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Gastarbeiter

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Dieser Artikel behandelt Gastarbeiter in Deutschland, die in den 1950er bis 1970er-Jahren einwanderten. Arbeitsmigration behandelt dieses Thema allgemein
Schulung italienischer Gastarbeiter, die im Bergbau eingesetzt werden sollen (Duisburg, 1962)

Der Begriff Gastarbeiter bezeichnet Mitglieder einer Personengruppe, denen aufgrund von Anwerbeabkommen zur Erzielung von Erwerbseinkommen ein zeitlich befristeter Aufenthalt in der Bundesrepublik oder der DDR gewährt wurde. Der Begriff wurde jedoch seit den 1960er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auch nach faktischem Wegfall der zeitlichen Befristung ohne weitere Differenzierung als Bezeichnung für Arbeitsmigranten populär.

Begriff

Begriffsdefinition

Der Begriff Gastarbeiter bezeichnet Mitglieder einer Personengruppe, denen aufgrund von Anwerbeabkommen zur Erzielung von Erwerbseinkommen ein zeitlich befristeter Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland oder der DDR gewährt wurde.

Der Begriff Gastarbeiter umfasst im gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht Arbeitnehmer, die aufgrund der Freizügigkeitsregelungen der EWG (Belgien, Frankreich, Niederlande) oder ohne besondere Vertragsgrundlage (Österreich, Schweiz, England, USA) in der BRD arbeiteten. Zahlenmäßig spielten diese Arbeitnehmer auch nur eine geringe Rolle gegenüber denen, die aufgrund von Anwerbeabkommen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. Populär wurde der Begriff Gastarbeiter Anfang der 1960er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland für die in großer Zahl im Ausland angeworbenen Arbeitsmigranten.

Die folgenden Vereinbarungen wurden nach dem Muster des ersten deutsch-italienischen Anwerbeabkommens von 1955 getroffen:

Die wirtschaftliche Rezession der Jahre 1966/67 ließ die Anwerbung zurückgehen. Die Ölkrise 1973 und die damit verbundene Wirtschaftsflaute führten schließlich noch im selben Jahr zu einem völligen Anwerbestopp.

Begriffsgeschichte

Auswärtiges Amt, Bonn 1960: Unterzeichnung eines Vertrages über Gastarbeiter zwischen der Bundesrepublik und Spanien
Gastarbeiter von Volkswagen in Wolfsburg, 1973

Der Begriff des Gastarbeiters tauchte bereits in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs als Bezeichnung für ausländische Zivilarbeiter auf, welche auf freiwilliger Basis gegen Entlohnung in der NS-Kriegswirtschaft tätig waren. Damals war allerdings noch der Begriff Fremdarbeiter vorherrschend. Abzugrenzen ist dieser Begriff von dem Begriff der NS-Zwangsarbeiter (Kriegsgefangene und Häftlinge in Konzentrationslagern), welche ebenfalls in der NS-Kriegswirtschaft eingesetzt wurden,[1][2](s. auch: Ostarbeiter).

Trotz Kontinuitäten der Ausländerbeschäftigung[1] wurde der Begriff Gastarbeiter nach 1945 allgemein nicht mehr mit der Zeit des Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Nach Thomas Schiller sollte der Begriff des Gastarbeiters nach dem Zweiten Weltkrieg „den Arbeitsemigranten" vorbehalten bleiben, die ab dem Jahre 1955 freiwillig in die Bundesrepublik Deutschland kamen.[1]

Kritik am Begriff des Gastarbeiters

Bereits Anfang der 1970er Jahre wurde der Begriff von einigen Soziologen als euphemistisch betrachtet.[3] Aufgrund ihrer Initiative veranstaltete der WDR 1972 ein Preisausschreiben zur Findung eines geeigneteren Wortes, zu dem 32.000 Vorschläge eingingen. Hiernach wurde zunächst der Begriff des „ausländischen Arbeitnehmers“ vermehrt benutzt. Später war in seriösen Publikationen von „Arbeitsmigranten“ die Rede. Die neuen Begriffe konnten sich aber nie richtig durchsetzen.[3] Heute wird der Begriff „Gastarbeiter“ – insbesondere in der Fachliteratur – häufig in Anführungsstriche gesetzt.[4] Zwar wird darauf verwiesen, dass der Begriff des „Gastes“ im Wort Gastarbeiter einen Sinn ergebe, da man im Gastland Deutschland einen vorübergehenden Aufenthalt zur Leistung von Arbeit vorsah. Anders als bei der Anwerbung von Arbeitern für Zechen während der Industrialisierung im Ruhrgebiet (Ruhrpolen), so wird argumentiert, bestand weder die Absicht, den Menschen eine neue Heimat zu geben, noch hatten die Gastarbeiter die Absicht, sich dauerhaft eine neue Heimat in Deutschland zu suchen. Die zeitliche Beschränkung der Beschäftigung in der Bundesrepublik wurde sowohl von den Anwerbern als auch von den Angeworbenen angestrebt.[5] Auf der anderen Seite verbiete es jedoch die Gastfreundschaft, seinen Gast arbeiten zu lassen. Diese Widersprüchlichkeit und Ironie dieses Begriffs wurde auch im Bereich der modernen deutschsprachigen Gastarbeiterliteratur erkannt und instrumentalisiert.

Entwicklung der Gastarbeiterimmigration

Situation in der Bundesrepublik

Der Anstoß zu einer Vereinbarung, die Anwerbung von Italienern in die Bundesrepublik zu beginnen, kam aus Italien.[6] Bernhard Ehmke, Bundesarbeitsministerium, umriss am 9. November 1954 in einer Besprechung die Lage mit den Worten: „Intensiver… Drang des Auslandes, in der deutschen Wirtschaft Arbeitskräfte unterzubringen. [Kein Ministerbesuch vergeht,] bei dem diese Frage nicht Punkt 1 ist.“ Er nannte besonders Italien und Spanien.[7] Nach einem Jahr italienischen Drängens, wobei die dortige hohe Arbeitslosigkeit die Hauptrolle spielte und innenpolitische Folgen bis hin zu kommunistischen Unruhen befürchtet wurden,[8] sowie hinhaltender Verhandlungsführung des Bundesarbeitsministeriums setzte ein Bündnis aus Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard, Auswärtigem Amt und Bundesminister für besondere Aufgaben Franz Josef Strauß bei Adenauer durch, dass auf die italienischen Bitten einzugehen sei. Motive waren dabei für den Bundeswirtschaftsminister das Außenhandelsdefizit Italiens, das einen weiteren Absatz deutscher Güter in Italien bedrohte, für das Auswärtige Amt die Generallinie der Verbesserung der Beziehungen nach der zuletzt zwischen beiden Seiten konfliktreichen Kriegszeit und für Strauß die Furcht vor Forderungen nach Lohnerhöhungen seitens deutscher Gewerkschaften.[9] Der Bundesarbeitsminister Storch dagegen, so Heike Knortz, „hatte zwar in Anbetracht anhaltender Arbeitslosigkeit zunächst noch die öffentliche Meinung einschließlich der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften hinter sich, unterlag aber schon bald dem vom Auswärtigen Amt bereits während der Verhandlungen mit Italien generierten Primat der Außenpolitik.“[10]

Am 20. Dezember 1955 wurde dann in Rom das erste Anwerbeabkommen geschlossen. Darin wurde vereinbart, dass die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit in Italien gemeinsam mit der italienischen Arbeitsverwaltung Arbeitskräfte auswählen und anwerben solle.

Eine Umfrage des Allensbacher Institutes vom März 1956 ergab, dass 55% der befragten BRD-Bürger mit Dagegen antworteten, als sie gefragt wurden: „Sind Sie dafür oder dagegen, daß italienische Arbeiter nach Deutschland geholt werden?“ Dafür waren 20 %, unter Umständen dafür 6%. Noch nicht davon gehört hatten 18%. Von den 55% ablehnenden Antworten gab die große Mehrheit (41%) als Begründung an, dass es genügend deutsche Arbeitskräfte gebe.[11]

In den folgenden Jahren wurden weitere Anwerbeabkommen zwischen der BRD und den Entsendeländern zum Ausgleich von deren Leistungsbilanzdefizit gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geschlossen. Des Weiteren spielten auch außenpolitische Motive eine Rolle, so etwa beim Anwerbeabkommen mit der Türkei. Die Initiative ging hierbei von den Entsendeländern aus. Anton Sabel, Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung (Vorläufer der Bundesagentur für Arbeit), äußerte am 26. September 1960 gegenüber dem Arbeitsministerium, arbeitsmarktpolitisch sei eine Vereinbarung mit der Türkei in keiner Weise notwendig, allerdings könne er nicht beurteilen, „wie weit sich die Bundesrepublik einem etwaigen solchen Vorschlag der türkischen Regierung verschließen kann, da die Türkei ihre Aufnahme in die EWG beantragt hat und als NATO-Partner eine nicht unbedeutende politische Stellung einnimmt.“[12]

In den 1960er Jahren erhielten die Gastarbeiter zumeist als un- oder angelernte Arbeiter einen Arbeitsplatz in der Industrie. Dabei arbeiteten sie vor allem in Bereichen, in denen schwere und schmutzige Arbeit verrichtet werden musste und wo das Schichtsystem, serielle Produktionsformen mit niedrigen Qualifikationsanforderungen (Fließbandarbeit) sowie der Akkordlohn den Arbeitsalltag bestimmten.[13] Für die Unternehmen als Nachfrager von Arbeitskräften hatte die Rekrutierung von Gastarbeitern finanzielle Vorteile, weil aus ihrer Perspektive deutsche Arbeiter dieselben Arbeitsplätze nur mit erheblichen Lohnzugeständnissen angenommen hätten. Im Umkehrschluss hatte die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften somit auch Einfluss auf das Lohnniveau von deutschen Anbietern von Arbeitskraft insbesondere im Niedriglohnbereich.[13] 1973, zur Zeit der Ölkrise, einigte sich der Deutsche Bundestag auf einen Anwerbestopp von Gastarbeitern. Mit dem umstrittenen Rückkehrhilfegesetz (RückHG) zur finanziellen Förderung der Rückkehrbereitschaft ausländischer Arbeitnehmer versuchte die Bundesregierung 1983/84 eine Entlastung des Arbeitsmarktes aufgrund zunehmender Arbeitslosigkeit zu erzielen.

Anwerbestopp 1973

Im November 1973 wurde per Erlass des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung BMAS aus Anlass der aktuellen Energie- und Wirtschaftkrise ein Anwerbestopp verfügt. Dieser betraf mit Ausnahme Italiens alle Anwerbestaaten.[14] Der Anwerbestopp gilt für Angehörige nicht zur EU gehörender Staaten nach Maßgabe der einschlägigen ausländerrechtlichen Bestimmungen de facto bis heute, wenngleich er durch Möglichkeiten des Familiennachzugs, der Aufenthaltserteilung zum Zweck des Studiums u.a. teilweise relativiert wird. Durch die Green-Card-Offensive 2000, das Aufenthaltsgesetz 2005 und die dazu ergangenen Rechtsverordnungen, zuletzt die Beschäftigungsverordnung 2013[15], wurden eng umgrenzte Möglichkeiten der Arbeitskräftezuwanderung für qualifizierte Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten geschaffen. Bis heute gelten in den Anwerbeabkommen geregelte sozial- und aufenthaltsrechtliche Vergünstigungen für Arbeitnehmer aus den Anwerbestaaten und ihre Familienangehörigen fort.

Situation in der DDR

Vietnamesische Gastarbeiterin im Berliner Stammbetrieb des Kombinates Automatisierungsanlagenbau (1989)

In der DDR nahmen die Vertragsarbeitnehmer eine ähnliche Rolle ein. 1989 waren 94.000 Vertragsarbeitnehmer in der DDR ansässig, zwei Drittel waren vietnamesischer Herkunft. Andere Herkunftsländer waren Kuba, Mosambik (siehe auch Madgermanes), Polen und Angola. Sie wurden zeitlich befristet bis zu fünf Jahren in DDR-Betrieben beschäftigt, teilweise auch ausgebildet. Die Arbeitnehmer wohnten in speziellen Wohnsiedlungen. Eine Integration dieser Arbeitskräfte in die DDR-Gesellschaft, welche häufig nur unzureichend Deutsch sprachen, war nicht angestrebt und fand nur in den seltensten Fällen statt.

Situation in der Schweiz

Gewisse Regionen der Schweiz beschäftigten schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts vorübergehend viele fremde Arbeitskräfte, insbesondere im Eisenbahnbau. Der Bau der vielen Bahntunnels der Schweiz – Gotthard, Lötschberg, auch kleinere wie der Rosenberg in St. Gallen – wären ohne die vielen vorwiegend italienischen Mineure und Bergarbeiter unmöglich gewesen. In der Zeit der Hochkonjunktur vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs waren auch kaum einheimische Arbeitskräfte verfügbar und man konnte sie sich ja leisten. Mit dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise änderte sich das rasch. Auch einheimische Arbeiter wurden arbeitslos und man suchte nach einer Möglichkeit, die Zuwanderung fremder Arbeiter und ihrer Familien zu begrenzen. Das sogenannte Saisonnierstatut von 1934 regelte, unter welchen Bedingungen ausländische Arbeitskräfte kurzfristig beschäftigt werden konnten. Dadurch, dass die Verträge nur für jeweils eine Saison abgeschlossen wurden, sollte sichergestellt werden, dass die Arbeiter danach wieder nach Hause fuhren. Dennoch zogen viele Arbeiter schließlich mitsamt ihren Familien in die Schweiz, was teilweise zu großen sozialen Problemen führte.

Wirkungsgeschichte

Rezeption des Gastarbeiterbooms

Bei der rückblickenden Bewertung des Gastarbeiterbooms in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland wurden unterschiedliche Faktoren in den Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung genommen. Der Soziologe Friedrich Heckmann richtete beispielsweise den Blick auf Verschiebungen des sozialen Status sowie der Verbesserung der Qualifikation bei den deutschen Arbeitnehmern. Nach seiner Darstellung sei für deutsche Arbeitnehmer aufgrund der von Gastarbeitern besetzten Stellen, für die keine besonderen Qualifikationsanforderungen notwendig waren, der Aufstieg in qualifiziertere und beliebtere Positionen mit ermöglicht worden.[13] In letzter Zeit wurde kritisiert, dass nicht zuletzt die unkritische Zusammenarbeit von Sozialwissenschaftlern mit politischen Institutionen zu einem Opfer-Plot in der Geschichte der Arbeitsmigration geführt habe. In diesem Opfer-Plot würden die Migranten zu passiven Opfern stilisiert, ohne ihre Motive zu berücksichtigen. Das verhindere eine sachliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema.[16]

Nachkommen der Gastarbeiter

In den 1970er Jahren führte der „Anwerbestopp“ (1973) sowie die Reduzierung von Kindergeld für nicht in Deutschland lebende Kinder (1975) zu einem verstärkten Nachzug von Familienangehörigen, wobei gleichzeitig weiterhin an der dem Rotationsmodell zugrunde liegenden Idee, nach der der Aufenthalt von Gastarbeitern nur für eine beschränkte Zeit erfolgen soll, festgehalten wurde. Da auf diesem Hintergrund das Thema einer Integrationspolitik von Seiten der Politik weitgehend ausgeklammert wurde, beschränkte sich die öffentliche Diskussion vornehmlich auf arbeitsmarktpolitische und verteilungspolitische Gesichtspunkte.[17] Ungeachtet dieser Situation transformierte sich die in den 1950er Jahren amtlich organisierte Arbeitswanderung gegen Ende der 1970er Jahre real zu einer „Einwanderungssituation“.[18][19] Um die Wende zum 21. Jahrhundert bildete die Gruppe der ehemaligen Gastarbeiter und ihrer Nachkommen den größten Teil der Bürger mit Migrationshintergrund in Deutschland.[20] Weil diese Gruppe eine so große und kulturell sichtbare Einwanderergruppe ist, wurde in der Forschung vom „Mythos der Rückkehr“ oder sogar von der „Illusion der Rückkehr“ geredet,[21] was angesichts der tatsächlichen Rückkehr einer überwältigenden Mehrheit der Migranten (12 Millionen von 14 Millionen Arbeitsmigranten kehrten zurück) empirisch nicht haltbar ist.[22]

Das Rotationsmodell, das „offiziell und offen“ ohnehin zu keinem Zeitpunkt praktiziert wurde, spielte gegen Ende der 1970er Jahre zunächst keine Rolle mehr; stattdessen setzte eine kontrovers geführte Diskussion um die endgültige Rückkehr der ursprünglich Angeworbenen in ihre Heimatländer ein.[23] Einerseits blieb allgemein für die Gastarbeiterfamilien die Haltung zum Aufnahmestaat ambivalent;[24] andererseits führte der wahrgenommene Wandel in den ehemaligen Heimatländern zur Erfahrung von Fremdheit in diesen Familien.[25] Die Nachkommen der Gastarbeiter sind in Deutschland zudem einem erhöhten Druck zur „Anpassung“ ausgesetzt, der sich unter anderem in der Forderung niederschlägt, dass Kinder noch vor der Einschulung über gute Deutschkenntnisse verfügen sollen.[26] Derartige Forderungen und Diskussionen sind auf erkannte Probleme und Schwierigkeiten zurückzuführen, die mit den nachfolgenden Generationen verbunden sind. Eine Reihe dieser wahrgenommenen Probleme werden bis in die Gegenwart genauer analysiert und diskutiert. Ansätze zur Lösung sind insbesondere die Förderung bei der schulischen Ausbildung[27] sowie eine von allen in Deutschland lebenden Bürgern praktizierte distanzierte Reflexion von kulturellen Prägungen.[28][29]

Kritik an der Vorgehensweise der Politik

Heike Knortz wies im Abschluss ihrer Archivstudie auf den Mangel an Diskussion und Transparenz während der politischen Anbahnung der Gastarbeiter-Anwerbung und auf deren politische Folgen hin:

»Auch wenn die frühe Bundesrepublik bis zum Regierungsantritt der sozial-liberalen Koalition, die ausdrücklich „mehr Demokratie wagen“ wollte, noch keine wirklich liberale Zivilgesellschaft hervorgebracht hatte, ist der gesellschaftliche Konsens von den politischen Akteuren nicht nur nicht gesucht, vielmehr noch nicht einmal angedacht worden. Einer unter diesen Rahmenbedingungen formulierten Außenpolitik fehlte deshalb neben dem kabinettsinternen überhaupt jegliches kritische Gegengewicht. Es ist aus den Akten auch nicht zu erkennen, dass die westdeutsche Presse diese Lücke ausfüllte, scheinen doch die schweizerischen Zeitungen regelmäßig als einzige über die außenpolitischen Motive der bundesdeutschen Anwerbeabkommen informiert zu haben. Damit hatte die Politik die zumindest teilweise aus außenpolitischer Rücksichtnahme Zuwandernden auch einer relativ unvorbereiteten Öffentlichkeit überlassen… Immerhin dachten zunächst alle Akteure, also auch Abgabeländer und Migranten selbst, nur an einen vorläufigen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Als die Realität diese Annahme überholt hatte, entzog sich das diesen Politikbereich bis dahin immer für sich beanspruchende Auswärtige Amt seiner Verantwortung, indem es nun bekannte, die aus der Arbeitsmigration resultierenden Probleme alleine nicht mehr kontrollieren zu können – ohne allerdings auf den Abschluss weiterer Anwerbeabkommen verzichten zu wollen.«[30]

Zitat

„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.“

Max Frisch: Überfremdung. In: Öffentlichkeit als Partner. edition suhrkamp 209, zitiert in Stich-Worte. Ausgesucht von Uwe Johnson. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 1975, S. 189.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

 Commons: Gastarbeiter – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Gastarbeiter – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Thomas Schiller: NS-Propaganda für den Arbeitseinsatz. LIT Verlag, Hamburg 1997, ISBN 3-8258-3411-5, S. 6. Google-Books (Quellen: BA R 41/263 ff.; Dieter Galinski, Wolf Schmidt: Die Kriegsjahre in Deutschland 1939 bis 1945. Hamburg 1985, S. 79.)
  2. Ein frühes Beispiel des Begriffs im NS-Propagandaheft: EUROPA arbeitet in Deutschland: Sauckel mobilisiert die Leistungsreserven, von Dr. Friedrich Didier, Zentralverlag der NSDAP, Berlin 1943, S. 63, Titel des Kapitels: „Gastarbeiter schaffen für Gastarbeiter“
  3. 3,0 3,1 Marianne Krüger-Potratz: Interkulturelle Bildung. Eine Einführung. Münster u. a. 2005, ISBN 3-8309-1484-9, S. 191 f.
  4. Harald Ermisch: Minderheitenschutz ins Grundgesetz? Münster/Hamburg/London 2000, ISBN 3-8258-4740-3, S. 3.; Ulrich Rosar: Ethnozentrismus in Deutschland. Eine Komparative Analyse 1980 bis 1996. Wiesbaden 2001, ISBN 3-531-13654-2, S. 133.; Stefan Hradil: Die Sozialstruktur Deutschlands im internationalen Vergleich. 2. Auflage. Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14939-3, S. 56.
  5. Heike Knortz: Diplomatische Tauschgeschäfte. „Gastarbeiter“ in der westdeutschen Diplomatie und Beschäftigungspolitik 1953–1973. Böhlau Verlag, Köln 2008.
  6. Deutschlandfunk, Das Kalenderblatt vom 20. Dezember 2005
  7. Steinert, Johannes-Dieter: Migration und Politik. Westdeutschland – Europa – Übersee 1945–1961, Osnabrück 1995, S. 278.
  8. Heike Knortz: Diplomatische Tauschgeschäfte. „Gastarbeiter“ in der westdeutschen Diplomatie und Beschäftigungspolitik 1953–1973. Böhlau Verlag, Köln 2008, S. 72.
  9. Heike Knortz: Diplomatische Tauschgeschäfte. „Gastarbeiter“ in der westdeutschen Diplomatie und Beschäftigungspolitik 1953–1973. Böhlau Verlag, Köln 2008, S. 68–75.
  10. Heike Knortz: Diplomatische Tauschgeschäfte. „Gastarbeiter“ in der westdeutschen Diplomatie und Beschäftigungspolitik 1953–1973. Böhlau Verlag, Köln 2008, S. 74.
  11. Noelle, Elisabeth, Neumann, Erich Peter (Hg.): Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1957. Allensbach am Bodensee 1957, S. 258
  12. Steinert, Johannes-Dieter: Migration und Politik. Westdeutschland – Europa – Übersee 1945–1961, Osnabrück 1995, S. 307. Neuerdings auch Heike Knortz: Diplomatische Tauschgeschäfte. „Gastarbeiter“ in der westdeutschen Diplomatie und Beschäftigungspolitik 1953–1973. Böhlau Verlag, Köln 2008, S. 74 ff.
  13. 13,0 13,1 13,2 Herbert Ulrich: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge. München 2001, ISBN 3-406-47477-2, S. 213. Google-Books
  14. Wortlaut Erlass BMAS vom 23. November 1973 http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/anwerbeabkommen/43270/anwerbestopp-1973
  15. Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern - BeschV 2013 http://www.gesetze-im-internet.de/beschv_2013/
  16. Hedwig Richter, Ralf Richter: Der Opfer-Plot. Probleme und neue Felder der deutschen Arbeitsmigrationsforschung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1 (2009), 61-97.
  17. Georg Hansen, Martin Spetsmann-Kunkel: Integration und Segregation. Ein Spannungsverhältnis. Münster u. a. 2008, ISBN 978-3-8309-1999-5, S. 107 f.
  18. Josef Ehmer: Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1800–2000. München/Oldenbourg 2004, ISBN 3-486-55733-5, S. 32 f.
  19. Annette Treibel: Migration in modernen Gesellschaften. soziale Folgen von Einwanderung, Gastarbeit und Flucht. 3. Auflage. Weinheim/München 2003, ISBN 3-7799-0399-7, S. 56.
  20. Frank Kalter (Hrsg.): Migration und Integration. Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15068-0, S. 472.
  21. Doering-Manteuffel, Anselm u. Raphael, Lutz: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970. Göttingen 2008, S. 98.
  22. Hans-Ulrich Wehler (2008), Bundesrepublik und DDR. 1949-1990 (Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5). München, 41; Hedwig Richter: Die italienischen „Gastarbeiter“ in deutschen Selbstfindungsdiskursen der Gegenwart und die Ausblendung der Remigranten. In: Janz, Oliver u. Sala, Roberto (Hg.): Dolce Vita? Das Bild der italienischen Migranten in Deutschland. Paderborn 2011, S. 198-219
  23. Annette Treibel: Migration in modernen Gesellschaften. Soziale Folgen von Einwanderung, Gastarbeit und Flucht. 3. Auflage. Weinheim/München 2003, S. 58.
  24. Christine Langenfeld: Integration und kulturelle Identität zugewanderter Minderheiten. Eine Untersuchung am Beispiel des allgemeinbildenden Schulwesens in der Bundesrepublik Deutschland. Tübingen 2001, ISBN 3-16-147579-8, S. 273.
  25. Hasiybe Yölek: Die Förderung der Muttersprache von Immigranten. Am Beispiel türkischer Nachmittagsschulen. Marburg 2000, ISBN 3-8288-8206-4, S. 25.
  26. Vera King, Hans-Christoph Koller (Hrsg.): Adoleszenz, Migration, Bildung. Bildungsprozesse Jugendlicher und junger Erwachsener mit Migrationshintergrund. Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14950-4, S. 258.
  27. Björn Schröder: Probleme bei der gesellschaftlichen Integration türkischer und italienischer Gastarbeiterfamilien in der Bundesrepublik. GRIN Verlag, München 2007, ISBN 978-3-638-69502-2, S. 10.
  28. Annemarie Fritz (Hrsg.): Handbuch Kindheit und Schule. Neue Kindheit, neues Lernen, neuer Unterricht. Weinheim/Basel 2006, ISBN 3-407-25418-0, S. 156.
  29. vgl. auch Sabine Mannitz: Die verkannte Integration. Eine Langzeitstudie unter Heranwachsenden aus Immigrantenfamilien. Bielefeld 2006, ISBN 3-89942-507-3, S. 9 ff.
  30. Heike Knortz: Diplomatische Tauschgeschäfte. „Gastarbeiter“ in der westdeutschen Diplomatie und Beschäftigungspolitik 1953–1973. Böhlau Verlag, Köln 2008, S. 225.
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