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Individuum

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Ein Individuum (lateinisch individuum ‚Unteilbares‘, ‚Einzelding‘) ist ein Ding, eine Entität oder einzelnes Seiendes, insofern er von Gegenständen klar unterschieden werden kann, d. h. insofern Identitätskriterien angegeben werden können.

Der Ausdruck „Individuum“ wird insbesondere auf Menschen angewendet, um sie als moralische Subjekte, d. h. als Träger von Rechten, Verantwortungen und Pflichten zu kennzeichnen. In diesem Sinn wird statt von „Individuen“ auch von „Personen“ geredet. Bei Personen werden zudem individuelle Eigenschaften, Interessen und Besonderheiten von denen der Bevölkerungsgruppe (Gemeinschaft, Gesellschaft, Kollektiv) der sie entstammen, abgegrenzt und als subjektive Elemente der Persönlichkeit der Individualität zugerechnet.

Ideengeschichte

Einer der ersten, die im Kulturkreis des europäischen Abendlands das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft thematisiert haben, war Aristoteles, der in seiner Politik den Menschen als zoon politikon, also als Gemeinschaftslebewesen bezeichnete. Dem gegenüber steht die Privatperson, bezeichnet als idiotes.[1] In neuerer Zeit war es Jean-Jacques Rousseau, der das Thema durch seine Unterscheidung von Willen aller (aller Individuen) einerseits und allgemeinem Willen (Willen der Gemeinschaft) andererseits neu behandelte. Die klare Formulierung einer Kluft zwischen den Interessen der Einzelnen und den systematischen Interessen einer Organisation, die wiederum bestimmte Interessen der Einzelnen bedient, ist aber seitdem vor allem ein Thema der Ökonomie geworden. Insbesondere die Spieltheorie untersucht die daraus resultierenden Konflikte und Interessenbalancen, siehe z. B. das Trittbrettfahrerproblem.

In der liberalen Wirtschaftstheorie im Anschluss an Adam Smith wird hingegen – ganz im Gegensatz zur Aussage von Rousseau und Adam Smith selbst – davon ausgegangen, dass die Summe der Einzelegoismen automatisch „zum größtmöglichen Glück der größten Zahl“ führen kann (Jeremy Bentham). Der Staat solle seine Aktivitäten auf wenige Ausnahmen – die Gewährleistung der äußeren und inneren Sicherheit – beschränken, was polemisch häufig als Idee vom Nachtwächterstaat bezeichnet wurde.

Die Bedeutung des Individuums schwankt in der Geistesgeschichte kulturrelativ sehr stark. Die Moderne, die heute die Westliche Welt bestimmt, betont das Individuum im historischen wie auch im interkulturellen Vergleich sehr stark. Diese starke Betonung des Individuums wird auch Individualismus genannt und steht im Gegensatz zum Kollektivismus.

Die geistesgeschichtliche Streitfrage ist die nach der Bedeutung und Autonomie des Einzelnen im Vergleich zu der Gemeinschaft, in der er lebt. In neuerer Zeit wurde dies in den Extrempositionen von Max Stirner („Der Einzige und sein Eigentum“) und dem Nationalsozialismus („Du bist nichts, Dein Volk ist alles“) besonders deutlich. Dem Individualismus kommen Gedankensysteme wie der Anarchismus oder der Liberalismus sehr entgegen. Die Gegenpositionen zum Individualismus nehmen besonders sozialistische Systeme ein. Es gibt allerdings Ausnahmen von dieser groben Orientierung. So betont etwa der Liberale Max Weber das Volk als hohen Wert, während es Sozialisten gibt, die eine Gesellschaftsordnung anstreben, in der der Einzelne ohne gesellschaftliche Bindung leben kann.

Die Abhängigkeit der Moral und Ethik von der Gesellschaft hat der Soziologe Emile Durkheim herausgearbeitet. Ihm zufolge gibt es Moral überhaupt erst durch das Kollektiv. Das Individuum an sich kennt keine Moral. Nach Durkheim sind so auch Verbrechen nichts als ein Verstoß gegen kollektive Gefühle.

Das Individuum und die Masse

Mit dem Heraufkommen der besonderen Bedeutung eines jeden Individuums entstanden Begriffe wie Masse und Persönlichkeit. Individuen werden ohne soziale Einbindung zur einsamen Masse, wie der Soziologe David Riesman es nannte. Einen Aufstand der Massen diagnostizierte der spanische Philosoph Ortega y Gasset. Er erfolgt aus der Vereinigung der zu Individuen Vereinzelten.

Unter einer Persönlichkeit versteht man im Allgemeinen ein Individuum, dem es gelungen ist, sich aus der Masse zu erheben. So sieht denn die Kritik am Individualismus zwei Möglichkeiten: Das anonyme Aufgehen des Einzelnen in der Masse, die unter Umständen von kollektivistischen Bewegungen organisiert werden und dann geschichtsträchtig werden können. Die andere Möglichkeit ist die Höherentwicklung des Individuums zur eigenständigen, emanzipierten Persönlichkeit.

Daraus ergeben sich zwei Bewegungsrichtungen. Eine optimistische unterstellt, dass sich die meisten Individuen zur Persönlichkeit weiterentwickeln können und der Individualismus daher ein Fortschritt auf dem Weg zu einer besseren Gesellschaft ist. Die entgegengesetzte pessimistische unterstellt, dass die Individuen dies nicht schaffen, sondern als Masse lediglich Spielball einer Minderheit sind bzw. werden oder von Demagogen ausgenutzt werden, der Individualismus daher eine Fehlentwicklung sei.

Interkultureller Vergleich

Das Individuum hat unter einer religiös-göttlichen Betrachtung eine gänzlich andere Bedeutung als in der Moderne. Zwar ist es der einzelne Mensch, der selig wird, aber dies wird nicht so sehr im Gegensatz zur Gesellschaft, sondern im Verhältnis zu Gott gesehen. Der Individualismus der Moderne setzt daher die Säkularisierung voraus. Wo diese nicht erfolgt ist, hat das Individuum eine sehr persönliche Bedeutung gegenüber Gott, aber nicht gegenüber der Gesellschaft. Erkennbar wird das beispielsweise daran, dass im Mittelalter Künstler, die Kirchen ausschmückten, ihre Werke nicht individuell zeichneten. Die Signatur eines Kunstwerkes kam erst auf, als das Individuum begann, eine gesellschaftliche Bedeutung zu erlangen.

In den Monotheistischen Religionen wie z.B. dem Judentum, dem Christentum und dem Islam sieht sich das Individuum in der Verantwortung seines Schöpfers gegenüber. In den heiligen Schriften dieser Religionen, wie der Thora, der Bibel oder dem Koran wird das Individuum gezielt angesprochen, gleichzeitig aber seine Bedeutung für die Gesellschaft hervorgehoben, da die Handlungen einer jeden Einzelperson eben nicht nur auf das eigene Wohlergehen, sondern immer auch auf das Wohl der Gesamtheit der Menschen ausgerichtet werden sollen. Dem selbstlosen Handeln wird der Vorzug eingeräumt, da dieses als Hilfeleistung zum Guten im Diesseits dem Handelnden durch die Belohnung im Jenseits vergolten wird. Die Selbsterziehung weg vom Egoismus liegt also vornehmlich darin begründet, dass nach den Vorstellungen dieser Religionen das wahre bzw. ewige Leben nach der Wiederauferstehung mehr Wert besitzt als das diesseitige.

Das vor allem aus indischen Einflüssen bestimmte asiatische Denken legt dem Individuum ebenfalls einen deutlich geringeren Wert bei. Die antiwestlichen Strömungen werden auch daraus genährt. Zwar gibt es auch im asiatischen Denken den einzelnen Menschen, aber niemals in der starken Betonung wie in der westlichen Moderne. Das Individuum ist dort viel stärker eingebunden in den ewigen Kreislauf bzw. in die Tradition der Familie, wie dies insbesondere in China deutlich wird.

Fachwissenschaften

  • Die Soziologie befasst sich mit der Einbindung des Individuums in die Gesellschaft.
  • Die Philosophie behandelt das Thema Individuum und Gemeinschaft im weitesten Sinne. Spezialgebiete wie Anthropologie und politische Wissenschaften greifen Einzelbereiche des Individuums heraus.
  • Die Sozialpsychologie befasst sich mit Interaktionen zwischen dem Individuum mit seinem sozialen Umfeld.
  • Die Verhaltensforschung befasst sich mit den genetischen Bedingungen von Individuum und Gruppe.
  • Die Rechtswissenschaften behandeln die Normen, die eine Gesellschaft (der Staat) den einzelnen Individuen gibt und bestimmt das Verhältnis zwischen den individuellen und den kollektiven Interessen.
  • In der Biologie sind Individuen Einzellebewesen einer Art.
  • Die Theologie nimmt sich des Verhältnisses des Einzelmenschen zu Gott an und thematisiert die Moral.
  • Die Forschungen über künstliche Intelligenz zielen sowohl auf eine fassbare Definition des Begriffs „Individuum“ als auch auf eine Konstruktion davon.
  • In der Spieltheorie kann das Individuum als ein Spieler in der Masse, dem n-Personen-Spiel, beschrieben werden, der seine Interessen egoistisch verfolgt.

In der Systemtheorie

Im Prinzip ist jedes materielle System als Individuum anzusehen, da es über Eigenschaften (d. h. Systemeigenschaften) verfügt, die keines seiner Elemente losgelöst von den anderen Elementen des Systems besitzt und in dieser spezifischen Ausprägung infolge seiner Herausbildung in einer konkreten spezifischen Umwelt auch kein anderes System.

Als Individuum grenzt sich jedes lebende System (lebendes System) raumzeitlich und qualitativ von seiner Umwelt ab, mit der es in Wechselwirkung steht, sodass von einer dialektischen Wechselwirkung gesprochen werden kann, welches spezifische Bedingungen für das Individuum schafft.

Daraus ergibt sich die relative Selbständigkeit des Individuums, die Fähigkeit zu eigener Entwicklung aufgrund innewohnender Triebkräfte, zu ihm eigentümlichen Bewegungen und Reaktionen auf Einwirkungen aus der Umwelt.

Individuation und Integration

Der Grad der relativen Selbständigkeit, Besonderheit und Eigentümlichkeit (Individuation) wird auch der Grad der Individualität bezeichnet. Der Grad der Individualität jedes Systems ist abhängig von dem des übergeordneten umfassenden Systems und dem seiner eigenen Elemente.

In Integrationsprozessen nimmt in der Regel der Grad der Individualität von Systemen zu und der ihrer Elemente ab (Integration (Philosophie)). Die Verabsolutierung der Individualität, besonders des einzelnen Menschen, wird als Individualismus bezeichnet.

Im Sinne der oben genannten Auffassung vom Individuum kann man jedoch auch andere Verabsolutierungen der Individualität (z. B. einer territorialen Einheit, einer Berufsgruppe, eines Volkes, einer Nation, der menschlichen Zivilisation auf der Erde) als verschiedene Formen des Individualismus auffassen. Daraus ergibt sich auch die Staatsräson.

In der Biologie

In der Biologie wurde über lange Zeiträume der Begriff des Individuums fast ausschließlich auf den einzelnen Organismus bezogen. Diese Verabsolutierung wurde im 20. Jahrhundert schrittweise übernommen unter Kritik des „Organismozentrismus“. Nach der Entdeckung der pflanzlichen und tierischen Zelle trat im 19. Jahrhundert zeitweilig eine gewisse Überbewertung der Individualität der Zelle zuungunsten der Individualität des Gesamtorganismus auf („Zellenstaattheorien“).

In der biologischen Diskussion um die Mitte des 20. Jahrhunderts gab es eine Überbewertung der Individualität der Art zuungunsten des Organismus. Derartige Überbewertungen sind in den heutigen Vorstellungen der hierarchischen Ordnung lebender Systeme weitgehend überwunden.

Individuelle Unterschiede im Genom sind fünf- bis zehnmal größer als bislang angenommen [2]

In der Logik

In der modernen Logik wird unter einem Individuum jedes Objekt außerhalb und innerhalb des Bewusstseins bezeichnet, das Eigenschaften besitzt und irgendwelche Beziehungen aufweist, aber nicht selbst Eigenschaft oder Beziehung bildet.

Die Individuen in diesem allgemeinen und abstrakten Sinne mit ihren Eigenschaften und Beziehungen konstituieren Individuenbereiche, auf die sich die logischen Ausdrücke, Aussagen u.a. beziehen. Da die logischen Gesetze im Allgemeinen für beliebige (nicht leere) Individuenbereiche gelten, wird üblicherweise nicht näher bestimmt, welcher Natur diese Individuen sind. Hängt die Gültigkeit eines logischen Gesetzes von der Anzahl der Individuen ab, die dem zugrunde liegenden Individuenbereich angehören, so wird nur diese Anzahl angegeben. Der Begriff des Individuums gehört zu den Grundbegriffen der modernen Logik, die in ihrem Rahmen als indefiniert angenommen werden und auch dort gar nicht definiert werden können.

Bei Anwendungen der Logik muss jedoch genau bestimmt werden, was im Rahmen des betrachteten Individuenbereichs als Individuum anzusehen ist. Wird insbesondere die Unterscheidung zwischen den Individuen einerseits und den ihnen zukommenden Eigenschaften und Beziehungen andererseits nicht streng eingehalten, besteht die Gefahr des Auftretens logischer, d. h. syntaktischer Antinomien. Im Rahmen verschiedener Anwendungen der Logik kann allerdings ein und dasselbe Objekt einmal als Individuum, ein anderes Mal als Eigenschaft angesehen werden. Will man z. B. gewisse Eigenschaften und ihre Beziehungen untersuchen, ohne ihre Beziehungen zu den Individuen, deren Eigenschaften sie sind, ebenfalls zu berücksichtigen, dürfen sie wie Individuen und dürfen ihre Eigenschaften und Beziehungen wie solche erster Stufe behandelt werden.

Der Vorteil dieser Verfahrensweise besteht darin, dass man nicht von der Stufenlogik mitsamt den mit ihr verbundenen Schwierigkeiten Gebrauch machen muss, sondern mit der wesentlich einfacheren Prädikatenlogik der ersten Stufe auskommt. In Darstellungen der Prädikatenlogik verwendet man Individuenvariable, um Existential- oder Allaussagen über die Individuen des entsprechenden Individuenbereichs treffen zu können. Bei Anwendungen der Logik muss man eventuell auch Individuenkonstante einführen.

Der Begriff des Individuums in anderen Bereichen

Siehe auch

Literatur

  • Franciscus Suarez: Über die Individualität und das Individuationsprinzip (Fünfte metaphysische Disputation), lateinisch – deutsch, herausgegeben, übersetzt und mit Erläuterungen versehen von Rainer Specht, Hamburg 1976
  • Charles Taylor: Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität. Frankfurt a.M. 1996

Einzelnachweise

  1. Vgl. Idiot, siehe auch Marek J. Siemek: Demokratie und Philosophie (1999) zur Herkunft des Begriffes.
  2. Warum jeder Mensch so einzigartig ist. News auf wissenschaft.de vom 23. November 2006

Weblinks

Wiktionary: Individuum – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
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