norwegen)

  • 31. Dezember 1939: 1571 (Lebendgeburten insgesamt) – davon ungefähr 770 unehelich geborene Kinder
  • 31. Dezember 1940: 2400
  • 1. April 1942: 3477
  • 30. September 1943: 5000
  • 11. Mai 1945: insgesamt 7000–8000 – davon knapp 5000 unehelich geborene Kinder
  • 11. Mai 1945: Heim „Hochland“ insgesamt 1438

Prozess gegen das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt

In Steinhöring, dem ersten Lebensborn-Heim, endete auch das Projekt Lebensborn. Als die US-amerikanischen Truppen anrückten, verbrannten die Angestellten die Originalpapiere und ließen die aus allen Heimen hierher evakuierten Kinder zurück. Bei vielen Kindern konnte die Identität nicht geklärt werden.

Im Nürnberger Justizgebäude wurde vor einem US-Militärgericht im Rahmen des so genannten RuSHA-Prozesses vom 1. Juli 1947 bis 10. März 1948 gegen 14 Beschuldigte verschiedener SS-Hauptämter verhandelt, darunter auch gegen vier ehemalige führende Funktionäre des Lebensborn. In den Anklagepunkten, die sich auf ihre Tätigkeit im Lebensborn begründeten, wurden alle Angeklagten freigesprochen. Ihre aktive Rolle bei der Verschleppung und Zwangsadoptionen von etwa 250 osteuropäischen Kindern,[11] ebenso wie ihre Beteiligung an der Tötung behinderter Kinder wurde erst später bekannt.[12]

In den Lebensbornheimen der Nationalsozialisten sah man ein rein soziales Netzwerk für Waisen und uneheliche Kinder.[13][14]

In der Urteilsbegründung hieß es unter anderem:

„Aus dem Beweismaterial geht klar hervor, daß der Verein Lebensborn, der bereits lange vor dem Krieg bestand, eine Wohlfahrtseinrichtung und in erster Linie ein Entbindungsheim war. Von Anfang an galt seine Fürsorge den Müttern, den verheirateten sowohl wie den unverheirateten, sowie den ehelichen und unehelichen Kindern. Der Anklagevertretung ist es nicht gelungen, mit der erforderlichen Gewißheit die Teilnahme des Lebensborn und der mit ihm in Verbindung stehenden Angeklagten an dem von den Nationalsozialisten durchgeführten Programm der Entführung zu beweisen […] Der Lebensborn hat im allgemeinen keine ausländischen Kinder ausgewählt und überprüft. In allen Fällen, in denen ausländische Kinder von anderen Organisationen nach einer Auswahl und Überprüfung an den Lebensborn überstellt worden waren, wurden die Kinder bestens versorgt und niemals in irgendeiner Weise schlecht behandelt. Aus dem Beweismaterial geht klar hervor, daß der Lebensborn unter den zahlreichen Organisationen in Deutschland, die sich mit ausländischen nach Deutschland verbrachten Kindern befassten, die einzige Stelle war, die alles tat, was in ihrer Macht stand, um den Kindern eine angemessene Fürsorge zuteil werden zu lassen und die rechtlichen Interessen der unter seine Obhut gestellten Kinder zu wahren.“

Wahrnehmung in der Öffentlichkeit

Da die deutschen Lebensborn-Heime streng abgeschottet waren, entstanden bereits in der NS-Zeit Gerüchte über den Lebensborn als Ort des Lasters, über Paarungszwang und Pornographie. Nach dem Untergang der nationalsozialistischen Diktatur wurden in Büchern und einigen Filmen (u. a. „Lebensborn“, BRD 1961, „Pramen Života/Der Lebensborn“, Tschechien 2000) die Gerüchte von den „Zuchtfarmen der SS“ weiter tradiert, wonach sich „fanatische BDM-Mädchen“ von „reinrassigen SS-Zuchtbullen“ hätten begatten lassen, um „reinrassigen“ Nachwuchs zu zeugen.

Zwar erwiesen sich die Gerüchte, die Lebensborn-Heime seien SS-Bordelle gewesen, als haltlos, nicht aber die Tatsache, dass dort ledige Mütter Aufnahme fanden, die „den Zuchtkriterien der SS entsprachen“[15] und meist ein Kind von einem SS-Mann erwarteten. Verheiratete Mitglieder der SS wurden geradezu aufgefordert, ihrer „völkischen Verpflichtung“ nachzukommen und auch außerehelichen Kontakt mit hoch gewachsenen blonden „arischen“ Frauen zu pflegen, um „erbgesunde“ Kinder zu zeugen, im Sinne der Zucht einer „Herrenrasse“. Sobald sie sich als Vater bekannt und vier eheliche oder uneheliche Kinder gezeugt hatten, wurden sie vom finanziellen Beitrag für Lebensborn befreit.[5] Die Schwangeren hatten in diesen Heimen Privilegien, konnten anonym gebären und anschließend das Kind adoptieren lassen. Es wurde auch weiterhin für die Frauen gesorgt, die häufig in einem Lebensborn-Kinderheim als Pflegepersonal blieben. Dies galt jedoch nicht, wenn sie ein behindertes Kind zur Welt gebracht hatten. Diese Kinder wurden als „lebensunwert“ in Tötungsanstalten ermordet, und die Mütter verloren alle Privilegien.[12] Denn natürlich kamen in den Lebensborn-Heimen auch behinderte Kinder zur Welt, die in der Geburtenstatistik zumeist nicht genannt wurden. Oftmals genügte eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, damit sie aus den Heimen entfernt wurden. Das einzige bekannte Dokument dazu lieferte der Heimleiter des Heimes Wienerwald, Norbert Schwab. Er schreibt von einer Überstellung eines behinderten Mädchens in die Reichsanstalt Am Spiegelgrund, die „im Sinne einer Ausmerze tätig“ sei.

Tiefenpsychologische Untersuchung von ehemaligen Lebensborn-Kindern

Der Münchener Kinderarzt Theodor Hellbrügge lernte 1946 sechs Lebensborn-Kinder kennen. Sie erschienen ihm „auffallend hübsch“. Damals waren sie eineinhalb bis zwei Jahre alt. „Bei näherem Zusehen“, berichtete der Kinderarzt, „stellte sich indessen heraus, dass keines dieser Kinder laufen konnte, einige konnten kaum sitzen. Sie konnten nicht sprechen, sie konnten vor allem nicht lachen.“[16] Jahre später bemühten sich Hellbrügge und die Psychologin Rosemarie Brendel, Adressen von Lebensborn-Kindern ausfindig zu machen. Von 1962 bis 1966 gelang es, 69 Lebensborn-Kinder ausfindig zu machen. 40 von ihnen wurden medizinisch, psychologisch und tiefenpsychologisch untersucht, außerdem wurden alle verfügbaren Unterlagen über die Jugendlichen studiert. Psychologische Tests ließen bei den ehemaligen Lebensborn-Kindern immer wieder Anzeichen für wirklichkeitsfremde Einstellung, Störungen der Umweltbeziehungen, Angst, Haltlosigkeit, Gefühlsarmut, Kontakthemmungen erkennen. Etliche Jugendliche stotterten. Fünf nässten und koteten noch im Alter von mehr als 17 Jahren ein. Vielfach waren große Erziehungsschwierigkeiten aufgetreten. Zwölf der 69 Jugendlichen waren in Fürsorgeerziehung gewesen. Durch Asozialität und Kriminalität war bereits – so Hellbrügge – „ein nicht geringer Teil aufgefallen“.[17][18] Die Kinder mit ausgesuchtem Erbgut, die in Heimen zu „nordischen Prachtmenschen“ heranwachsen sollten, entwickelten sich somit ganz anders, als ihre geistigen Väter am Schreibtisch es sich vorgestellt hatten. Und das lag offensichtlich an ihren frühen Jahren, die sie ohne Eltern verbringen mussten.

Selbsthilfegruppen der Kriegs- und Lebensborn-Kinder

Viele Kinder deutscher Soldaten (Besatzungskinder; in Norwegen Tyskerbarn genannt) sowie die Kinder aus Lebensborn-Heimen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in den befreiten Staaten gemieden oder im Unklaren über ihre Herkunft gelassen. Auch in Deutschland wurden solche Informationen über Lebensborn-Kinder verschleiert; die vom „Lebensborn” geführten Standesamtsunterlagen gingen bei Kriegsende verloren.[19] Die Kindergeneration hat deshalb Selbsthilfegruppen zur Aufklärung ihres Schicksals gebildet.[20] Im November 2006 trafen sich mehrere Lebensborn-Kinder öffentlich in Wernigerode, um sich auszutauschen und um auf ihr Schicksal (psychische Belastungen, z. B. Gefühl der Entwurzelung) aufmerksam zu machen.[21]

Erhalten gebliebene Akten und Dokumente des Lebensborn werden vom Internationalen Suchdienst und vom Bundesarchiv verwaltet.[22] Der Verein kriegskind.de veröffentlicht auch Suchbitten von Lebensborn-Kindern.[23]

Ausstellung

  • Dokumentations- und Lernort Baracke Wilhelmine in Schwanewede-Neuenkirchen mit einer Sonderausstellung zum Thema „Lebensborn“ und zum Lebensborn-Heim in Schwanewede-Löhnhorst.[24]
  • Ge(h)denken ist eine „mobile Ausstellung“ zur Geschichte des Lebensborn in München. Die als Web-App für Smartphones und Tablets konzipierte Anwendung bietet einen topographischen Zugang, der an die Geschichte des Lebensborn und die Betroffenen erinnert.[25]

Siehe auch

Literatur

Fachliteratur oder Dokumentarberichte

Deutschland

  • Jörg Albrecht: Rohstoff für Übermenschen. Artikel in Zeit-Punkte 3/2001 zum Thema Biomedizin, S. 16-18.
  • Angelika Baumann, Andreas Heusler (Hrsg.): Kinder für den "Führer", Der Lebensborn in München. 1. Auflage. Schiermeier, München 2013, ISBN 978-3-943866-19-3.
  • Wolfgang Benz; Hermann Graml; H. Weiß (1997): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Digitale Bibliothek, CD-ROM, Band 25, Directmedia, Berlin.
  • Thomas Bryant: Himmlers Kinder. Zur Geschichte der SS-Organisation "Lebensborn e.V." 1935-1945. Marix, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-86539-265-7.
  • Gisela Heidenreich: Das endlose Jahr. Die langsame Entdeckung der eigenen Biographie. Ein Lebensbornschicksal. 4. Auflage, Scherz, Bern 2002, ISBN 3-502-18315-5; & Fischer-TB, Frankfurt am Main 2004, Reihe Tabu 160278, ISBN 3-596-16028-6. (Die berührende Spurensuche eines „Lebensbornkindes“ in historischem Kontext.)
  • Volker Koop: Dem Führer ein Kind schenken. Die SS-Organisation „Lebensborn“ e. V.. Böhlau, Köln 2007, ISBN 978-3-412-21606-1.
  • Annegret Lamey: Kind unbekannter Herkunft: Die Geschichte des Lebensbornkindes Hannes Dollinger, Wißner, Augsburg 2008, ISBN 978-3-89639-644-0.
  • Georg Lilienthal: Der „Lebensborn e.V." Ein Instrument nationalsozialistischer Rassenpolitik. Neuausgabe, Fischer-TB, Frankfurt 2003, ISBN 3-596-15711-0. (Standardwerk, zuerst 1985)
  • Dorothee Schmitz-Köster: Deutsche Mutter, bist Du bereit… Alltag im Lebensborn. 5. Auflage, Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-7466-8094-8. (Einfühlsame Zeitzeugeninterviews mit ehemaligen Lebensbornmüttern und -kindern, Schwestern, Hebammen und Heimleitern.)[12]
    • dies.: Kind L 364. Eine Lebensborn-Familiengeschichte. 2.Aufl., Rowohlt, Berlin 2007, ISBN 978-3-87134-564-7 (Familiengeschichte über das Verschweigen, politische Irrwege, über Profiteure und deren Opfer, über Massenmörder, die gleichzeitig liebevolle Väter sein können.)
    • dies.: Deutsche Mutter, bist Du bereit … Der Lebensborn und seine Kinder. Erweiterte Neuauflage, Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-7466-7085-0 (Erweitert durch Lebensbornkinder-Biografien, Namen und Fakten zu „Heim Friesland“).
  • Dorothee Schmitz-Köster/Tristan Vankann: Lebenslang Lebensborn. Die Wunschkinder der SS und was aus ihnen wurde. Piper, München 2012, ISBN 978-3-492-05533-8 (20 Porträts mit Fotos von Tristan Vankann).
  • Claudia Sandke: Der Lebensborn e.V. Eine Darstellung der Aktivisten des Lebensborn e.V. im Kontext der nationalsozialistischen Rassenideologie. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2008, ISBN 978-3-8364-9617-9 (Zugleich Magisterarbeit an der Universität Leipzig 2004).

Frankreich

  • Marc Hillel: Au nom de la race, Fayard, Paris 1975. ISBN 2-2530-1592-X.
  • Katherine Maroger: Les racines du silence, Éditions Anne Carrière, 2008. ISBN 978-2-8433-7505-7.
  • Boris Thiolay: Lebensborn. La fabrique des enfants parfaits. Enqête sur ces Francais nés dans les maternités SS. (Titel aus dem Französischen übersetzt: Lebensborn. Die Fabrik der perfekten Kinder). Éditions Flammarion, Paris 2012.

England/USA

  • Catrine Clay und Michael Leapman: Master race: the Lebensborn experiment in Nazi Germany. Hodder & Stoughton, 1995. ISBN 0-340-58978-7. (Deutsch: Herrenmenschen. Das Lebensborn-Experiment der Nazis. Heyne-TB, 1997).
  • Larry V. Thompson: Lebensborn and the Eugenics Policy of the Reichsführer-SS. Central European History 4 (1971): 54-77.
  • Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals Under Control Council Law No. 10. Vol. 5: United States v. Ulrich Greifelt, et al. (Case 8: 'RuSHA Case'). United States Government Printing Office, District of Columbia, 1950.
  • Dieter Wältermann: The Functions and Activities of the Lebensborn Organisation Within the SS, the Nazi Regime, and Nazi Ideology. The Honors Journal II (1985: 5-23).
  • Kjersti Ericsson, Eva Simonsen (Hrsg.): Children of World War II: the hidden enemy legacy. Erstausgabe, Berg, Oxford u. a. 2005, ISBN 1-84520-207-4. (engl.; Aufsatzsammlung; mehrere Beiträge zum Thema „Lebensborn“).

Norwegen

  • Kåre Olsen: „Vater: Deutscher.“ Das Schicksal der norwegischen Lebensbornkinder und ihrer Mütter von 1940 bis heute. Campus, Frankfurt 2002, ISBN 3-593-37002-6.

Belletristik

Filme

Weblinks

 Commons: Lebensborn – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Selbsthilfevereine

Einzelnachweise

  1. Koop, a. a. O., S. 155–159.
  2. Lilienthal 2003, Seite 47; Statuten des Lebensborn e. V., Präambel
  3. Koop, a. a. O., S. 24.
  4. 4,0 4,1 Koop. a. a. O., S. 28.
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 Rebecca Abe: „Der Lebensborn e. V.“ auf Shoa.de
  6. Dokument, Seite 3. Demnach waren polnische geraubte Kinder dem RuSHA der SS, Aussenstelle Litzmannstadt, zu melden, das die "Eignung" zur Eindeutschung feststellte. Die Angabe von Dorothy Macardle, Children of Europe, Victor Gollancz, London 1949, S. 235f., Posen sei diese Clearingstelle gewesen, ist falsch. Dort auch der Hinweis auf eine tschechische Übersetzung des Himmler-Dokuments.
  7. Macardle, aaO.
  8. Brez staršev, večino so Nemci pobili, in brez doma („Ohne Eltern, die meisten wurden von den Deutschen getötet, und ohne Zuhause“), Wochenzeitung Dolenjski list, Novo mesto, Slowenien, 24. Januar 2008.
  9. Europäisch-Ungarisches Gymnasium Kastl, Klosterburg Details
  10. 10,0 10,1 Eva Simonsen: Into the open – or hidden away? – The construction of war children as a social category in post-war Norway and Germany. In: Nordeuropaforum (2006:2), S. 25–49 unter edoc.hu-berlin.de (PDF-Datei; 323 kB)
  11. Deutschlandradio-Webseite: dradio.de, Kalenderblatt
  12. 12,0 12,1 12,2 Irene Bazinger, Rezension, Kinderproduktion nach dem deutschen Reinheitsgebot – nadir.org (Memento vom 8. Oktober 2008 im Internet Archive)
  13. [Die Kinder der Herrenrasse – Organisation Lebensborn, ZDF info, 13. April 2013 (Video)]
  14. dradio.de, Kalenderblatt
  15. Eva-Maria Götz, in: dradio.de, Kalenderblatt vom 15. August 2006
  16. Lausch, E.: Nicht lachen, nicht weinen, nur schreien. Folge III. Heimkinder leiden an unheilbaren Verhaltensstörungen. Zeit online, 26. Oktober 1973
  17. K. H. Brisch: Kinder ohne Bindung. Deprivation, Adoption und Psychotherapie, Hrsg. Theodor Hellbrügge, Klett-Cotta Verlag, 3. Auflage, Stuttgart 2006
  18. Hellbrügge: Handbuch der Kinderheilkunde. Band Soziale Pädiatrie, Springer, 1966 S. 391
  19. Was der „Lebensborn“ in Wirklichkeit war
  20. Anmerkung: zum Beispiel "Lebensspuren e.V." (Homepage), siehe auch FASZ vom 18. Mai 2014 (S. 44): Ein Brief vom fremden, toten Vater
  21. Nazi 'master race' children meet, BBC News, 4. November, 2006 (engl.)
  22. Neues Findbuch zu „Lebensborn“-Beständen its-arolsen.org, abgerufen am 30. März 2012
  23. Suchbitten von Lebensborn-Kindern bei kriegskind.de
  24. Sonderausstellung Lebensborn
  25. Internetzugang zur Web-App "Ge(h)denken"
  26. Lebensborn Feichtenbach, Besprechung des Films.
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