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Kulturkampf

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Dieser Artikel stellt die Situation in Deutschland dar. Zu den zeitgleichen Ereignissen in der Schweiz und Baden siehe Kulturkampf in der Schweiz und Badischer Kulturkampf. Zu den Auseinandersetzungen zwischen katholischen und liberalen Studenten Anfang des 20. Jhs. siehe Akademischer Kulturkampf.
Modus vivendi, Karikatur von Wilhelm Scholz: Der Papst und der Reichskanzler fordern sich gegenseitig als Zeichen der Unterwerfung zum Fußkuss auf. Bildunterschrift: Pontifex: „Nun bitte, genieren Sie sich nicht!“ Kanzler Bismarck: „Bitte gleichfalls!“. Aus dem Kladderadatsch, Nr. 14/15 (18. März 1878).

Als Kulturkampf wird in Deutschland traditionell der Konflikt zwischen dem Königreich Preußen bzw. später dem Deutschen Kaiserreich unter Reichskanzler Otto von Bismarck und der katholischen Kirche unter Papst Pius IX. bezeichnet. Diese Auseinandersetzungen eskalierten ab 1871, wurden bis 1878 aber beendet und 1887 diplomatisch beigelegt. In einem größeren Kontext bezeichnet der Begriff hingegen ein allgemein europäisches Phänomen, zumal es in vielen anderen Staaten des Kontinents zu ähnlichen Entwicklungen kam (siehe Ultramontanismus, Trennung von Kirche und Staat).

Der badische und bayerische Kulturkampf fanden beide zeitlich vor dem preußischen statt; sie werden im traditionellen Geschichtsverständnis als Vorläufer des „eigentlichen“ Konflikts zwischen Preußen beziehungsweise dem Reich und der katholischen Kirche verstanden. In der jüngeren Geschichtsschreibung werden sie als Beleg für den überregionalen Charakter der deutschen Kulturkämpfe gesehen.[1]

Beim Kulturkampf ging es sachlich um die Durchsetzung einer liberalen Politik, die eine Trennung von Kirche und Staat vorsah und sich zum Beispiel für die Einführung der Zivilehe einsetzte. Religiöse Kräfte, die überwiegend der katholischen Kirche angehörten, stemmten sich dagegen; sie setzten sich für den Einfluss des Religiösen in Öffentlichkeit und Politik sowie einen Primat von Kirche und Religion über Staat und Wissenschaft ein. Politisch ging es in Deutschland auch um die Macht und den Einfluss der organisierten katholischen Minderheit. Otto von Bismarck ging mit scharfen Mitteln gegen die katholische Geistlichkeit vor, weshalb er schließlich sogar von Protestanten und Liberalen kritisiert wurde. Gegen 1878 kam es wieder zu einer Annäherung zwischen Staat und katholischer Kirche.

Vorgeschichte, Hintergründe und Ursachen

Der Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler, Mitbegründer der Zentrumspartei

Veränderungen im Verhältnis von Staat und Kirche

Die Kirche war seit dem Mittelalter Trägerin vieler Einrichtungen im Bildungswesen und in der Sozialfürsorge. Spätestens im 18. Jahrhundert kamen mit dem Absolutismus und der Aufklärung Tendenzen auf, die stattdessen den Staat in dieser Rolle sehen wollten. Infolge der Säkularisation, die besonders im Zeitalter der napoleonischen Besatzung umgesetzt wurde, bildete sich allmählich ein neues staatliches Selbstverständnis heraus: Der Staat betrachtete sich fortan als von jeglicher konfessionellen Bindung befreit, und wollte daher auch sein ziviles und soziokulturelles Innerleben frei und ohne eine päpstliche Einflussnahme gestalten. Dieser staatliche Universalanspruch kollidierte jedoch alsbald mit den Zielvorstellungen der katholischen Kirche, die ihrerseits eine allgemeine Verbindlichkeit christlicher Normen postulierte, also auch eine Einhaltung ihrer Wertmaßstäbe vonseiten des Staates und der Gesellschaft erwartete. Dieser Interessenkonflikt, der sich im 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen des Liberalismus und des späteren Sozialismus weiterhin verschärfte, bildete die wesentliche Ursache für den Ausbruch des nachfolgenden Kulturkampfes. Auf Anregung vor allem Kettelers waren nämlich zahlreiche christlich-soziale Arbeitervereine entstanden, die allein im Ruhrgebiet Mitte der 1870er Jahre 30.000 Mitglieder hatten. Diese wohltätigen Vereine hatten durchaus auch gewerkschaftsähnliche Züge und lehnten etwa Streiks nicht ab, litten nun aber unter Bismarcks Politik in doppelter Hinsicht: Zum einen unter den Auswirkungen des Kulturkampfes, zum anderen durch das Sozialistengesetz, das auch sie traf; sie wurden in die Bedeutungslosigkeit gedrängt.[2]

Eine solche Entwicklung war nicht auf Deutschland beschränkt, sondern bildete vielmehr ein gesamteuropäisches Phänomen. Analoge Auseinandersetzungen gab es in der Schweiz, in Österreich-Ungarn, England, Belgien, Frankreich, Spanien sowie Mexiko[3] und Brasilien. Meist beeinflusst davon, ob liberale Kräfte Regierungsverantwortung übernahmen, begannen in einigen Ländern die Auseinandersetzungen bereits im Vormärz, in anderen zogen sie sich bis in das 20. Jahrhundert.[4] Der Katholizismus stand dabei besonders häufig im Mittelpunkt des Konfliktes, weil eine besonders konservative Ausprägung des Katholizismus, der sogenannte „Ultramontanismus“, eine Einheit von Staat und Kirche unter ihrem Primat sowie eine Rekatholisierung der Welt erreichen wollte.[5] Diese Strömung war innerhalb der katholischen Kirche gleichfalls nicht unumstritten. Im 19. Jahrhundert gab es prominente katholische Geistliche und Theologen, die den Katholizismus umfassend reformieren wollten.

Verschärfung der Konfliktlage unter Pius IX.

Vor dem Hintergrund der Einigung Italiens, die den Kirchenstaat und die weltliche Herrschaft des Papstes bedrohte, machte sich Pius IX. jedoch diese konservative Ausrichtung zu eigen.[5] 1864 veröffentlichte er den Syllabus Errorum, eine Auflistung von 80 angeblichen Irrtümern der Moderne in Politik, Kultur und Wissenschaft. Darin verurteilte er Rede- und Religionsfreiheit sowie die Trennung von Staat und Kirche. Das erste Vatikanische Konzil von 1869 bis 1870 versuchte, die päpstliche Autorität zu stärken, indem es mit der Proklamation des Infallibilitätsdogma dem Papst Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittenlehre zusprach. Solche ex cathedra (von der Kathedra, d.h. vom Thron des Papstes aus) verkündeten Grundsätze wie der Syllabus Errorum sollten demzufolge universelle Geltung haben. Diese konservativen Maßnahmen, mit denen die Kurie auf die modernen Entwicklungen in Staat und Gesellschaft reagierte, verschärften im Folgenden jedoch nur die Konfliktlage. In den Deutschen Ländern erregte die päpstliche Politik insbesondere unter den Liberalen Unmut, da sie das Infallibilitätsdogma als Verletzung ihrer Meinungs- und Gewissensfreiheit empfanden.

Kurz nach dem ersten Vatikanischen Konzil zog Frankreich im Sommer 1870 seine Truppen aus Rom ab, da diese im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 benötigt wurden. Dies nutzte das Königreich Italien zur Besetzung des Kirchenstaates. Die bisherige Papstresidenz Rom wurde zur Hauptstadt Italiens proklamiert und der Papst verlor sein bisheriges Herrschaftsgebiet. Frankreich verlor dagegen den Krieg und kam nicht mehr als Schutzmacht des Papstes in Frage. Als Folge des Krieges kam es unter preußischer Führung zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs. Das neugegründete Deutsche Reich bestand aus 24 Bundesstaaten (später kam noch Elsass-Lothringen dazu), von denen das Königreich Preußen der bei weitem größte war. Darunter waren die drei protestantisch dominierten Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck und 21 Staaten mit monarchischer Verfassung. Nur zwei der 21 regierenden Dynastien waren katholisch, die Wittelsbacher im Königreich Bayern und die Wettiner im Königreich Sachsen. Das neu gegründete Deutsche Reich war nicht zuletzt auch aufgrund der Dominanz Preußens damit ein ausgesprochen protestantisch geprägter Staat.

Angesichts der sich abzeichnenden Einigung Deutschlands unter Führung Preußens und der Aufhebung des Kirchenstaates organisierten sich die Katholiken seit Ende 1870 in der Zentrumspartei und verlangten, die Rechte der Kirchen gegenüber dem Staat zu bewahren. Die Partei stieß nicht nur auf den Widerstand von Liberalen im weitesten Sinne, die in der katholischen Kirche einen Hort der Reaktion und der Fortschrittsfeindlichkeit sahen. Reichskanzler Otto von Bismarck sah im Zentrum eine Gefahr für die staatliche Autorität und für die noch nicht sehr feste innere Reichseinheit. Zusammen mit anderen Minderheiten, zum Beispiel Polen, Elsaß-Lothringern und Dänen, sah er in den Katholiken Feinde des Reiches.[6] Den politisch organisierten Katholiken wurde von den Gegnern „Ultramontanismus“ vorgeworfen, sie ließen sich also von Rom (hinter den Bergen - ultra montes - den Alpen) beherrschen, nicht von Berlin.

Maßnahmen

Otto von Bismarck, Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident

Reichskanzler Otto von Bismarck setzte eine Reihe von Anordnungen und Gesetzen durch, die direkt oder indirekt als gegen die katholische Kirche gerichtet verstanden werden konnten. Einige dieser Gesetze besaßen Gültigkeit für das gesamte Deutsche Kaiserreich, andere nur für das Königreich Preußen.

Maßnahmen auf Reichsebene

  • Dezember 1871: Im „Kanzelparagraphen“, einem Reichsgesetz zur Abänderung des Strafgesetzbuches, wird den Geistlichen verboten, bei Verlautbarungen in ihrem Beruf den „öffentlichen Frieden“ zu gefährden, wie es hieß.
  • Juli 1872: Die Jesuiten dürfen in Deutschland keine Niederlassungen errichten (Jesuitengesetz).
  • Januar 1874: Vor dem Gesetz ist nur noch die Eheschließung des Standesamtes gültig (Zivilehe), nicht mehr die kirchliche. Wer kirchlich heiraten wollte, durfte dies erst nach der standesamtlichen Trauung.[7]

Maßnahmen in Preußen

  • Juli 1871: Bismarck löst die katholische Abteilung im preußischen Kultusministerium auf.
  • März 1872: Die geistliche Schulaufsicht wird in Preußen durch eine staatliche ersetzt (Schulaufsichtsgesetz).
  • Maigesetze 1873: Der Staat kontrolliert Ausbildung und Einstellung der Geistlichen, gewählte Gemeindevertretungen verwalten das kirchliche Vermögen.
  • April 1875: Das „Brotkorbgesetz“ entzieht der Kirche die staatlichen Zuwendungen. Das „Klostergesetz“ löst die Klostergenossen in Preußen auf, mit Ausnahme derjenigen, die sich mit Krankenpflege beschäftigen.

Auswirkungen

Bei Beendigung des Konflikts waren 1800 katholische Pfarrer ins Gefängnis gebracht und Kircheneigentum im Wert von 16 Millionen Goldmark (entspricht dem Gegenwert von Fehler Millionen Euro) beschlagnahmt worden.[8] Zu den auf Grund dieser Gesetze Verurteilten zählte unter anderem der Erzbischof von Posen Mieczysław Halka Ledóchowski und der Trierer Bischof Matthias Eberhard. Mieczyslaw Halka Ledóchowski wurde zur Höchststrafe von zwei Jahren verurteilt.[9] Bischof Matthias Eberhard, der als zweiter preußischer Bischof am 6. März 1874 verhaftet wurde, wurde zu einer Geldstrafe von 130.000 Goldmark und neun Monaten Haft verurteilt.[8] Matthias Eberhard starb sechs Monate nach seiner Haftentlassung auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes. Zum Zeitpunkt seines Todes waren 250 Priester vor Gericht gestellt worden, und 230 von 731 Pfarreien seiner Diözese waren vakant.[10] Am 13. Juli 1874 verübte der katholische Handwerker Eduard Franz Ludwig Kullmann im Verlauf der Auseinandersetzungen ein Attentat auf Bismarck, der dabei aber nur leicht verletzt wurde.

Manfred Görtemaker zufolge ist es unzulässig, wie Papst Pius IX. von einer Verfolgung der Gläubigen zu sprechen. Es ging viel eher darum, konkret die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirchen zu brechen oder einzuschränken.[11] Außerdem wurden 1872 die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan abgebrochen. In einer Reichstagsrede bekräftigte Bismarck mit dem Ausspruch „Nach Canossa gehen wir nicht!“ seine Absicht, im Konflikt mit der katholischen Kirche „keinen Fußbreit nachzugeben“.

Beendigung des Kulturkampfes seit 1878

Otto von Bismarck erreichte mit dem Kulturkampf nicht alle seine politischen Ziele. Das Zentrum erhielt sogar mehr Wählerzulauf als zuvor, der Katholizismus spaltete sich nicht, anders als es mit der Gründung der Altkatholischen Kirche zunächst ausgesehen hatte. Außerdem empörten sich auch viele der Unterstützer Bismarcks: Die protestantischen Konservativen waren ebenfalls gegen die Zivilehe und die staatliche Schulaufsicht, die Liberalen sahen Grundrechte gefährdet.[11] Bismarck war bereit, sich mit den kirchlichen Kräften zu arrangieren, nachdem er wenigstens einige politische Ziele durchgesetzt hatte. Ein Grund für das Ende des Kulturkampfes waren die bevorstehenden Sozialistengesetze seit 1878, für die Bismarck eine Mehrheit benötigte, die er jedoch von den Liberalen nicht erwarten konnte.

Als Pius IX. 1878 starb, folgte ihm Leo XIII. im Amt. In direkten Verhandlungen mit der Kurie wurden die harten Gesetze abgemildert. Im Sommer 1882 nahm Preußen wieder diplomatische Beziehungen zum Vatikan auf. Die 1886 und 1887 erlassenen Friedensgesetze führten schließlich zur Beilegung des Konflikts. Leo XIII. erklärte am 23. Mai 1887 öffentlich den „Kampf, welcher die Kirche schädigte und dem Staat nichts nützte“, für beendet.

Dimensionen des Kulturkampfes

Historiker haben in den letzten Jahrzehnten auf die unterschiedlichen Dimensionen des Konflikts hingewiesen.

Soziale Dimension

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war der Liberalismus vor allem bürgerlich-städtisch geprägt. Die mit fortschreitender Industrialisierung immer stärker marginalisierte Landbevölkerung fand nur im Klerus einen Fürsprecher. Der Kulturkampf trägt daher auch Züge eines Klassenkampfes. Dabei standen bürgerliche Kaufleute und Industrielle einer Koalition aus antiliberalen Adligen, Geistlichen und der bäuerlich geprägten Landbevölkerung gegenüber. Die Arbeiterschicht stand zwischen diesen beiden Gruppen und wurde gleichzeitig von Ultramontanen, Liberalen und Sozialisten umworben.[12]

Politische Dimension

1867 wurde im Norddeutschen Bund und 1871 im Deutschen Reich das allgemeine, gleiche Männerwahlrecht eingeführt. Diese Ausweitung der Wählerbasis brachte rasche Wahlerfolge katholischer Parteien mit sich. Liberale politische Kräfte sahen dadurch ihren politischen Einfluss bedroht und versuchten die Beeinflussung katholischer Wähler durch den Klerus zu unterbinden. Ihre Bemühungen sorgten allerdings erst recht für eine politische Mobilisierung antiliberaler Geistlicher und Laien.[12]

Kulturelle Dimension

Nach Ansicht des Historikers David Blackbourn trafen im deutschen Kulturkampf einander fremde kulturelle Lebensweisen aufeinander. Er weist dies insbesondere anhand des Beispiels der Marienerscheinungen in Marpingen 1876/1877 nach. Drei junge Mädchen berichteten, ihnen sei mehrmals im Härtelwald des saarländischen Dorfes Marpingen Maria erschienen. Die Erscheinungen, die von den Mädchen später widerrufen und von der katholischen Kirche nicht anerkannt wurden, zog bereits nach wenigen Tagen Tausende von Pilgern an. Bald berichteten auch andere Kinder und Erwachsene, die Erscheinung gesehen zu haben, und es gab Berichte über wunderbare Heilungen. Die Menschenansammlungen erregten die Aufmerksamkeit der preußischen Behörden, die sehr bald das Gelände absperrten und Militär und Gerichte einsetzten, um die Pilgerströme nach Marpingen zu stoppen.[13]

Ähnliches hatte sich bereits bei der Pilgerfahrt zum in Trier aufbewahrten Heiligen Rock ereignet, die im Jahre 1844 stattfand. Diese Zurschaustellung führte zu heftigen Debatten in der Öffentlichkeit. Sie war Auslöser für Otto von Corvins antiklerikales Buch Pfaffenspiegel und Rudolf Löwensteins Spottgedicht Freifrau von Droste-Vischering zum heil’gen Rock nach Trier ging im Kladderadatsch.

Folgen und Bewertung

Der Kulturkampf trug zur Trennung von Kirche und Staat bei. Mit der Weimarer Reichsverfassung bekam dann das Verhältnis von Kirche und Staat seine bis heute geltende Fassung. Es ist schwierig abzuschätzen, inwieweit der Kulturkampf das politische Klima noch im 20. Jahrhundert verändert hat; Zentrumspolitiker waren von den entscheidenden Machtpositionen weitgehend ausgeschlossen. Katholiken konnten sich vor allem bis 1918 als Bürger zweiter Klasse empfinden. In Deutschland waren die Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche zeitweise besonders heftig, es gab sie aber auch in anderen Ländern, nicht zuletzt in den gemischtkonfessionellen wie den Niederlanden, der Schweiz und den USA.

Das Jesuitengesetz wurde erst 1917, der Kanzelparagraph erst 1953 in der Bundesrepublik aufgehoben. Seit dem 1. Januar 2009 muss einer kirchlichen Ehe keine standesamtliche mehr vorangehen. Mittlerweile ist eine Eheschließung allerdings mit vielen Rechten des wirtschaftlich schwächeren Ehepartners etwa im Scheidungsfall verbunden, daher haben die Kirchen kein Interesse daran, eine rein kirchliche Trauung zu fördern, und erlauben sie nur im Ausnahmefall. Das Schulaufsichtsgesetz bleibt jedoch erhalten.

Armin Heinen zweifelt an der wiederholt geäußerten These, die Liberalen hätten sich zum Werkzeug Bismarcks gegen die katholische Kirche missbrauchen lassen. Wichtige Maßnahmen seien vielmehr die Initiative süddeutscher katholischer Liberaler gewesen. „Die Liberalen zwangen Bismarck zu einer Politik der Trennung von Staat und Kirche, die er so nicht wollte, und Bismarck überrumpelte die Liberalen mit den Strafgesetzen, ohne jedoch alles durchzusetzen.“ Der eigentliche Kulturkampf wiederum sei auf dem Felde der Publizistik geschlagen worden, und zwar schon vor 1871.[14]

Der Ausdruck „Kulturkampf“

Das Wort „Kulturkampf“ wurde das erste Mal 1840 in der in Freiburg im Breisgau erscheinenden katholischen Zeitschrift für Theologie verwendet. Es taucht dort in einer anonymen Rezension einer Schrift des Radikalen Ludwig Snell über „Die Bedeutung des Kampfes der liberalen katholischen Schweiz mit der römischen Kurie“ auf und bezeichnete in dem Artikel den Konflikt zwischen liberalen Schweizer Katholiken mit der römischen Kurie.[3] In Deutschland führte Rudolf Virchow die Bezeichnung ein, der sie am 17. Januar 1873 im Preußischen Abgeordnetenhaus verwendete, wo er in der Beratung des Gesetzentwurfes über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen sprach: „[…] Ich habe die Überzeugung, es handelt sich hier um einen großen Kulturkampf. […]“[15][16] In einem von Virchow verfassten Wahlaufruf der Fortschrittspartei vom 23. März 1873 hat er diesen Ausdruck wiederholt[17]. Die Bezeichnung wurde von der katholischen Presse ironisch aufgenommen und verspottet, von der liberalen Presse begeistert verteidigt.[17]

Einige Jahre später (1903–1908) brach der Akademische Kulturkampf aus, ein feststehender Begriff der Studentengeschichte für Auseinandersetzungen zwischen den reichstreuen und den katholischen Studentenverbindungen.

Wiederverwendungen des Begriffs

Das Wort „Kulturkampf“ wird seit geraumer Zeit auch in anderen Zusammenhängen verwendet, so zum Beispiel für den globalen „Kampf“ zwischen Kulturen verschiedener Länder oder Kulturkreise (etwa Samuel P. Huntington in seinem berühmten Buch Clash of Civilizations – ins Deutsche übersetzt unter dem Titel „Kampf der Kulturen“, obwohl „Zusammenprall der Kulturen“ den Sinn des Originaltitels besser träfe), für einen Kampf um die „kulturelle Vorherrschaft“ innerhalb einer Gesellschaft und insbesondere um die Definitionsmacht über das Selbstverständnis und die Wertvorstellungen einer Nation (siehe Neue Rechte, Wertewandel), sowie in zahlreichen verwandten Bereichen.

Im September 2008 erklärte der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen auf einem Kongress des Forums Deutscher Katholiken, dass er die Katholiken in Deutschland angesichts der aktuellen Diskussion um Gender Mainstreaming und eine angebliche „Propagierung der Homosexualität“ in einem neuen Kulturkampf um „die reale Stärkung der Familie“ sehe.[18]

Literatur

  • Manuel Borutta: Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011², ISBN 978-3-525-36849-7.
  • Christopher Clark und Wolfram Kaiser (Hg.): Kulturkampf in Europa im 19. Jahrhundert. Leipziger Univ.-Verl., Leipzig 2003.
  • Georg Franz: Kulturkampf. Staat und katholische Kirche in Mitteleuropa. Verlag Georg D.W.Callwey, München 1954.

Weblinks

 Wikisource: Themenseite Religion – Quellen und Volltexte
Wiktionary: Kulturkampf – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Siehe beispielsweise Borutta, S. 21.
  2. Jürgen Aretz: Katholische Arbeiterbewegung und christliche Gewerkschaften - zur Geschichte der christlich-sozialen Bewegung. In: Anton Rauscher (Hrsg.): Der soziale und politische Katholizismus : Entwicklungslinien in Deutschland 1803-1963. Bd. 2, Landsberg am Lech, 1982, S. 163. Herbert Hömig: Katholiken und Gewerkschaftsbewegung 1890-1945. Paderborn u.a., 2003, S. 11 f. Klaus Tenfelde: Die Entstehung der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Vom Vormärz bis zum Ende des Sozialistengesetzes. In: Geschichte der deutschen Gewerkschaften von den Anfängen bis 1945. Köln, 1987, S. 119.
  3. 3,0 3,1 Borutta, S. 11: Quellen bei Augustin Keller: In rei memoriam.
  4. Borutta, S. 13
  5. 5,0 5,1 Borutta, S. 15
  6. Manfred Görtemaker: Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien. Opladen 1983, S. 277/278.
  7. Bis hierhin Aufzählung nach Manfred Görtemaker: Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien. Opladen 1983, S. 279.
  8. 8,0 8,1 David Blackbourn: Marpingen. Das deutsche Lourdes in der Bismarckzeit. Historische Beiträge des Landesarchivs Saarbrücken, Band 6, Saarbrücken 2007, ISBN 978-3-9808556-8-6, S. 128
  9. rbb Preußen-Chronik | Mieczyslaw Graf Halka-Ledochowski
  10. David Blackbourn: Marpingen. Das deutsche Lourdes in der Bismarckzeit. Historische Beiträge des Landesarchivs Saarbrücken, Band 6, Saarbrücken 2007, ISBN 978-3-9808556-8-6, S. 129
  11. 11,0 11,1 Manfred Görtemaker: Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien. Opladen 1983, S. 280.
  12. 12,0 12,1 Borutta, S. 22
  13. Siehe David Blackbourn: Marpingen. Das deutsche Lourdes in der Bismarckzeit. Historische Beiträge des Landesarchivs Saarbrücken, Band 6, Saarbrücken 2007, ISBN 978-3-9808556-8-6
  14. Armin Heinen: Umstrittene Moderne. Die Liberalen sind der preußisch-deutsche Kulturkampf. In: Geschichte und Gesellschaft. 29. Jg. (2003), Heft 1, S. 138-156, S. 140, 143/144.
  15. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1806–1933. München 2000, S. 222.
  16. Karl Bachem: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspartei. Bd. III, 1927, S. 268–269.
  17. 17,0 17,1 Karl Bachem: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspartei. Bd. III, 1927, S. 269.
  18. Gernot Facius: Papsttreue Katholiken sehen Deutschland im Kulturkampf. In: Die Welt. 15. September 2008.
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