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1890

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Ereignisse

  • Seit 1890: Einwanderung von Juden in Südafrika (aus Osteuropa kommend)
  • 1890: Auf dem Antisemitentag in Bochum am 10. und 11. Juni 1889 konnten sich die verschiedenen Gruppen erneut nicht einigen. Stoecker und Sonnenberg wollten konservative Wähler nicht verschrecken und den kleinbürgerlichen Mittelstand für den Nationalstaat gewinnen; ihre Anhänger bildeten die neue Deutschsoziale Partei. Böckel dagegen wollte seine Ziele schon im Parteinamen zeigen. Dazu gründete er mit weiteren Gruppen 1890 die Antisemitische Volkspartei. Beide neuen Parteien forderten die Aufhebung der Emanzipationsgesetze, verhöhnten liberale Gleichstellungsparteien im Wahlkampf als „Judenschutztruppe“ und gewannen bei den Reichstagswahlen desselben Jahres zusammen knapp drei Prozent der Stimmen.
  • 1890: 1890 trat der wegen Unterschlagung aus dem Schuldienst entlassene Lehrer Hermann Ahlwardt (1846-1914) mit dem Buch „Der Verzweiflungskampf der arischen Völker mit dem Judentum“ (Berlin) hervor. Ein Grossteil davon beschrieb nur seine eigenen Finanzprobleme. Ein weiteres Buch, „Der Eid eines Juden“, bezichtigte Gerson von Bleichröder, Bankier und Freund Bismarcks, der Korruption. Dafür wurde Ahlwardt wegen Verleumdung zu vier Monaten Gefängnishaft verurteilt. Danach behauptete er in der Schrift „Judenflinten“, der jüdische Waffenfabrikant Ludwig Löwe habe den preussischen Truppen in geheimer Absprache mit den Franzosen untaugliche Gewehre geliefert, um die deutsche Wehrfähigkeit zu lähmen. Dafür erhielt er weitere fünf Monate Gefängnis. Da er seit 1893 Reichstagsabgeordneter war, musste er die Strafe nicht absitzen. Er wurde von Bauern in der Region Arnswalde-Friedeberg – wo es kaum Juden gab – gewählt, indem er in persönlichen Gesprächen „Junker und Juden“ für ihre ökonomische Not verantwortlich machte. 1894 legte er ein Programm vor, das vorsah, alle Grossgrundbesitzer zu enteignen und ihren Besitz in Gemeineigentum zu überführen. Die übrigen Antisemiten lehnten dies ab. Später emigrierte er in die USA und versuchte dort erfolglos, ebenfalls antisemitische Gruppen zu bilden.
  • 1890: Jüdische Lehrlingsfürsorge: Bestrebungen zur Betreuung jüdischer Lehrlinge und Förderung ihrer Ausbildung begannen in Deutschland um 1890: Gründung von Lehrlingsheimen in Berlin-Pankow, Düsseldorf, München u. a.
  • 1890: Berlin: Martin Ephraim-Stiftung zu wohltätigen Zwecken gegründet
  • 1890: Tschechoslowakei. Mit dem im Zuge der nationalen Bewegungen des 19. Jhdts. einhergehenden Gegensatz zwischen Tschechen und Deutschen mussten die Juden sich für die Zugehörigkeit zu einer dieser Volksgruppen und der damit zusammenhängenden Kultur entscheiden. Ergebnis war eine verstärkte „Germanisierung“ der tschechischen Juden, so dass z. B. 1890 74 Prozent der Prager Juden Deutsch als ihre Umgangssprache angaben. In Böhmen und Mähren war ab 1867 die volle Gleichberechtigung der Juden gesetzlich garantiert. Dennoch wurden die Juden mit „Deutschtum“ und kapitalistischer Ausbeutung in Zusammenhang gebracht. Nach dem gescheiterten Versuch der Wiener Regierung, sowohl deutsch als auch tschechisch zur Amtssprache zu erheben, kam es im ganzen Land zu einem Sturm auf deutsche Institutionen und darauf folgenden antisemitischen Ausschreitungen. Grosses Aufsehen erregte im Jahr 1899 die so genannte Hilsner-Affäre, als in Nordböhmen ein ermordetes Mädchen aufgefunden wurde. Der Verdacht fiel auf den aus Polna stammenden herumziehenden jüdischen Schustergehilfen Leopold Hilsner (Hülsner, 1877-1927), dem vorgeworfen wurde, das Mädchen aus rituellen Gründen ermordet zu haben, um ihr Blut beim Pessachfest zu benutzen. Hilsner wurde in einem zweifelhaften Indizienprozess im September 1899 zum Tode verurteilt (später in eine lebenslange Haft umgewandelt, 1916 begnadigt und aus dem Zuchthaus entlassen) (vgl. noch 1899)
  • 1890: Theodor Herzl, „Was wird man sagen?“
  • Ca. 1890: Nathan Birnbaum prägt den Begriff Zionismus (abgeleitet von „Zion“, dem Namen des Jerusalemer Tempelberges). Aber Birnbaum ist nicht der Schöpfer dieses Begriffs, der Begriff war schon in Gebrauch, z. B. steht in einem Brief Ruben Bierers vom 9.12.1888 der Ausdruck "zionistischer Brudergruss"; "Zionist" findet sich schon 1877 in einer rumänisch geschriebenen Broschüre (Jahresbericht des Ordens "Zion" in Bukarest)
  • 1890: In Russland taucht eine hebräische Version der "Protokolle der Weisen von Zion" auf
  • 1890: Rechowoth/Rehovot, eine 1890 von Mitgliedern der ersten Alijah (von B’nei Mosche aus Warschau, also von polnischen Juden) gegründete Landwirtschaftssiedlung / palästinische Landstadt; sie wollten eine von der Hilfe Baron Edmond de Rothschilds unabhängige Stadt errichten, einer der Gründer war Israel Belkind, der (basierend auf Gen 26, 22) den Namen Rechowot ("Weite") vorschlug; die Siedlung war spezialisiert auf Trauben, Orangen, Mandeln, Oliven und Gemüse, später auch Getreide (arabische und jüdische Lohnarbeiter), wirtschaftlich gesund und unabhängig; ihr Administrator war Elijahu Se’ev Levin-Epstein; Rechowoth war damals das Schekelzahlerzentrum in Palästina, geistiges Zentrum der Hitachdut ha-Ikkarim (Pflanzerverband unter Führung von Smilansky), Sitz der Landwirtschaftlichen Versuchsstation und des Sieff-Forschungsinstitut für Agrikulturchemie (Weizmann)
  • 1890: Mischmar ha-Jarden ca. 12 km nördlich vom See Genezareth gegründet
  • 1890: Ben Jehuda gründet den "Rat für die Hebräische Sprache"
  • 1890: Sir William Flinders Petrie (1853–1942, Nichtjude) wurde zum eigentlichen Pionier der archälogischen Forschung in Palästina, als er 1890 eine Expedition nach Tel el-Hesi unternahm. Als erster erkannte er, dass Keramikfunde anhand der Bodenschichten datiert werden konnten, in denen man sie gefunden hatte. Dies liess Schlussfolgerungen für die gesamte Geschichte des antiken Palästina zu. Petrie war eigentlich Spezialist für ägyptische Altertümer, und er blieb auch nur eine Grabungssaison in Palästina und wandte sich dann wieder Ägypten zu. Er wurde aber zum Lehrer einer ganzen Generation junger Archäologen, die später in Palästina wirkten.
  • 1890: Max H. Kuczynski geboren, Mediziner (Pathologie) in Berlin, sein Sohn war zeitweise Premierminister von Peru
  • 1890: Michael Taube geboren, Kammerdirigent
  • 1890: Hans Gál geboren, Opernkomponist
  • 1890: Samuel Feinberg geboren, jüdischer Komponist in Russland
  • 1890: Selma Täubler-Stern geboren, Historikerin (Neuere Geschichte)
  • 1890: Israel Rubin geboren, jüdischer Pädagoge
  • 1890: Aron Goodelman geboren, jüdischer Bildhauer
  • 1890: Manfred Gurlitt geboren, Komponist (vgl. bei Louis Gurlitt, 1812-1897)
  • 1890: Gabriel Grad geboren, jüdischer, in Erez Israel wirkender Komponist und Musiker
  • 1890: Ernst Lothar geboren, Schriftsteller (Romane, Novellen)
  • 1890: Rudolf Fuchs geboren, Schriftsteller (Gedichte)
  • 1890: Otto Zoff geboren, Schriftsteller (Dramen, Romane)
  • 1890: Gladys B. Stern geboren, englisch-jüdische Schriftstellerin
  • 1890: Samuel Ornitz geboren, US-amerikanisch-jüdischer Schriftsteller
  • 1890: Morris J. Karpf geboren, jüdischer Sozialpolitiker in Amerika (engagiert in der jüdischen Sozialausbildung)
  • 9.1.1890–21.12.1935: Kurt Tucholsky, scharfzüngiger, humanistischer und überaus produktiver deutsch-jüdischer Journalist und Schriftsteller, auch Literaturkritiker (u. a. Rubrik „Auf dem Nachttisch“ in der „Weltbühne“, hier machte er z. B. auf Kafka aufmerksam, kritisierte James Joyces „Ulysses“ als „über weite Partien schlicht langweilig“), Freimaurer, zählte zu den bedeutendsten (auch zu den gefragtesten und am besten bezahlten) Publizisten der Weimarer Republik (Pseudonyme: Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger, Igna[t]z Wrobel, die er vor allem verwendete, um die „Weltbühne“ nicht zu Tucholsky-lastig erscheinen zu lassen; weitere, selten verwendete Pseudonyme: Paulus Bünzly, Theobald Körner, Old Shatterhand), geb. Berlin-Moabit, gest. in Göteborg; Journalist in Berlin und Paris, Mitarbeiter und (kurzfristig Mit-) Herausgeber der Zeitschrift „Die Weltbühne“; Pazifist, Kritiker von Spiessertum, Nationalismus und Militarismus (bekanntes Zitat: „Soldaten sind Mörder“), seine frühe Kindheit verbrachte er in Stettin, wohin sein Vater aus beruflichen Gründen versetzt worden war, 1920 heiratete er die Ärztin Else Weil, lebte ab 1929 in Schweden, 1933 aus Deutschland ausgebürgert, schrieb satirische Gedichte, sarkastische und heitere Erzählungen; „Rheinsberg, ein Bilderbuch für Verliebte“, 1912 (auch über eine „Bücherbar“ auf dem Kurfürstendamm von Tucholsky, zusammen mit Szafranski, der die im verspielt-erotischen Ton verfasste Erzählung illustriert hatte, vertrieben: Jeder Käufer bekam zusätzlich zum Buch noch einen Schnaps eingeschenkt); „Fromme Gesänge“, 1919; „Träumereien an preussischen Kaminen“, 1920; „Ein Pyrenäenbuch“, 1927 (Reisebericht); „Deutschland, Deutschland über alles“, 1929 (grundstürzende Kritik und gleichzeitig eine Liebeserklärung an Deutschland, „das auch ihm gehört“); „Schloss Gripsholm“, 1931; Tucholskys Vater starb früh (1905, an den Folgen einer Syphilis-Erkrankung), hinterliess der Familie aber ein beachtliches Vermögen, das es dem ältesten Sohn (Kurt hatte zwei jüngere Geschwister: Fritz und Ellen) gestattete, ohne finanzielle Sorgen 1909 sein Studium (Rechtswissenschaft) aufzunehmen; im September 1911 trifft sich Tucholsky in Prag mit Max Brod und auch mit Kafka; Tucholsky verzichtet auf die juristische Staatsprüfung, da er gegen Ende seines Studiums bereits zu stark journalistisch engagiert war; ab 1913 Mitarbeit und langfristiges Engagement für die „Schaubühne“ („Weltbühne“); 1915 juristische Promotion in Jena (mit einer Arbeit zum Hypothekenrecht), dann eingezogen an die Ostfront (zunächst Armierungssoldat, dann Kompanieschreiber); von November 1916 an brachte er die Feldzeitung „Der Flieger“ heraus, seine Tätigkeiten ermöglichten ihm, einen Dienst im Schützengraben zu umgehen, 1918 als Vizefeldwebel und Feldpolizeikommissar nach Rumänien versetzt, im rumänischen Drobeta Turnu Severin liess er sich im Sommer 1918 protestantisch taufen, aus der jüdischen Gemeinde war er bereits am 1.7.1914 ausgetreten; im Herbst 1918 kehrt er als überzeugter Antimilitarist und Pazifist aus dem Krieg zurück; im Dezember 1918 übernahm er die Chefredaktion des „Ulk“, der wöchentlichen satirischen Beilage des linksliberalen Berliner Tageblatts des Verlegers Rudolf Mosse; auch für die Weltbühne arbeitete er nun wieder regelmässig; in der unmittelbaren Nachkriegszeit arbeitet er auch gegen gute Bezahlung für das Propagandablatt „Pieron“, das im Auftrag der Reichsregierung antipolnische Stimmung machen sollte (um die endgültige Grenzziehung zwischen Polen und Deutschland für Deutschland positiv zu beeinflussen) – ein Engagement, das Tucholsky später bereut und als Fehler eingesehen hat; im Januar 1919 in der Weltbühne die antimilitaristische Artikelserie „Militaria“; 1920 tritt er in die USPD ein (verbleibt in der Partei bis 1922); im Herbst 1922 befällt ihn eine schwere Depression, er zweifelt am Sinn des Schreibens und soll sogar einen ersten Selbsttötungsversuch unternommen haben; ab März 1923 war er im Berliner Bankhaus Bett, Simon & Co. als Privatsekretär des Seniorchefs Hugo Simon tätig, ab 1924 arbeitete er wieder für die Weltbühne und ging als deren Korrespondent (sowie als Korrespondent der angesehenen Vossischen Zeitung) nach Paris; 1924 Scheidung von Else Weil (sie beklagte, dass Tucholsky es mit der ehelichen Treue nicht zu genau nehme; von ihr soll der Satz überliefert sein: „Als ich über die Damen wegsteigen musste, um in mein Bett zu kommen, liess ich mich scheiden“), sechs Monate nach der Scheidung heiratete er Mary Gerold, die er aus seiner Militärzeit kannte und mit der er seither in lockerem Kontakt geblieben war; die Heirat änderte nichts daran, dass sie sich einander entfremdet hatten, und so hielten sie es auch nicht lange miteinander aus (endgültige Trennung 1928; 1927 hatte Tucholsky Lisa Matthias kennengelernt, mit der er 1929 einen Urlaub in Schweden verbrachte; sie schilderte ihn später in ihrer 1962 erschienenen Autobiographie als beziehungsunfähigen Erotomanen, der sie – selbst eine Geliebte – gleichzeitig mit mehreren Frauen betrogen habe); Tucholsky verbrachte ab diesem Zeitpunkt die meiste Zeit im Ausland und kehrte nur noch sporadisch zurück; um 1928 näherte er sich der KPD und veröffentlicht klassenkämpferische Propaganda-Gedichte, auch wird gegen ihn ein Prozess wegen Gotteslästerung eingeleitet (wegen seines Gedichts „Gesang der englischen Chorknaben“); 1931 erscheint bei Rowohlt sein (vom Schweden-Urlaub mit Lisa Matthias inspirierter) Kurzroman „Schloss Gripsholm“, in dem noch einmal jugendliche Unbeschwertheit und Leichtigkeit anklingt; Tucholsky hat sehr hellsichtig erkannt, wohin es mit Deutschland gehen sollte, Jahre vor der „Machtergreifung“ schrieb er von der „Rüstung für eine Reise ins Dritte Reich“, konnte natürlich die Entwicklung nicht aufhalten, Erich Kästner nannte ihn rückblickend den „kleinen dicken Berliner, … der mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte …“; 1930 verlegte Tucholsky seinen Wohnsitz dauerhaft ins schwedische Hindas bei Göteborg; der Weltbühne-Prozess gegen Carl von Ossietzky und Walter Kreiser, die wegen Landesverrats und Verrats militärischer Geheimnisse angeklagt (und dann auch verurteilt) worden waren, zeigte ihm, wie es mittlerweile in Deutschland um kritische Publizistik stand; Tucholsky verstummte zusehends, private und gesundheitliche Probleme kamen hinzu, 1933 verboten die Nationalsozialisten die Weltbühne, verbrannten Tucholskys Bücher und bürgerten ihn als einen der Ersten aus; Tucholskys letzte Geliebte ist die Zürcher Ärztin Hedwig Müller, die er „Nuuna“ nannte, in Briefen an sie nannte er sich einen „aufgehörten Deutschen“ und einen „aufgehörten Dichter“, er verfiel nicht der Illusion vieler Exilanten, dass Hitlers Diktatur bald zusammenbrechen werde, er stellte fest, dass die Mehrheit der Deutschen sich damit arrangierte, dass das Ausland Deutschland akzeptierte, er rechnete mit einem Krieg binnen weniger Jahre; an der entstehenden Exil-Presse sich zu beteiligen, lehnte er strikt ab, nach eigener Aussage war er mit Deutschland „fertig“, engagierte sich aber dennoch und stand z. B. seinem inhaftierten Freund Ossietzky bei (der u. a. von Knut Hamsun angegriffen wurde, ohne sich wehren zu können, da er im KZ Papenburg-Esterwegen einsass), so gut er konnte und war aktiv beteiligt an der Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn – den Erfolg seiner Bemühungen hat Tucholsky nicht mehr erleben können; Tucholsky war auch verstummt, weil er die Passivität der deutschen Juden angesichts der Entwicklung in Deutschland nicht begreifen konnte; in seinem letzten längeren Brief (an den nach Palästina emigrierten Arnold Zweig) vom 15.12.1935 schreibt Tucholsky: „Das ist bitter, zu erkennen. Ich weiss es seit 1929 – da habe ich eine Vortragsreise gemacht und „unsere Leute“ von Angesicht zu Angesicht gesehen, vor dem Podium, Gegner und Anhänger, und da habe ich es begriffen, und von da an bin ich immer stiller geworden. Mein Leben ist mir zu kostbar, mich unter einen Apfelbaum zu stellen und ihn zu bitten, Birnen zu produzieren. Ich nicht mehr. Ich habe mit diesem Land, dessen Sprache ich so wenig wie möglich spreche, nichts mehr zu schaffen. Möge es verrecken – möge es Russland erobern – ich bin damit fertig“; am Abend des 20. Dezember 1935 nahm Tucholsky in seinem Haus in Hindas eine Überdosis Schlaftabletten, wurde am nächsten Tag, im Koma liegend, gefunden und verstarb am Abend des 21. Dezember im Sahlgrenschen Krankenhaus in Göteborg; neuerdings wird der Suizid angezweifelt und ersetzt durch eine These einer Selbsttötung aus Versehen; die Asche Tucholskys wurde im Sommer 1936 unter einer Eiche nahe Schloss Gripsholm im schwedischen Mariefred beigesetzt; die Grabplatte mit der Inschrift „Alles Vergängliche ist Nur Ein Gleichnis“ aus Goethes Faust II wurde erst nach dem Ende des 2. Weltkriegs auf das Grab gelegt; Tucholsky selbst hatte 1923 in der Satire „Requiem“ folgenden Grabspruch für sein Pseudonym Ignaz Wrobel vorgeschlagen: „Hier ruht ein goldenes Herz und eine eiserne Schnauze. Gute Nacht - !“ Gerschom Scholem bezeichnete Tucholsky – nicht zuletzt wegen dessen „Wendriner-Geschichten“ – als einen der „begabtesten und widerwärtigsten jüdischen Antisemiten“; dagegen wurde vorgebracht, dass Tucholsky in der Figur des „Herrn Wendriner“ nicht den Juden blossstelle, sondern den Bourgeois – ihm ging es darum, die gesinnungslose Mentalität eines Teils des konservativen jüdischen Bürgertums anzuprangern, der selbst die grössten Demütigungen durch eine nationalistische Umwelt hinnehme, so lange er nur seinen Geschäften nachgehen könne (diese Haltung hatte beispielsweise schon Herzl kritisiert – und zu Recht); Scholems Kritik ist umso bemerkenswerter, da Tucholsky selbst aus der Sicht der Konservativen und Rechtsextremen – auch der deutschnationalen Juden – geradezu das perfekte Feindbild vom „zersetzenden, jüdischen Literaten“ abgab; dass Tucholsky sich bei den Juden abgemeldet hatte und sich hatte taufen lassen, spielte für diese Art Kritik keine Rolle; 1970 brachte die DDR eine Tucholsky-Gedenkbriefmarke heraus
  • 16.1.1890–3.5.1969: Carl Freund (Karl Freund), geb. in Königinhof bzw. Königsdorf (Dvur Kralove), Böhmen, gest. in Santa Monica, Kalifornien, deutsch-jüdischer Kameramann, einer der bedeutendsten Kameraleute der Stummfilmzeit; später war er auch als Regisseur tätig; der Sohn des Glasers Julius Freund und seiner Frau Marie, geborene Hermann, zog 1901 mit seinen Eltern nach Berlin; er begann 1906 als Filmvorführer und war danach als Kameramann zwischenzeitlich in Belgrad und Wien und ab 1913 in Neubabelsberg tätig; er filmte in der Zeit des Ersten Weltkriegs besonders mit Asta Nielsen und Henny Porten; 1919 machte er sich mit der Gründung der Karl Freund-Film GmbH selbständig; in der Folge entwickelte er sich zum stilprägenden Kameramann des deutschen Kammerfilms und arbeitete forthin mit allen Grössen des deutschen Stummfilms; eine besonders enge Zusammenarabeit ergab sich mit Friedrich Wilhelm Murnau; Karl Freund wird die Methode der „entfesselten“ Kamera zugeschrieben, die er in dem Film „Der letzte Mann“ (1924) von Murnau einsetzte; er war nicht der Erste, der die Kamera ohne Stativ verwendete, jedoch sind seine Aufnahmen in „Der letzte Mann“ von einer Beweglichkeit gekennzeichnet, die kaum zuvor zu sehen war; einen weiteren Höhepunkt in seinem Schaffen bildeten die Aufnahmen zu dem Monumentalfilm „Metropolis“ (1926) unter der Regie von Fritz Lang; ab 1929 war Karl Freund wegen des grossen Erfolges von „Der letzte Mann“ in Hollywood tätig, wo er später auch als Regisseur arbeitete; sein Film „Die Mumie“ von 1932 mit Boris Karloff in der Hauptrolle ist seine bekannteste Regiearbeit, der ein Jahr zuvor entstandene „Dracula“ mit Bela Lugosi seine wohl beste amerikanische Kameraarbeit; für „Die gute Erde“ (1937) erhielt er einen Oscar; er war auch Kameramann bei Fred Zinnemanns „Das siebte Kreuz“ (1944); 1960 zog Freund sich auf seine Farm im San Fernando Valley zurück; bis zuletzt war er als Kapazität auf dem Gebiet der Filmtechnik geschätzt; er war in erster Ehe 1915 bis 1918 mit der Tochter des Musikantiquars Leo Liepmannssohn verheiratet und wurde Vater einer Tochter; die Schauspielerin Gertrude Hoffmann war ab 1920 seine zweite Ehefrau, bekannt als Trude Freund; Werkauswahl (Kamera oder Regie): Engelein (1914); Eine venezianische Nacht (1914); Vordertreppe – Hintertreppe (1915); Rausch (1919); Die Spinnen (1920); Der Golem, wie er in die Welt kam (1920); Der brennende Acker (1922); Lucrezia Borga (1922); Michael (1924); Der letzte Mann (1924); Varieté (1925); Tartüff (1926); Metropolis (1927); Fräulein Else (1929); Dracula (1931); Mad Love (1935); Der grosse Ziegfeld (1936); Maria Waleska (1937); Die gute Erde (1937); Stolz und Vorurteil (1940); Tortilla Flat (1942); Das siebte Kreuz (1944); Gangster in Key Largo (1948)
  • 23.1.1890–1942: Cora Berliner, geb. in Hannover, 1942 verschollen; Sozialwissenschaftlerin, Dr. rer. pol. über jüdische Jugendvereine, 1919-1933 u. a. im Reichswirtschaftsministerium tätig, Prof. am Berufspädagogischen Institut, seitdem in der Reichsvertretung der deutschen Juden in Berlin, wo sie sich besonders der jüdischen Jugend widmete; am 19.6.1942 wurde sie von Berlin in ein Vernichtungslager deportiert und ist seitdem verschollen; sie harrte bewusst in Deutschland aus und wurde zur Märtyrerin ihrer Überzeugung; sie war die Tochter von Manfred Berliner (1853-1931)
  • 27.1.1890–1987: Erna Pinner (eigentlich: Wilhelmine Pinner), geb. in Frankfurt/M., gest. in London, Malerin, Grafikerin, Illustratorin, Puppenkünstlerin, Schriftstellerin und Naturwissenschaftlerin, studierte in Berlin und Paris, bekannt vor allem durch graziöse Tierzeichnungen, emigrierte 1935 nach England, lebte in London; erhielt 1960 das Bundesverdienstkreuz; Hauptwerke: Das Schweinebuch. Von der Geburt bis zur Wurst, 1921; Tierskizzen aus dem Frankfurter Zoo, 1927; Eine Dame in Griechenland, 1927; Ich reise durch die Welt, 1931; Tierbücher "Wunder der Wirklichkeit", 1955; Panorama des Lebens, 1961; Unglaublich und doch wahr, 1964
  • 6. Februar 1890: das folgenreiche Duell der Studenten Carl Vering und Eduard Salomon
  • 10.2.1890–3.9.1918: Fanny Kaplan (Fanja Kaplan, Fania Kaplan, russ. Фанни Ефимовна Каплан, ursprünglich: Фейга Хаимовна Ройдман), geb. im Gouvernement Wolhynien, Ukraine; getötet in Moskau, russische Anarchistin und Sozialrevolutionärin, die heute vor allem für ihr Attentat auf Lenin bekannt ist, das sie 1918 begangen haben soll; Feiga Roitman war eines von acht Kindern des Lehrers einer jüdischen Grundschule, Nachim Roitman; von ihrem Vater, der selbst loyal zur Obrigkeit stand, wurde sie zuhause unterrichtet; um 1905 wurde sie Anarchistin und bewegte sich mit Decknamen „Dora“ in revolutionären Zirkeln; 1906 beteiligte sie sich an einem Attentat auf einen Regierungsbeamten, und ein Kiewer Gericht verurteilte sie zum Tode; das Urteil wurde später in lebenslänglich umgewandelt; durch die Bombenexplosion hatte sie schwere Sehschäden erlitten; zuerst im Gefängnis, wurde sie nach Akatui in der transbaikalischen Bergregion Nertschinsk verbracht, wo schwere Zwangsarbeit ihre Gesundheit ruinierte; unter dem Einfluss Maria Spiridonowas wandte sie sich vom Anarchismus ab und wurde Sozialrevolutionärin; ihre Familie wanderte 1911 in die USA aus, sie selbst wurde während der Februarrevolution entlassen und reiste im April 1917 nach Moskau; Parteigenossen entschieden, sie zur Erholung in ein Sanatorium auf die Krim zu bringen; während der Oktoberrevolution befand sie sich zu einer Augenoperation in Charkow, um dann erneut auf die Krim zu gehen, diesmal nach Simferopol; - das Attentat: am 30. August 1918 wurde Lenin, der nach dem Attentat noch knapp 6 Jahre leben sollte, beim Verlassen einer Moskauer Fabrik, in der er eine Rede gehalten hatte, von zwei Kugeln getroffen; Kaplan wurde als Attentäterin festgenommen; im Verhör durch den Tschekisten Jakow Michailowitsch Jurowski und Staatsoberhaupt Swerdlow gab sie die folgende Erklärung ab: Ich heisse Fanja Kaplan. Heute habe ich auf Lenin geschossen. Ich tat das nach eigener Entscheidung. Ich werde nicht sagen, von wem ich den Revolver bekommen habe. Ich werde keine Details nennen. Ich hatte schon lange beschlossen, Lenin zu töten. Ich halte ihn für einen Verräter der Revolution. Ich war wegen meiner Teilnahme an einem Attentat gegen einen zaristischen Beamten in Kiew nach Akatui verbannt und habe elf Jahre in der Zwangsarbeit verbracht. Nach der Revolution wurde ich freigelassen. Ich war Anhängerin der verfassungsgebenden Versammlung und bin es heute noch; sie erklärte auch, dass sie eine extrem negative Einstellung zur Oktoberrevolution und die Entscheidung zum Attentat im Februar 1918 (nach der gewaltsamen Auflösung der Konstituante durch die Bolschewiken) in Simferopol getroffen habe; Lenin sei ein Verräter der Revolution, der die sozialistische Idee der letzten zehn Jahre durch persönliche Entscheidungen und ohne irgendeine Partei ausgelöscht habe; nachdem deutlich geworden war, dass Kaplan keine weiteren Angaben machen würde, wurde sie von der Tscheka ohne formelles Gerichtsverfahren in einem Hof des Moskauer Kreml erschossen; ihre sterblichen Überreste wurden nicht begraben, sondern von der Tscheka vernichtet; es gibt Zweifel, ob sie tatsächlich das Attentat durchführte oder nur als Sündenbock herhalten musste bzw. einen anderen Täter deckte; der Initiator der schnellen Erschiessung war Swerdlow persönlich
  • 10.2.1890–30.5.1960: Boris Pasternak (Boris Leonidowitsch Pasternak), russisch-jüdischer Schriftsteller, geb. Moskau, gest. Peredelkino bei Moskau; sein Vater Leonid war Künstler und Professor an der Moskauer Schule für Malerei, seine Mutter die bekannte Pianistin Rosa Kaufmann; Pasternak wuchs in einem intellektuellen und künstlerischen Milieu auf, zu Hause begegneten ihm Musiker, Künstler, Schriftsteller, z. B. Lew Tolstoi; Begegnungen mit Skrjabin brachten ihn dazu, Pianist und Komponist werden zu wollen, nach Abschluss des Moskauer deutschen Gymnasiums 1908 studierte er jedoch an der Moskauer Universität Philosophie, verbringt auch ein Auslandssemester in Marburg (Studium u. a. bei Hermann Cohen und Nicolai Hartmann), und entschliesst sich, sich der Poesie zuzuwenden („meiner Meinung nach sollte Philosophie dem Leben und der Kunst als Gewürz beigegeben werden, wer sich ausschliesslich mit Philosophie beschäftigt, kommt mir vor wie ein Mensch, der nur Meerrettich isst“); Pasternak begann als ein dem Symbolismus und Futurismus nahestehender Lyriker, fand mit seinen bildreichen, musikalischen Gedichten jedoch bald eigene Ausdrucksformen; seine Eltern und Geschwister wanderten 1921, als Auslandsreisen erlaubt wurden, nach Deutschland aus (er sah sie nie wieder); 1922 heiratete Pasternak Ewgenija Wladimirowna Lourie und hatte mit ihr einen Sohn, die Ehe wurde 1931 geschieden; in der Stalin-Zeit zum Schweigen gezwungen, war er zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Übersetzer tätig (zum Teil berühmte Übersetzungen von Verlaine, Goethes „Faust“, Rilke, Kleist, Shakespeare); 1934 ging er eine zweite Ehe mit Sinaida Nikolajewna Neuhaus ein, die Familie zog 1936 in die Künstlerkolonie Peredelkino bei Moskau. Sein Roman Doktor Schiwago (an dem Pasternak ein halbes Leben lang gearbeitet hat), der sich bei der Darstellung der russischen Revolution nicht an die parteioffizielle Linie hielt, erschien (nachdem der Roman 1956 von der Veröffentlichung in der Sowjetunion ausgeschlossen worden war) 1957 im Ausland (in Mailand in italienischer Sprache, und erregte weltweit Aufsehen, danach Übersetzung in 18 andere Sprachen – ein internationaler Erfolg) und erst 1988 aus politischen Zwängen in der Sowjetunion unter Gorbatschow (Pasternak schildert in diesem Roman die Lebens- und Leidensgeschichte des Arztes, Wissenschaftlers und Dichters Jurij Andrejewitsch Schiwago von 1903 bis 1929 und entwirft dabei ein Bild des vor- und nachrevolutionären Russland, wie es von keinem anderen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts geschaffen worden ist. Schiwago entscheidet sich nach der Machtübernahme der Bolschewiken, Bürger, d. h. frei und unengagiert zu bleiben, sich nicht »umerziehen« zu lassen; als Vorbild für Lara, die weibliche Hauptfigur des Romans, soll Pasternaks langjährige Geliebte Olga Iwinskaja fungiert haben; der Film „Dr. Schiwago“ mit Omar Sharif und Julie Christie, Regie David Lean, 1965, gewann 1966 fünf Oscars und war ein internationaler Kinoerfolg); den ihm 1958 verliehenen Literatur-Nobelpreis musste Pasternak, nachdem er ihn zunächst angenommen hatte, unter politischem Druck ablehnen – dennoch wurde er in der Folge aus dem sowjetischen Schriftstellerverband ausgeschlossen; aus einem persönlichen Brief Pasternaks an Chruschtschow geht hervor, dass Pasternak trotz aller Angriffe auf ihn und seine Arbeit auf keinen Fall Russland verlassen wollte (in einer besonderen Zeremonie nahm sein Sohn den von Pasternak „abgelehnten“ Nobelpreis 1989 in Stockholm stellvertretend für seinen Vater entgegen). Voller Pläne und Ideen für weitere Gedichte und Romane starb Boris Pasternak am 30. Mai 1960 an Lungenkrebs in Peredelkino. Weitere Werke (Auswahl): „Zwilling in Wolken“, 1914; „Über die Barrieren“, 1917; „Meine Schwester, das Leben“, 1922; „Lüvers Kindheit“, 1922; „Briefe aus Tula“, 1922; „Das Jahr 1905“, 1927; „Geleitbrief. Erinnerungen“ 1931; „Spektorskij. Versroman“, 1931; „In den Frühzügen“, 1943; „Irdische Weite“, 1945; Autobiografie „Über mich selbst“, 1959
  • 11.2.1890–14.5.1964: Heinz Werner, geb. in Wien, gest. in Worcester/Mass., "genetischer" Psychologe, origineller Denker; Promotion 1915 in Wien; zunächst Assistent bei William Stern, später Dozent und Prof. (seit 1926) an der Universität Hamburg, emigrierte 1933 in die USA und wurde Prof. in Ann Arbor, 1936 in Cambridge, 1943 in New York, 1947 in Worcester; er gehört zu den Begründern der Entwicklungspsychologie; Hauptwerke: Einführung in die Entwicklungspsychologie, Leipzig 1926; Comparative Psychology of Mental Development, 1940; Perceptional development, 1957; Symbol formation, 1963
  • 16.3.1890–12.1.1948: Solomon Michoels (Solomon Michailowitsch Michoels, russisch Соломон Михайлович Михоэлс, geboren als Schiloma Wowsi), geb. in Dwinsk, heute Daugavpils, Lettland; ermordet in Minsk, Weissrussland, russisch-jüdischer Schauspieler und Regisseur; er war der berühmteste Vertreter des jiddischen Theaters des 20. Jahrhunderts; Michoels studierte Jura an der Universität Sankt Petersburg, brach sein Studium aber 1918 ab, um Alexander Granowskis jüdischer Theaterwerkstatt beizutreten; dieser versuchte, in Sowjetrussland ein nationales jüdisches Theater in jiddischer Sprache herauszubringen; zwei Jahre später, 1920, zog die Werkstatt nach Moskau um, wo sie sich als "Staatliches Jüdisches Theater Moskau" etablierte; Lenins Nationalitätenpolitik ermutigte das Theater, eine eigene jiddische Kultur unter der Ägide des Sowjetstaates zu entwickeln; Michoels entpuppte sich als hervorragendes Talent, war bald der führende Schauspieler seines Theaters und ab 1928 dessen Direktor; er trat in diversen bemerkenswerten Rollen auf, unter anderem als Tewje in einer Adaption von Scholem Alejchems komischen Kurzgeschichten über „Tewje den Milchhändler“ sowie in vielen anderen original jiddischen oder übersetzten Werken; es ist bemerkenswert, dass zwei der Paradestücke Michoels' Shakespeares "König Lear", seine wohl bekannteste Rolle, und "Richard III." waren, beides letztlich Studien über Tyrannei; die Aufführungen dieser Klassiker schienen den Sowjetstaat vordergründig zu unterstützen, doch bei näherer Betrachtung enthielten sie versteckte Kritik an Stalins Regime; bis Mitte der 1930er Jahre war die Karriere Michoels bedroht wegen seiner Kontakte zu führenden Mitgliedern der Intelligenzija, die Opfer von Stalins "Grosser Säuberung" wurden, besonders zum Autor Isaak Babel; Michoels unterstützte Stalin aktiv im Kampf gegen Adolf Hitler; im Jahre 1942 wurde er zum Vorsitzenden des Jüdischen Antifaschistischen Komitees gewählt; in dieser Funktion reiste er um die Welt und traf sich mit jüdischen Komitees, um sie zu ermutigen, die Sowjetunion in ihrem Krieg gegen Nazi-Deutschland zu unterstützen; während dies im Zweiten Weltkrieg für Stalin noch nützlich war, bekämpfte Stalin nach dem Krieg Kontakte zwischen Sowjetjuden und jüdischen Gemeinden in nichtkommunistischen Ländern, die er für Mitglieder der „Bourgeoisie“ hielt; das Staatliche Jüdische Theater wurde geschlossen und die Mitglieder des Jüdischen Antifaschistischen Komitees inhaftiert und - bis auf zwei - schliesslich alle in den Säuberungsaktionen kurz vor Stalins Tod hingerichtet; Michoels war die auffälligste Figur des intellektuellen Judentums; ein Schauprozess gegen ihn hätte ein schlechtes Licht auf Stalins Herrschaft geworfen; noch bevor die Säuberungsaktionen begannen, wurde Michoels 1948 in Minsk gestorben, nach offizieller Version starb er bei einem Autounfall; tatsächlich wurde er auf brutalste Weise getötet (zu Tode geknüppelt); sein Unfalltod wurde (unter Stalins Billigung) von einer Moskauer Geheimpolizeieinheit unter Befehl des stellvertretenden Ministers für Staatssicherheit Sergei Ogolzow inszeniert (ein schwerer Lkw überrollte dann mehrmals den bereits Getöteten); Michoels erhielt ein Staatsbegräbnis; sein Bruder Miron Wowsi war Stalins Leibarzt und wurde während der so genannten Ärzteverschwörung 1953 inhaftiert, überlebte aber
  • 18.4.1890–14.3.1945: Alexander Granach (eigentlich Jessaja Szajko Gronach, bis 1912 Hermann Gronach), geb. in Werbowitz (Wierzbowce, Werbiwizi), Bezirk Horodenka, Ostgalizien, als neuntes Kind jüdischer Bauern, gest. in New York; jüdisch-österreichisch-US-amerikanischer Schauspieler; Bäckerlehre, Kontakt mit russisch-jüdischen Studenten und Sympathie für die revolutionäre Bewegung in Russland; in Lemberg besuchte er erstmals mit seinem Bruder das jiddische Theater und beschloss, Schauspieler zu werden; 1906 gelangte er über Wien nach Berlin, wo er sich zunächst als Bäcker verdingte, nebenbei schloss er sich einem jiddischen Amateurtheater an, in dieser Zeit lernte er die deutsche Sprache; 1909 begann er bei Max Reinhardt an der Schauspielschule und etablierte sich in den folgenden Jahrzehnten als grosser Theatermime; während des Ersten Weltkriegs kämpfte er in der österreichisch-ungarischen Armee an der Alpenfront an der Grenze zu Italien und geriet in italienische Kriegsgefangenschaft; nach dem Krieg trat er in München, dann an Berliner Theatern auf, wo er u. a. unter Erwin Piscator („Hoppla, wir leben“, 1927) und am Preussischen Staatstheater unter Leopold Jessner spielte und zu den populärsten Schauspielern seiner Zeit gehörte; 1920 debütierte er im Film und hatte grosse Erfolge; 1933 musste er aufgrund seiner politisch linksgerichteten Einstellung und seiner jüdischen Herkunft emigrieren und ging nach einer Zwischenstation in der Schweiz nach Warschau, wo er eine jiddische Theatergruppe gründete; 1935 erhielt er eine Einladung ans Jiddische Theater in Kiew (wurde später Direktor dieses Theaters) und übersiedelte in die Sowjetunion, wo er später im Zuge der stalinistischen Säuberungen 1937 verhaftet wurde; dank der Intervention von Lion Feuchtwanger erhielt er jedoch kurze Zeit später eine Ausreisegenehmigung nach Zürich, wo er am dortigen Schauspielhaus in „Macbeth“ und „Dantons Tod“ seine letzten Auftritte in Europa hatte; 1938 emigrierte er in die USA, wo er sich zunächst in New York aufhielt und auf das Erlernen der englischen Sprache konzentrierte (währenddessen aktiv auf jiddischen Bühnen), bevor er eine neue Filmkarriere in Hollywood begann; dort spielte er u. a. in den Filmen: „Ninotschka“ (an der Seite von Greta Garbo), „Der Auslandskorrespondent“, „Joan of Ozark“, „Auch Henker sterben“, „Wem die Stunde schlägt“ (nach dem Roman von Hemingway, mit Ingrid Bergman und Gary Cooper), „The Hitler Gang“ und „Das siebte Kreuz“ (mit Spencer Tracy; Regie: Fred Zinnemann); wie andere deutsche Emigranten musste er wegen seines deutschen Akzents häufig Nazis spielen; ab Dezember 1944 trat er erfolgreich am New Yorker Broadway in dem Stück „A Bell for Adano“ auf; Alexander Granach war in erster Ehe mit Martha Guttmann verheiratet; mit ihr hatte er einen Sohn, Gerhard (geb. 1915), der 1936 nach Palästina emigrierte und als Gad Granach in Jerusalem lebt; die Ehe Alexander Granachs wurde 1921 geschieden; in zweiter Ehe war Alexander Granach mit der Schauspielerin Lotte Lieven (Lotte Lieven-Stiefel) verheiratet; 1945 erschien nach seinem Tod seine Autobiographie in einem schwedischen Exilverlag ("There goes an actor", deutsch unter dem Titel „Da geht ein Mensch. Roman eines Lebens“); Alexander Granach starb am 14. März 1945 in New York nach einer Blinddarmoperation an einer Lungenembolie; weitere Filme (Auswahl): „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“, 1922; „Lucrezia Borgia“, 1922; „Erdgeist“ (mit Asta Nielsen), 1923; „Paganini“, 1923; „Der Mensch am Wege“ (mit Heinrich George und der jungen Marlene Dietrich in einer Nebenrolle), 1923; „Schatten“ (mit Fritz Kortner), 1923; „Ein Sommernachtstraum“ (mit Hans Albers), 1924; „Grossstadtschmetterling“, 1928/1929; „Die letzte Kompanie“ (mit Paul Henckels), 1930; „Danton“ (mit Fritz Kortner und Gustaf Gründgens), 1931; „A Man betrayed“ (mit John Wayne), 1941
  • 21.4.1890–26.4.1968: Benno Landsberger, geb. in Friedek/Österreichisch-Schlesien, gest. in Chicago/Ill., einer der bedeutendsten deutschen Assyriologen, forschte auch auf den Gebieten Sumerologie und Semitistik, wurde 1925 Prof. in Leipzig, 1928 in Marburg, 1929 erneut in Leipzig, 1935 in Ankara und 1948 in Chicago (bis 1955); Hauptwerke: Der kultische Kalender der Babylonier und Assyrer, 1915; Assyrische Handelskolonien des alten Mesopotamien, 1934; Materialien zum Sumerischen Lexikon, 9 Bände, 1937-1967; The date Palm (Dattelpalme) and its by-products, 1967
  • 3.5.1890–17.4.1976: Soma Morgenstern (eigentlich Salomo Morgenstern), geb. in Budzanow/Galizien, gest. in New York, Schriftsteller, seit 1912 in Wien, 1918 österreichischer Leutnant (während des Ersten Weltkriegs vornehmlich als Pferdekäufer in Serbien und Ungarn stationiert), 1921 Dr. iur. et rer. pol.; 1927-1934 Korrespondent der Frankfurter Zeitung, emigrierte 1938 nach Frankreich, dort 1941 im KZ, gelang es ihm 1941, über Marokko und Portugal in die USA (New York) zu kommen; Hauptwerke: Romane "Der verlorene Sohn" (1934); "Der Sohn des verlorenen Sohnes" (1934); "Die Blutsäule" (1964); schrieb auch Hörspiele
  • 7.5.1890–28.2.1942: Julius Seligsohn (Julius L. Seligsohn; auch: Seligson), geb. in Berlin, umgekommen im KZ Sachsenhausen, Jurist (wie sein Vater auch), im Ersten Weltkrieg Oberleutnant, mehrfach dekoriert (u. a. mit EK I.), war aktiv im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, der 1936 ca. 30000 Mitglieder hatte, war im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Berlin und Präsidialmitglied der Reichsvertretung der deutschen Juden; sein Aufruf an die deutschen Juden, für die aus Baden und der Pfalz nach Frankreich Deportierten einen Fasttag abzuhalten, führte im Oktober 1940 zu seiner Verhaftung und Deportierung ins KZ
  • 10.5.1890–7.9.1975: Wilhelm Thiele (eigentlich: Wilhelm Isersohn; in der Emigration: William Thiele), geb. in Wien, gest. in Woodlawn Hills, Kalifornien, österreichisch-amerikanisch-jüdischer Filmregisseur und Drehbuchautor; Studium am Konservatorium in Wien, Stipendium des Burgtheaters, 1909 Schauspieler in Karlsbad, später in Stuttgart, ab 1914 Kriegsdienst bei den Deutschmeistern in Wien; inszeniert Revuen für die Truppen, 1918 geht er nach München als Regisseur ans Volkstheater; seit 1923 Arbeit für den Film, er beginnt mit „Das Totenmahl auf Schloss Begalitza“ seine Karriere als Regisseur; seine Filme waren meist leichte Komödien; mit Aufkommen des Tonfilms nutzte Thiele als erster deutschsprachiger Regisseur die Musik für seine Arbeit und drehte mit „Die Drei von der Tankstelle“ (1930, die drei Freunde Willy, Kurt und Hans gespielt von Willy Fritsch, Oskar Karlweis und Heinz Rühmann; weitere Schauspieler u. a. Lilian Harvey und Olga Tschechowa; auch die Comedian Harmonists treten als Köche in Erscheinung; im Film u. a. das Lied „Ein Freund, ein guter Freund“) sowohl den ersten deutschen Musikfilm wie auch seinen erfolgreichsten Film überhaupt; neben der deutschen drehte er auch eine französische Fassung und im Anschluss daran weitere französischsprachige Filme; nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland ging Thiele 1933 ins Ausland; ab 1936 führte Thiele in Hollywood Regie; erster Film war die „Dschungel-Prinzessin“ mit Dorothy Lamour, Ray Milland und Akim Tamiroff in den Hauptrollen; doch konnte er in den USA nicht mehr an seine Erfolge in Europa anknüpfen; zweimal führte er bei Tarzan-Filmen mit Johnny Weissmuller Regie, einer der Filme war ein Propagandafilm gegen Nazideutschland; 1949 wechselte er als einer der ersten Regisseure zum neuen Medium Fernsehen („Lone Ranger“); Ende der 1950er Jahre ging Thiele zurück nach Deutschland und drehte hier nochmals Filme; am bekanntesten war „Der letzte Fussgänger“ mit Heinz Erhardt
  • 30.5.1890–22.6.1972: Paul Czinner, geb. in Budapest, gest. in London, Autor, Filmregisseur und -produzent; er studierte Philosophie und Literatur in Wien, arbeitete als Journalist und ab 1919 für den Film; er lernte die junge Schauspielerin Gilda Langer kennen und verlobte sich mit ihr, bevor es jedoch zu einer Zusammenarbeit und Hochzeit kommen konnte, verstarb Gilda Langer im zarten Alter von 23 Jahren im Januar 1920; im selben Jahr 1920 erschien der vorexpressionistische Film „Inferno“; in Berlin hielt Paul Czinner Kontakte zu Carl Mayer und Hans Janowitz, die gerade an der Vorlage zum „Kabinett des Dr. Caligari“ arbeiteten, sowie zu Fritz Lang, der gerade „Der Herr der Liebe“ inszenierte und am Anfang seiner erfolgreichen Karriere stand; Czinner brachte durch eine einfache Konstruktion mit einem Dreirad die erste Kamerafahrt zustande, die daraufhin weltweit zur Anwendung und Weiterentwicklung kam; 1924 bot er Elisabeth Bergner die Hauptrolle in seinem Film „Nju“ an, und auch privat wurde diese von vielen begehrte Frau seine Partnerin; beide jüdisch, flohen sie nach der Machtergreifung zuerst nach Wien und dann nach London, wo sie auch heirateten; im Jahr 1934 inszenierte Czinner „Katharina die Grosse“ mit seiner Frau in der Hauptrolle (in Deutschland verboten); 1940 emigrierten sie nach Amerika und arbeiteten am Broadway; nach dem Kriegsende kehrten sie nach England zurück, wo Czinner erfolgreiche Ballett- und Opernverfilmungen drehte („Don Giovanni“, „Der Rosenkavalier“); weitere Filme (Auswahl): „Fräulein Else“, 1929; „The Way of Lost Souls“, 1929; „Der träumende Mund“, 1932; „As You Like It“, 1936; „Stolen Life“, 1939; „The Royal Ballet“, 1960; „Romeo and Juliet“, 1966
  • 5.6.1890–Juli 1942: Robert Liebmann, geb. in Berlin, ermordet in Auschwitz; deutsch-jüdischer Drehbuchautor mit riesiger Produktion; nach dem Abitur studierte er von 1908 bis 1913 an den Universitäten von Freiburg, München und Berlin Jura; ab 1914 schrieb er Theater- und Filmkritiken für die Deutsche Allgemeine Zeitung, ab 1916 für die Berliner Morgenpost und ab 1918 für die B.Z. am Mittag; im selben Jahr heiratete er seine Jugendfreundin Nené Flack; damals begann er, Librettos, Texte für Revuen und Filmdrehbücher zu verfassen; mit seinen Lustspielen, Liebesromanzen, Abenteuer- und Gruselgeschichten avancierte er zu einem der erfolgreichsten Drehbuchautoren der Weimarer Republik; 1928 gründete er mit Harry Piel die Ariel-Film-GmbH; im April 1929 wurde er Dramaturg bei der Ufa; in der Zeit des beginnenden Tonfilms war Liebmann als Autor oder Co-Autor an einigen Klassikern beteiligt, darunter Der blaue Engel und „Der Kongress tanzt“; kurz nach der Machtergreifung, im April 1933, wurde Liebmann als Jude von der Ufa entlassen; im Vorspann des letzten Films, an dem er beteiligt war, „Walzerkrieg“, erschien sein Name nicht mehr; Liebmann emigrierte nach Paris; dort und später in Hollywood arbeitete er an einigen Emigrantenfilmen mit; 1938 war er wieder in Paris, wo er seine letzten Filmaufträge erhielt; im selben Jahr wurde er im Juli aus der Reichsfilmkammer ausgeschlossen; im Juli 1939 folgte die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft; über sein weiteres Leben ist nichts bekannt, vermutlich wurde er nach dem Frankreichfeldzug ein Opfer des Holocaust; Filmographie (kleine Auswahl): „Prostitution. Die sich verkaufen“, 1919; „Die Arche“, 1919; „Die letzten Menschen“, 1919; „Indische Rache“, 1920; „Der Hund von Baskerville“, 1920; „Die Frau ohne Seele“, 1920; „Der Graf von Cagliostro“, 1920; „Der Mann ohne Namen“, 1921; „Hapura, die tote Stadt“, 1921; „Seine Exzellenz von Madagaskar“, 1921; „Das Geld auf der Strasse“, 1921; „Das Mädel mit der Maske“, 1922; „Der Pantoffelheld“, 1922; „So sind die Männer“, 1922; „Komödianten des Lebens“, 1924; „Hochstapler wider Willen“, 1924; „Niniche“, 1924; „Die Abenteuer der Sibylle Brant“, 1925; „Liebe macht blind“, 1925; „Soll man heiraten? Soll ein Mann heiraten? 1925; „Schatten der Weltstadt“, 1925; „Ein Walzertraum“, 1925; „Der Ritt in die Sonne“, 1925; „Die tolle Herzogin“, 1925; „Wie einst im Mai“, 1926; „Die drei Kuckucksuhren“, 1926; „Der Feldherrnhügel“, 1926; „Die Boxerbraut“, 1926; „Kopf hoch, Charly“, 1926; „Der Juxbaron“, 1926; „Meine Tante - Deine Tante“, 1927; „Die schönsten Beine von Berlin“, 1927; „Die Dame mit dem Tigerfell“, 1927; „Der Fürst von Pappenheim“, 1927; „Eheferien“, 1927; „Die raffinierteste Frau Berlins“, 1927; „Im Luxuszug“, 1927; „Moral“, 1927; „Charlott etwas verrückt“, 1928; „Zwei rote Rosen“, 1928; „Mann gegen Mann“, 1928; „Looping the Loop / Die Todesschleife“, 1928; „Geheimnisse des Orients“, 1928; „Raub der Sabinerinnen“, 1928; „Die blaue Maus“, 1928; „Die Mitternachtstaxe“, 1929; „Der schwarze Domino“, 1929; „Liebeswalzer“, 1930; „Der blaue Engel“, 1930; „Liebling der Götter“, 1930; „Einbrecher“, 1930; „Ihre Hoheit befiehlt“, 1931; „Voruntersuchung“, 1931; „Der Kongress tanzt“, 1931; „York“, 1931; „Stürme der Leidenschaft“, 1931; „Der Sieger“, 1932; „Mensch ohne Namen“, 1932; „Ich bei Tag und Du bei Nacht“, 1932; „Ich und die Kaiserin“, 1933; „Walzerkrieg“, 1933; „Liliom“, 1934; „Tokayerprinzessin (Caravane)“, 1934; „Liebesreigen (Music in the Air)“, 1934; „Carrefour“, 1938; „Lumières de Paris“, 1938
  • 24.6.1890: Victor (auch: Viktor) Tischler in Wien geboren, Maler und Grafiker, trat besonders als Porträtist und mit stimmungsvollen Landschaften hervor
  • 25.6.1890: Walter Trier in Prag geboren, Zeichner, trat besonders als (nicht aggressiver, sondern beschaulich-lustiger) Karikaturist hervor, am Simplicissimus, der Jugend und den Lustigen Blättern, zeichnete seit 1910 für den Ullstein-Verlag, besonders für die Berliner Illustrierte, schuf Aquarelle von zart-poetischer Farbstimmung (Titel-Illustrationen der berühmten Kinderbücher von Kästner, Emil und die Detektive [1929] usw.; der kongeniale Illustrator, den mehrere Jahre eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft mit Kästner verband, trug viel zu Kästners Erfolg als Kinderbuchautor bei); Ende 1936 emigrierte er zunächst nach England, wo er für Liliput und Picture Post zeichnete, 1947 nach Kanada; Walt Disney hatte ihm eine Stelle als Trickfilmzeichner angeboten, Walter Trier lehnte aber ab, da er nicht unter einem fremden Konzernlogo arbeiten wollte; er starb am 8.7.1951 in Craigleith bei Collingwood/Kanada
  • 2.7.1890–16.2.1937: Paul Graetz, geb. in Glogau, gest. in Hollywood, war ein bedeutender Komiker in der Theater- und Kabarettszene Berlins der 1920er Jahre; er war auch Filmschauspieler; als Jude floh er 1933 vor den Nationalsozialisten nach England und dann 1935 in die USA; dort erhielt er Rollen in einigen B-Filmen und starb schliesslich 1937 im Alter von nur 46 Jahren; erhalten ist von ihm unter anderem seine Lesung Heimweh nach Berlin als etwa zwei Stunden langes Tondokument; - Filmografie: 1920: Sumurun; 1920: Weltbrand; 1920: Figaros Hochzeit; 1921: Die Bergkatze; 1921: Das Haus zum Mond; 1921: Sehnsucht; 1921: Aus dem Schwarzbuch eines Polizeikommissars, 2. Teil: Verbrechen aus Leidenschaft; 1922: Monna Vanna; 1922: Sie und die Drei; 1922: Ihr schlechter Ruf; 1923: Die Fledermaus; 1923: Tragödie der Liebe; 1923: Ein Weib, ein Tier, ein Diamant; 1923: I.N.R.I.; 1924: Soll und Haben; 1924: Dr. Wislizenus; 1926: Die drei Mannequins; 1926: Küssen ist keine Sünd; 1926: Die Warenhausprinzessin; 1927: Die indiskrete Frau; 1927: Der Meister der Welt; 1927: Eine tolle Nacht; 1928: Der Kampf ums Matterhorn; 1928: Moral; 1928: Ein Tag Film; 1929: Trust der Diebe; 1929: Die Schleiertänzerin; 1930: Wien, du Stadt der Lieder; 1931: Berge in Flammen; 1931: Das gelbe Haus des King-Fu; 1931: Gesangverein Sorgenfrei; 1931: Mary; 1931: Red Wagon; 1934: Blossom Time; 1934: Murder at Monte Carlo; 1934: Jew Süss; 1935: Bulldog Jack; 1935: Car of Dreams; 1935: Heart's Desire; 1935: Mimi; 1936: Isle of Fury; 1936: Public Enemy's Wife
  • 8.7.1890–21.6.1940: Walter Hasenclever, geb. in Aachen, gest. in Les Milles (Internierungslager bei Aix-en-Provence, Frankreich; Suizid mit einer Überdosis Veronal beim Einmarsch der deutschen Armee, um nicht den Nazis in die Hände zu fallen); deutscher Dramatiker und Lyriker; Pazifist; brachte die gegen Konventionen rebellierenden expressionistischen Themen der Menschheitsverbrüderung und des Generationenkonflikts als Erster auf die Bühne ("Der Sohn", 1914; "Antigone", 1917); dann erfolgreicher Lustspielautor ("Ein besserer Herr", 1926; "Ehen werden im Himmel geschlossen", 1928); nachdem seine Bücher von den Nazis verbrannt worden waren, emigrierte er 1933 nach Nizza
  • 12.7.1890-18.1.1941: Anton Kuh, geb. in Wien, gest. in New York an einem Herzinfarkt, österreichisch-jüdischer Journalist, Essayist, Erzähler, Kaffeehausliterat und genialer Stegreifredner; unter seinem eigenen Namen und unter dem Pseudonym Yorick veröffentlichte Anton Kuh u. a. Satiren und zahlreiche kurze Prosastücke, in denen er sich im Sinne von Pazifismus und Demokratie kritisch, witzig und hellsichtig mit seiner Zeit auseinandersetzte; Kuh würdigte früh die überragende Bedeutung Franz Kafkas und sprach sich bereits in den 1920er Jahren prophetisch warnend gegen den aufkommenden rechten Zeitgeist aus; bekannt war Kuh zu Lebzeiten vor allem als Vortragskünstler; Tucholsky nannte ihn einen „Sprechsteller“, was angesichts eines doch recht umfangreichen publizierten Œuvres nicht ganz zutreffend erscheint; eine von Kuhs bekanntesten Stegreifreden, Der Affe Zarathustras, eine am 25. Oktober 1925 im Wiener Konzerthaus gehaltene Polemik gegen Karl Kraus, bei der es zu tumultuösen Szenen kam und die Polizei vorbeischauen musste, ist nur durch stenografische Mitschriften überliefert; in ihr attackierte Kuh nicht nur die schauspielerhafte Eitelkeit des Schriftstellers und Rezitators Kraus sowie dessen Publikumsverachtung, sondern vor allem das elitär apolitische „Krausianertum“ seiner Anhängergemeinde. („Sie spazieren im Labyrinth seiner dunkel gewundenen Drehs wie Alumnen unter Klosterkreuzgängen. Wie kühl es da ist, wie weit weg von Moskau und Berlin“; zwei Wochen vor dem „Anschluss“ und damit dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich fragte Kuh in seiner letzten Wiener Stegreifrede: „Sind die Juden intelligent?“ und appellierte: „Wenn ja, rettet Euch. Es ist höchste Zeit!“ Kuh lebte zunächst in Prag und Wien, zog dann 1928 nach Berlin, weil er lieber „in Berlin unter Wienern, statt in Wien unter Kremsern“ leben wollte; von den Nazis als „Kulturbolschewik“ geschmäht, musste er Deutschland 1933 verlassen; nach dem deutschen Einmarsch in Österreich emigrierte er 1938 in die USA; seine Werke wurden in den 1960er Jahren neu entdeckt; Werke: Juden und Deutsche, Berlin 1921; Von Goethe abwärts. Essays in Aussprüchen, Leipzig, Wien Zürich 1922; Börne der Zeitgenosse. Eine Auswahl eingeleitet und herausgegeben von Anton Kuh, Leipzig u. Wien 1922; Der Affe Zarathustras, 1925; Der unsterbliche Österreicher, München 1931; Werkausgaben: Luftlinien. Feuilletons, Essays und Publizistik, hg. von Ruth Greuner, Wien 1981; Zeitgeist im Literatur-Cafe. Feuilletons, Essays und Publizistik, neue Sammlung, hg. von Ulrike Lehner, Wien 1985; Juden und Deutsche Hg. und mit einer Einleitung von Andreas B. Kilcher, Wien 2003; noch ein bekanntes Zitat von ihm: "Wie sich der kleine Moritz die Weltgeschichte vorstellt - genau so ist sie."; viele weitere Zitate des Wortgewaltigen könnte man bringen, z. B.: "Das Unglück der Deutschen ist, dass sie glauben, das Wort Erotik käme von erröten"
  • 12.7.1890–18.7.1974: Kurt Bauchwitz (Kurt Israel Bauchwitz), geb. in Halle (Saale), gest. in Milton, Massachusetts; Sohn jüdischer Eltern, aber "katholisch notgetauft"; Rechtsanwalt, Essayist, Lyriker, Satiriker, Aphoristiker mit originellem Wortwitz; er studierte Jura in Halle, München, Grenoble und Berlin und arbeitete als Anwalt in Berlin, bevor er Deutschland verliess; 1939 emigrierte er nach Japan (dort nahm er den Namen Roy C. Bates an), 1940 in die USA; in Amerika setzte er sich unter anderem dafür ein, Entschädigungen für während der Nazizeit beschlagnahmte Besitztümer zu erwirken, und war ausserdem Vertreter der Erbengemeinschaft der Familie Mann; er schrieb u. a."Der Lebendige" (1920); "Heim-Findungen. Lebensbuch eines Emigranten" (postum)
  • 7.8.1890–1972: Chanoch Albeck, geb. in Lowicz, Polen; gest. 9.1.1972 in Jerusalem, bedeutender jüdischer Gelehrter und der herausragendste Mischna-Forscher seiner Zeit; er studierte in Wien am Rabbinerseminar und erhielt seine rabbinische Ordination 1905; 1921 erzielte er einen akademischen Abschluss (Dr. phil.) an der Universität Wien; von 1926 bis 1936 unterrichtete Chanoch Albeck an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin Talmud und emigrierte dann 1936 nach Palästina, wo er noch im selben Jahr zum Professor und Leiter der Talmudischen Studien an der Hebräischen Universität in Jerusalem berufen wurde, eine Position, die er 25 Jahre innehatte; er entwickelte eine umfangreiche Publikationstätigkeit und schrieb u. a. bahnbrechende Einführungen und Kommentare zu Mischna, Baraita, Tosefta, Talmud usw.; regelmässig veröffentlichte er auch in der wissenschaftlichen Zeitschrift Tarbiz; zu seinen Schülern zählten neben vielen anderen z. B. Avraham Goldberg oder Abraham Jehoschua Heschel; sein Vater, Schalom Albeck (1858-1920), war ebenfalls ein herausragender talmudischer Gelehrter und wirkte vor allem in Breslau; unter Chanoch Albecks Kindern sind Prof. Michael Albeck, Dozent der Chemie, sowie Prof. Schalom Albeck, Dozent für jüdisches Recht (beide an der Bar-Ilan-Universität); Albecks Schwiegersohn, Arjeh Bachrach, fiel im Israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948; im Jahr 1957 sollte Chanoch Albeck den Israel-Preis erhalten, lehnte die Annahme aber - wie auch die Annahme anderer Preise - aus prinzipiellen Gründen ab; 1959 wurde er Mitglied der israelischen Akademie der Wissenschaften; Werke (Auswahl): Bet habechira al massechet jewamot leharaw hame'iri im heraot, Berlin 1922 (Textausgabe mit Anmerkungen); Untersuchungen über die Redaktion der Mischna, Berlin 1923; Kritische Ausgabe Bereschit rabba, 1926 f. (in Fortsetzung der Ausgabe J. Theodors); Untersuchungen über die halakischen Midraschim, Berlin 1927; Das Buch der Jubiläen und der Halacha, 1930; Studies in Baraita and Tosephta, Jerusalem 1969; Introduction to the Talmuds, 1987 (Dvir); Introduction to the Mishna, Reprint 2005 (Bialik Institut); The Six Orders of the Mishna, Reprint 2008 (Bialik Institut)
  • 27.8.1890-18.11.1976: Man Ray (eigentlich Emmanuel Rudnitzky), geb. Philadelphia, Pennsylvania, gest. Paris; US-amerikanischer Fotograf, Maler und Filmschaffender; war ein mittelmässiger surrealistischer Maler, aber genialer Fotograf; er schuf "Readymades", deren berühmtestes das "Geschenk" (ein Bügeleisen mit 14 Nägeln) ist; als Fotograf einer der Erfinder der Fotografik (Rayogramm); mit seinen "Rayographien" (Fotomontagen und Fotogrammen) entwickelte er neue künstlerische Ausdrucksmittel; 1927 drehte er die Filme "Seestern" und "Die Geheimnisse von Château de Dé"; berühmte Fotografie „Kiki, le violon d´Ingres“ (1924), sie setzt durch die aufretuschierten Schalllöcher den nackten Rücken der sitzenden Frau mit einem Musikinstrument gleich; Modell war Man Rays Lebensgefährtin Kiki de Montparnasse
  • 9.9.1890–12.2.1947: Kurt Lewin, geb. in Mogilno/Posen, gest. in Newtonville/Mass., bedeutender Psychologe und Soziologe, lehrte an den Universitäten Freiburg, Berlin (1921-1932) und München, emigrierte 1933 in die USA und war seit 1935 Prof. für Kinderpsychologie in Iowa; er vertrat die Berliner Schule der Gestaltpsychologie und entwickelte die "Feldtheorie" ("Feld" = Lebensraum, der alle in einer Situation wirksamen Kräfte umfasst), besonders auf dem Gebiet der sozialen und politischen Psychologie; 1944 wurde er Direktor des "Research Center for Group Dynamics" am Massachusetts Institute of Technology in Boston; Werke (Auswahl): Vorsatz, Wille und Bedürfnis, 1926; Die Entwicklung der experimentellen Willenspsychologie und die Psychotherapie, 1929; A dynamic theory of personality, 1935 (sein Hauptwerk); Principles of topological psychology, 1936; Resolving social conflicts, New York 1948; Feldtheorie in den Sozialwissenschaften (Sammelwerk, deutsch 1963)
  • 10.9.1890–26.8.1945: Franz Werfel (Franz Viktor Werfel), geb. in Prag (als Sohn des wohlhabenden Handschuhfabrikanten Rudolf Werfel und dessen Frau Albine, geborene Kussi, deutsch-böhmische Juden), gest. (an einem Herzinfarkt) in Beverly Hills, Kalifornien, USA; österreichisch-jüdischer Schriftsteller; Wortführer des Expressionismus; in den 1920er und 1930er Jahren waren seine Bücher Bestseller; durch seinen Verdi-Roman (1924) und seine Neubearbeitungen mehrerer Opern ("Macht des Schicksals", "Simon Boccanegra") Initiator der Verdi-Renaissance in Deutschland; er war befreundet mit Kafka und Brod, mit Willy Haas und Ernst Deutsch, auch mit Karl Kraus; geprägt vom Judentum, der Bindung an Österreich und dem Katholizismus, dem er zuneigte; begründete in Leipzig mit W. Hasenclever und K. Pinthus die Sammlung „Der jüngste Tag“ (1913-1921), lebte bis 1938 meist in Wien, wo er Alma Mahler, die Witwe Gustav Mahlers, heiratete (7.8.1929); floh 1940 aus Frankreich nach den USA (amerikanische Staatsbürgerschaft 1941); Werfel begann mit expressionistischer Lyrik: „Der Weltfreund“, 1911; „Wir sind“, 1913; „Der Gerichtstag“, 1919; schuf dann expressionistische Ideen- und Erlösungsdramen: „Die Troerinnen des Euripides“ (Bearbeitung) 1915; „Spiegelmensch“, 1920; „Paulus unter den Juden“, 1926; „Jacobowsky und der Oberst“, 1944; zu internationalen Erfolgen kam er als Erzähler („Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig“, 1920, und „Der Abituriententag“, 1928), besonders mit historischen und religiösen Stoffen: „Barbara oder die Frömmigkeit“, 1929; „Die vierzig Tage des Musa Dagh“, 1933 (2 Bände; zum Völkermord an den Armeniern); „Der veruntreute Himmel“, 1939; Das Lied von Bernadette, 1941 (ein Buch über die heilige Bernadette, das er zu schreiben gelobt hatte, falls ihm und seiner Familie die Flucht vor den Nazis gelingen sollte; 1943 mit grossem Erfolg verfilmt, mit Jennifer Jones in der Titelrolle); „Stern der Ungeborenen“ (postum); 1918 wurde sein Sohn Martin Carl Johannes geboren, der aber bereits 1919 starb; 1935 starb seine an Kinderlähmung erkrankte Stieftochter, Manon Gropius; Werfel selbst wurde zunächst in Beverly Hills auf dem Rosedale Cemetery begraben, erhielt dann 1975 ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof – vgl. noch ausführlich bei Alma Mahler-Werfel (31.8.1879-11.12.1964)
  • 16.9.1890: Ernst Deutsch in Prag geboren, Schauspieler, 1917 bis 1933 meist in Berlin, einer der ersten Vermittler expressionistischer Dramatik, übernahm später oft jüdische Rollen (Lewis in Galsworthys „Gesellschaft“, 1925)
  • 1.10.1890–6.5.1980: Dr. iur. Hugo Knöpfmacher, geb. in Wien/Niederösterreich, gest. in New York City, Jurist und Übersetzer, emigrierte 1939 in die USA; lebte in New York; übersetzte 1923 Achad Haams "Am Scheideweg"; veröffentlichte auch Gedichte in hebräischer Sprache
  • 3.10.1890–8.4.1969: Alexander Lifschütz, geb. in Berlin, gest. in Bremen, glanzvoller Jurist, rechtsphilosophischer Denker sowie bremischer Senator; Alexander Lifschützens Eltern stammten aus dem weissrussischen Pinsk; seit 1904 wohnte die Familie in Bremen; der Vater Isaac Lifschütz war Chemiker und erfand im Jahr 1900 das Eucerit, das die Salbenbasis für die Weltbestseller Nivea und Eucerin wurde; sein Jurastudium absolvierte Alexander Lifschütz in Göttingen und München; er promovierte zum Dr. jur. und war seit 1916 in Bremen als Anwalt und später als Notar tätig und zählte vor 1933 zu den national und international angesehensten Anwälten Deutschlands, dessen Rat gesucht war und dessen brillante Plädoyers von Fachkollegen eingehend studiert wurden; er war langjähriger Hausanwalt bzw. Justiziar vieler angesehener Firmen und Verbände, Rechtsvertreter zahlreicher Reedereien und Werften und hatte internationale Mandate von Baumwollexporteuren, Banken und Versicherungen; die Reichsregierung betraute ihn mit verschiedenen Spezialaufgaben und berief ihn in die Kommission zur Schaffung eines neuen Aktienrechts; 1933 verlor er als Jude - obwohl mittlerweile evangelisch und Mitglied des Kirchenvorstands der Friedenskirchengemeinde - seine Zulassung und emigrierte 1934 in die Niederlande, wo er als Anwalt in Amsterdam wirkte; nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er nach Bremen zurück und war von 1947 bis 1949 Senator für politische Befreiung und damit zuständig für die Verfahren der Entnazifizierung; vom 18. Januar 1956 bis zum 21. Mai 1969 war Lifschütz Präsident des Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen; in dieser Zeit trug sein Verhalten zur späteren Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes dahingehend bei, dass fortan Mindermeinungen öffentlich gemacht werden konnten; die Alexander-Lifschütz-Strasse im Bremer Stadtteil Obervieland wurde nach ihm benannt
  • 6.10.1890–13.6.1946: Josef Kastein (eigentlich Julius Katzenstein), geb. in Bremen, gest. in Haifa, entwickelte sich bereits in seiner Bremer Jugendzeit zu einem bewussten Juden zionistischer Prägung; in der Hansestadt entstanden seine ersten literarischen Werke (Romane, Gedichte), und dort wurde der Grund gelegt zu einer schriftstellerischen Karriere, die ihn im Laufe der 1930er Jahre zu einem international anerkannten Verfasser von Monografien zur Geschichte des Judentums machte
  • 15.10.1890–12.8.1952: Leib Kwitko (Lew Moissejewitsch Kwitko oder Leyb Kvitko), geb. in einem ukrainischen Stetl, erschossen in der Moskauer Lubjanka, war einer der bedeutendsten russisch-jiddischen Autoren des 20. Jahrhunderts; er entstammte einer sehr armen jüdischen Familie und erhielt die traditionelle Erziehung im Cheder, 17-jährig ging er nach Kiew, wo er später einer der führenden Poeten der "Kiewer Gruppe" wurde, in den Jahren 1921 bis 1925 lebte er in Weimar, trat der deutschen KP bei und schrieb Gedichte, die ihm grosse Bewunderung bei der Kritik eintrugen; seine Begeisterung für die Revolution wurde dabei nur für kurze Zeit getrübt, als er von den antijüdischen Pogromen in der Ukraine unter Petlura erfuhr, den er mit grossem Hass in seinen Schriften anklagt; 1925 kehrte Kwitko in die Sowjetunion zurück und liess sich in Moskau nieder; dort war er u. a. als Vorsitzender der jüdischen Sektion des sowjetischen Schriftstellerverbandes tätig; 1939 wurde er Mitglied der KPdSU, zu dieser Zeit schrieb er hauptsächlich Kinderlyrik, die mit den Vorgaben des sozialistischen Realismus in Einklang stand und die in Kindergärten und Schulen beliebt war; Kwitko gehörte auch zu den Mitgliedern des Jüdischen Antifaschistischen Komitees, war Mitherausgeber der "Einigkeit" (die Publikation des Komitees) und von "Sowetisch Haimland"; die Auswahlausgabe seiner Werke von 1937 war noch ganz dem Lobpreis Stalins gewidmet; 1948 wurde Leib Kwitko verhaftet und 1952 in der "Nacht der ermordeten Poeten" auf Befehl Berias zusammen mit ca. 30 weiteren jüdischen Persönlichkeiten, darunter die bekanntesten jiddischen Schriftsteller und Künstler der Sowjetunion, im Zuge der stalinistischen Säuberungsaktionen hingerichtet; Kwitko war der talentierteste Anhänger des "Nister" und gehörte - vor allem als Lyriker und Verfasser von Kinderbüchern - zu den bekanntesten jiddischen Schriftstellern der Sowjetunion; Werke (Auswahl): Jugend, 1922 (Gedichtband); In Vald ("Im Wald"), Berlin 1922; Voigelen ("Vögel"), 1922; Geklibene Werk ("Gesammelte Werke"), 1937 (Auswahlausgabe); Riogrander fel ("Häute aus Rio Grande", ohne Jahr)
  • 17.10.1890–23.1.1939: Ernst Blass, geb. u. gest. in Berlin, bedeutender frühexpressionistischer Schriftsteller, von Kurt Hiller als "eine Art deutscher Verlaine" bezeichnet; hochintelligenter Fabrikantensohn, wuchs mit drei älteren sowie zwei jüngeren Schwestern auf; litt zeitweile an epileptischen Anfällen; Herausgeber der Zeitschrift "Die Argonauten" 1914 f. in Heidelberg, dann in Berlin Kritiker für Zeitungen und Zeitschriften; seit 1924 Lektor bei Paul Cassirer; seit 1930 fast erblindet, 1933 verboten; verarmt in einem jüdischen Krankenhaus an einer lange unerkannt gebliebenen Lungentuberkulose gestorben; sein Tod blieb selbst in Exilkreisen weitgehend unbeachtet; expressionistische Gedichte: "Die Strassen komme ich entlang geweht" (1912); "Von Trennung und Licht" (1915); "Von Sommer und Tod" (1918); "Der offene Strom" 1921); Essays über Stefan George (1920), über "Die neue Tanzkunst" (1921)
  • 29.10.1890–30.5.1977: Claire Goll; die Dichterin und Journalistin wurde als Clara Aischmann am 29.10.1891 in Nürnberg geboren; 1917 lernte sie ihren späteren Mann, den Dichter Yvan Goll, kennen, mit dem sie 1919 nach Paris ging und während des Zweiten Weltkrieges nach New York emigrierte; ihr erster Gedichtband „Mitwelt“ erschien 1918 in französischer Sprache; Ende 1918 hatte sie eine leidenschaftliche Affäre mit Rainer Maria Rilke, mit dem sie bis zu dessen Tod 1926 freundschaftlich verbunden blieb; Claire Goll starb am 30.5.1977 in Paris; sie hatte die Werke ihres Mannes Yvan Goll nicht nur herausgegeben, sondern nachträglich manipuliert und Daten gefälscht; ein schmutziger Plagiatsstreit Goll/Celan begann; Celan wurde vorgeworfen, von Yvan Goll abgekupfert zu haben, dabei war es genau umgekehrt, dem Plagiierten wurde vom Plagiierenden dreisterweise der Plagiatsvorwurf gemacht ("Goll-Affäre")
  • 2.11.1890: Zu dieser Zeit ist Nathan Birnbaum noch ausgesprochener Jiddisch-Gegner, so schreibt er über "Jargon" (ein später für ihn verpönter Begriff) in der Zeitschrift "Selbst-Emancipation" III, 15, vom 2.11.1890: "Was ist der Jargon? Er ist das Bild Israels im Exile. So wie dieses eine Karikatur arischen Volkstums und semitischen Nationalgeistes ist, aber trotz der lächerlichen Figur die es spielt, von einem Schimmer altjüdischen Geistes- und Gemütsadels verklärt wird, so ist jener ein komisches Sprachgemengsel, dem jedoch etwas Anheimelndes – man könnte fast "Rührendes" sagen – nicht abgesprochen werden kann. Der Jargon ist die Dekoration zu der Tragikomödie, welche "Judentum des Exiles" heisst. Und in dieser richtigen Erkenntnis des Wesens des Jargons muss ebenso der zielbewusste Assimilant, dem sein Streben als ein Ringen nach Erlösung erscheint, als der zielbewusste Nationaljude, der für die wahre Erlösung seines Volkes eintritt, das Erfordernis der V e r d r ä n g u n g d e s J a r g o n s aufstellen. Beide wollen ja aus dem Ghetto heraus, und so müssen sie auch beide die Sprache des Ghetto verlernen wollen. S p r a c h e d e s G h e t t o ! - Diese drei Worte charakterisieren am besten das Judendeutsch ... Dem Jargon fehlt jeder einheitliche Charakter als Sprache ... Dieses Sprachgemisch ist nicht geeignet, Sprache eines Kulturvolkes zu werden ... Ein Nationaljude, der sich den Jargon als den Ersatz des Hebräischen denkt, i s t e i g e n t l i c h k e i n N a t i o n a l j u d e , denn ihm mangelt das Alpha und Omega nationaljüdischer Gesinnung, und das ist die Erkenntnis von der Notwendigkeit der sittlichen Wiedergeburt Israels, welche gewiss nicht unter der Herrschaft des Jargons, dieses heisern Ghettokindes, vor sich gehen kann ... Pflicht des wahren Nationaljuden ist, dafür zu sorgen, dass der Jargon durch das hebräische Idiom verdrängt werde"
  • 10.11.1890–29.4.1958: Alfred Salmony, geb. in Köln, gest. an Bord der "Ile de France", Kunsthistoriker mit Schwerpunkt Ostasien, war Prof. für chinesische Kunst am Institute of Fine Arts der New York University; zuvor: in Köln Kustos am Museum für ostasiatische Kunst 1920-1933, emigrierte 1933 nach Frankreich, 1934 in die USA als Dozent, 1938 in Seattle; Hauptwerk: "Chinesische Landschaftsmalerei", 1921
  • 15.11.1890–24.10.1962: Rose Walter, geb. in Berlin, gest. in New York, Sängerin, Sopran in Konzerten und Oratorien, 1934-1940 nach London emigriert, danach Pädagogin in New York an der Henry Street Settlement School of Music; sie war seit 1916 verheiratet mit dem Architekten Dr. Paul Zucker
  • 23.11.1890–30.12.1941: El Lissitzky (eigentlich: Eliezer; der Nachname erscheint in verschiedenen Schreibungen, z. B. auch Lissitzkij), geb. Potschinoc, kleines jüdisches Dorf bei Smolensk, gest. in Moskau; Maler, Grafikdesigner, Architekt, Typograf und Fotograf, einer der wichtigsten Vertreter der russischen Avantgarde, zunächst Maler, begann unter dem Einfluss von K. Malewitsch und der Konstruktivisten die Gemäldefolge der "Prouns", für die die Durchdringung zwei- und dreidimensionaler Formen, die kennzeichnend für sein gesamtes Werk blieb, charakteristisch ist und eine Verbindung von Architektur und Malerei bilden; schrieb mit Hans Arp "Die Kunstismen" 1925; seit 1926 beschäftigte er sich intensiv mit dem Thema Inneneinrichtungen und Typografie von Ausstellungen
  • 2.12.1890–25.5.1954: Hans Janowitz, geb. in Podĕbrady, Böhmen, gest. in New York, deutsch-jüdischer Autor; er war Offizier im Ersten Weltkrieg, kehrte jedoch als überzeugter Pazifist zurück; kurz nach Kriegsende traf er den gleichgesinnten Carl Mayer in Berlin und erhielt von diesem den Anstoss, als Autor tätig zu werden; gemeinsam schrieben sie das Drehbuch zu „Das Cabinet des Dr. Caligari“, das 1919/1920 unter der Regie von Robert Wiene verfilmt wurde; der Film ist eines der herausragenden Werke des deutschen Filmexpressionismus, ein Meilenstein der Filmgeschichte; Janowitz arbeitete danach noch für zwei Filme Friedrich Wilhelm Murnaus („Der Januskopf“, 1920; „Marizza, genannt die Schmugglermadonna“, 1922); 1922 beendete er seine Arbeit für den Film bereits und wurde im Ölgeschäft und in der Parfümeriebranche tätig; sein einziger Roman „Jazz“ ist eine Hommage an die 20er-Jahre; Hans Janowitz war der Bruder des Schriftstellers Franz Janowitz (1892-1917, im Krieg gefallen)
  • 5.12.1890–2.8.1976: Fritz Lang (eigentlich Friedrich Christian Anton Lang), geb. in Wien (als Sohn des Architekten Anton Lang und dessen Frau Paula, geborene Schlesinger), gest. in Beverly Hills, Kalifornien, österreichisch-deutsch-US-amerikanischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Schauspieler (als Österreicher geboren, erwarb Lang 1922 nach seiner Heirat mit Thea von Harbou [die für ihn bis 1933 die Drehbücher schrieb, sich allmählich dem Nationalsozialismus näherte und 1940 Mitglied der NSDAP wurde] die deutsche Staatsbürgerschaft und nahm 1939 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an); seine Filme sind absolute Meilensteine der Filmgeschichte, er schuf die ersten expressionistischen und Monumentalfilme; eine kleine Auswahl seiner Filme: „Halbblut“, 1919 (Filmdebüt); „Dr. Mabuse, der Spieler“, 1922; „Die Nibelungen“, 1924; Metropolis, 1927 (Science-Fiction-Klassiker, der durch die ausufernden Kosten die Universum Film AG an den Rand des Ruins brachte); M - Eine Stadt sucht einen Mörder, 1931 (eine Kriminalgeschichte um einen Kindermörder; Langs erster Tonfilm); „Fury“, 1936 (sein erster US-Film); „Du lebst nur einmal“, 1937; „Der Tiger von Eschnapur“, 1959 (produziert von Artur Brauner); „Das Indische Grabmal“, 1959 (produziert von Artur Brauner); „Die tausend Augen des Dr. Mabuse“, 1960 (auch produziert von Artur Brauner); die Zusammenarbeit mit Brauner missfiel Lang, die Filme waren auch kommerziell nicht besonders erfolgreich; Lang kehrte enttäuscht in die USA zurück; 1964 kam es zu einer Zusammenarbeit mit Jean-Luc Godard („Le mépris“); 1976 starb Lang fast völlig erblindet in Beverly Hills, Kalifornien
  • 21.12.1890–5.4.1967: Hermann Joseph Muller, geb. in Manhattan, NY, gest. in Indianapolis, US-amerikanischer Genetiker; 1945 Professor für Zoologie an der Indiana University Bloomington; Chromosomenforscher, erzeugte bei Taufliegen durch Röntgenbestrahlung künstliche Mutationen; erhielt 1946 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin; er war überzeugter Kommunist
  • 1890/1891: Rosa Luxemburg immatrikuliert sich an der philosophischen Fakultät der Zürcher Universität.
  • 1890–1917: Sarah Aaronsohn (Sara Aaronson), Heldin der Geheimorganisation NILI (vgl. auch bei Aaron Aaronsohn / Jahresartikel 1876), Schwester von Aaron Aaronsohn, geb. in Zichron Ja’akow, unglückliche Ehe in Konstantinopel, 1915 Rückkehr zu ihrer Familie nach Palästina; auf der Reise kam sie durch Anatolien und Syrien und wurde Augenzeugin der türkischen Massaker an den Armeniern; sie begann die Spionagetätigkeit für die NILI-Organisation, die die Briten mit Informationen gegen die Türken versorgte; den Türken gelang es nach geraumer Zeit, das Spionagenetzwerk aufzudecken, Sarah Aaronsohn wurde am 1.10.1917 in ihrem Haus in Zichron Ja’akow verhaftet und tagelang gefoltert, verriet aber keine Geheimnisse; schliesslich machte sie ihren Qualen ein Ende, indem sie sich erschoss; 1991 brachte der Staat Israel ihr zu Ehren eine Briefmarke heraus
  • 1890–1917: Odessaer Komitee, abgekürzt O. C., war leitende Organisation der Chibbat Zion 1890-1917, bedeutsam für die Geschichte und Besiedlung Palästinas
  • 1890–1931: Rachel (Rachel Bluwstein), Dichterin - "Einen Krug Wasser in meiner Hand; auf meiner Schulter / Einen Rechen, einen Korb und einen Spaten, Ich gehe zu den fernen Feldern - und arbeite schwer." - Rachel wurde 1890 in der Stadt Saratow an der Wolga geboren. Die Familie übersiedelte später nach Poltawa, das näher zu den grossen Zentren russisch-jüdischen Lebens - Kiew, Odessa und Berditschew - lag. Sie lernte in der hebräischen Grundschule, deren Direktor der Vater Ber Borochows war, und danach in einem russischen Gymnasium. Rachel schrieb ihre ersten frühen Gedichte in ihrer Muttersprache russisch. Sie besuchte in Kiew eine Kunstschule und entschloss sich, nach Palästina zu gehen, um an der Bezalel Kunstakademie zu studieren. Sie liess sich mit ihrer Schwester in Rechovot nieder, wo sie Orangen pflückte und Hebräisch lernte. Rachel übersiedelte nach Kinneret, wo sie sich in einer Landwirtschaftsschule einschrieb. 1913 ging Rachel nach Frankreich, danach wieder nach Russland, da es durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges unmöglich geworden war, nach Palästina zurückzukehren. In Poltawa unterrichtete sie Flüchtlingskinder aus Litauen. 1919 kehrte sie nach Palästina zurück und wurde Mitglied von Degania, dem ersten Kibbutz, wo A. D. Gordon lebte, durch dessen Philosophie sie bereits in Kinneret stark beeinflusst worden war. In Degania erkrankte sie an Tuberkulose. Sie starb im Alter von 40 Jahren in Tel Aviv und wurde in ihrem geliebten Kinneret begraben. Rachel war die erste Dichterin des modernen Eretz Israel. Sie schrieb im modernen Hebräisch der sephardischen Aussprache. Sie war eine Pionierin, die nicht nur ihre eigenen Erfahrungen beschrieb, sondern jene einer ganzen Generation, die in das Land ihrer Väter heimkehrte. Sie fühlte die Einsamkeit dieser Menschen und ihre tiefe Sehnsucht. Um ihre Liebe zu ihrem Land auszudrücken, sprach sie in einfachen Worten: "Ich habe dich nicht besungen, mein Land / Und ich habe deinen Namen nicht gepriesen... / Meine Hände pflanzten nur einen Baum / An den Wassern des Jordan, / Meine Füsse traten nur einen Pfad / in die Oberfläche deiner Felder... / Nur ein Freudenschrei / Wenn das Licht des Tages kommt, / Nur Weinen im Geheimen / Über deine Trübsal.“ - Als Rachel erkannte, dass sie von ihrer Krankheit nicht genesen würde und ihr ein früher Tod beschieden war, porträtierte sie in ihrer Dichtung Leiden, Enttäuschung und Verzweiflung. Als der Tod näher kam, drückte sie ihre Einsamkeit und Angst aus, aber auch Mut und Hoffnung: "...Ein Mann erwacht aus dem Schlaf / Und sieht: Vor seinem Fenster / Blüht ein Birnbaum. / Plötzlich zerbröckelt der Berg von Traurigkeit / Der auf sein Herz drückt / in nichts und verschwindet.“
  • 1890–11.3.1937: Alexander Granowsky (Alexis Granowsky/Granowski, russisch: Алексей Михайлович Грановский), geb. in Moskau, gest. in Paris, russisch-jüdischer Theater- und Filmregisseur; geboren als Abraham Ozark in eine grossbürgerlich-jüdische Familie; 1911 Theaterschule in St. Petersburg, gefolgt von einem zweijährigen Studium der dramatischen Künste an der Münchner Theaterakademie; in München Zusammenarbeit mit Max Reinhardt, der ihn stark prägte; 1914 Regiedebüt an einem Theater in Riga, diverse Stationen an russischen Bühnen; nach abgeleistetem Wehrdienst ging Granowski 1917 nach Schweden, wo er ein Filmstudium (Fachbereich Regie) aufnahm; zwei Jahre später gründete Granowski in St. Petersburg das Jüdische Theaterstudio, verlegte es 1920 als Jüdisches Kammertheater nach Moskau, wo er fortan als Regisseur und künstlerischer Leiter wirkte; an seiner Spielstätte, an der Stücke in jiddischer Sprache aufgeführt wurden, spielten vornehmlich junge, talentierte Darsteller, wie der renommierte jüdische Schauspieler Solomon Michoels; 1925 firmierte sein Theater zum Jüdischen Akademischen Theater „GOSET“, bei deren Inszenierungen er als Regisseur auftrat; im selben Jahr realisierte er seinen ersten Film, die Komödie „Jüdisches Glück“ mit Solomon Michoels in der Hauptrolle; von einer Gastspielreise 1928/1929 nach Deutschland kehrte Granowski nicht mehr in die Sowjetunion zurück und arbeitete stattdessen an einigen Revuen für das von Max Reinhardt geleitete Deutsche Theater in Berlin; in Deutschland drehte er 1931 zwei frühe Tonfilme, die mit den Möglichkeiten des neuen Mediums experimentierten („Das Lied vom Leben“ und „Die Koffer des Herrn O. F.“), anlehnend an die Idee des „Absoluten Films“ wurden sie wegen ihrer künstlerischen Masslosigkeit und symbolischen Übertreibungen mit Vorbehalt aufgenommen; danach ging Granowski nach Frankreich, wo unter seiner Regie unter anderem 1935 „Taras Bulbas“ entstand
  • 1890–1950: Kurt Robitschek, geb. in Prag, gest. in New York, Theater-Direktor, war in Berlin in den Zwanziger Jahren ein populärer Ansager, Mitgründer des Kabaretts der Komiker und schrieb Buch- und Schallplattenkritiken; 1933 emigrierte er über Prag, Wien, Paris und London in die USA, wo er unter dem Namen Ken Robey grosse Tourneen arrangierte
  • 1890–21.8.1952: Jitzchak Sadeh (Landoberg) / Yitzhak Sadeh, Gründer der Palmach. Sadeh wurde in Lublin, Polen, geboren und startete seine militärische Karriere im Ersten Weltkrieg in der russischen Armee. Er wurde für seine Tapferkeit ausgezeichnet und zum Bataillonskommandanten ernannt. Nachdem ihn die Nachricht vom Tod Joseph Trumpeldors, den er drei Jahre früher kennengelernt hatte, erreichte, wanderte er 1920 in Eretz Israel ein. In Palästina gründete und leitete er das „Trumpeldor Arbeitsbataillon" (Gedud haAwodah). Beim Ausbruch des arabischen Aufstandes von 1936 trat Sadeh in die Haganah ein. Er entwickelte einen Verteidigungsplan für die Siedlungen, indem er plündernde arabische Banden angriff und nicht hinter dem Stacheldraht der Siedlungen auf ihren Überfall wartete. Die Haganah bildete von Sadeh kommandierte Feldeinheiten, um seine Strategie auszuführen. Im Frühjahr 1941 wurde die Palmach, die Stosstruppe der Haganah, gegründet, da Palästina Vorkehrungen für eine drohende deutsche Invasion treffen wollte. Die Palmachtruppen wurden zuerst von den Briten ausgebildet und von ihnen für Sabotagemissionen und zum Aufbau eines Untergrundnetzwerkes für den Fall eines deutschen Angriffs eingesetzt. Die ersten sechs Einheiten wurden im Sommer 1941 rekrutiert. Einige von ihnen nahmen am Einmarsch in Syrien und in den Libanon teil. Der erste Kommandant des Palmach war Jitzchak Sadeh. 1945 wurde er zum Generalstabschef der Haganah befördert und koordinierte den Widerstand gegen die Briten. Im Unabhängigkeitskrieg nahm er an zahlreichen Unternehmen teil, darunter die Schlacht um Jerusalem. Am Ende des Unabhängigkeitskrieges trat er in den Ruhestand. Sadeh übte einen grossen Einfluss auf die Ausbildung, die Taktik und die Strategie der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte aus. Er schrieb aber auch Artikel, Kurzgeschichten, Theaterstücke und Erinnerungen. Sadeh starb in Tel Aviv und wurde im Kibbutz Givat Brenner bestattet.
  • 1890–1960: Egmont van Zuylen van Nyevelt (Rothschild-Familie)
  • 1890–1962: Anita Müller-Cohen, geb. in Wien, gest. in Tel Aviv, Sozialarbeiterin, organisierte im ersten Weltkrieg wesentliche Teile der sozialen Fürsorge in Wien (Wöchnerinnen-, Kinder-, Mittelstands-, Gefährdetenhilfe), später in der Bukowina und in Galizien das jüdische Hilfswerk; danach sorgte sie für unterernährte Kinder in Europa, engagierte sich für die Adoption russischer Pogromopfer und Erholungsreisen für 12 000 Kinder; 1919 in den Wiener Gemeinderat gewählt, schuf sie 1926 ein Jüdisches Zentrum mit Rechtsberatung und Jugendclubs; 1936 ging sie nach Palästina; sie schrieb u. a.: "10 Jahre Arbeit" (1924)
  • 1890–1963: David Baumgardt, geb. in Erfurt, gest. in New York, romantischer Philosoph; 1924-1932 Prof. an der Universität Berlin, dann in Madrid, 1935 in Birmingham/England, seit 1939 in den USA an der Library of Congress in Washington und an der Columbia University New York; Hauptwerke: Spinoza und Mendelssohn, 1932; Bentham and the ethics of today, 1952; Maimonides, 1955; Great western mystics, 1961
  • 1890–1969: Jecheskel Sarne
  • 1890–1981: Richard Honig (Richard Martin Honig), geb. in Gnesen/Posen, gest. in Göttingen, Strafrechtler, war seit 1920 Prof. in Göttingen, emigrierte 1933 nach Istanbul, schrieb dort türkische Einführungen in die Rechtswissenschaft und in die Rechtsphilosophie (beide 1934 f.); 1939 ging er nach Amerika; nach seiner Emeritierung in den USA 1963 kam er regelmässig zu Lehr- und Forschungsaufenthalten nach Deutschland; weitere Werke: Die Einwilligung des Verletzten, 1919; Studien zur juristischen und natürlichen Handlungseinheit, 1925; Die straflose Vortat und Nachtat, 1927; Römisches Recht, 1936; Kirchenrecht, 1954; Wiederaufnahme im amerikanischen Strafverfahren, 1969; Schwurgericht, 1974

Bücher etc.

  • 1890: Juristischer Verlag Otto Liebmann; medizinischer Verlag S. Karger, Berlin (Samuel Karger)
  • Joseph Samuel Bloch, Acten und Gutachten in dem Prozesse Rohling contra Bloch, 1890
  • Friedrich Engels, Über den Antisemitismus, 1890
  • Theodor Hertzka, Freiland: Ein soziales Zukunftsbild, Leipzig 1890
  • A. Loisy, Histoire du canon de l'Ancien Testament, Paris 1890
  • Siegmund Maybaum, Jüdische Homiletik nebst einer Auswahl von Texten und Themen, Berlin 1890
  • David Lieben, Die Eröffnung des neuen zweiten Israel. Wolschaner Friedhofes, Prag 1890
  • Moses Braunschweiger, Die Lehrer der Mischnah. Ihr Leben und Wirken für Schule und Haus nach den Quellen bearbeitet, Frankfurt am Main, Kauffmann 1890
  • A. Schwarz, Tosifta juxta Mischnarum Ordinem recomposita et Commentario instructa, I. Wilna 1890 (II. Frankfurt/M. 1902)
  • J. Hildesheimer (Hrsg.), Halachoth Gedoloth nach dem Texte der Handschrift der Vaticana, Berlin 1890
  • M. Klotz, Der talmudische Tractat Ebel Rabbati, Berlin 1890
  • Reinhold Röhricht, Bibliotheca Geographica Palästinae, Berlin 1890
  • Karte von Palästina, bearbeitet von Fischer und Guthe, Leipzig 1890
  • Bibl. topogr. Karte aus Palästina bearb. von Leuzinger und Furrer, Leipzig 1890
  • Conrad v. Orelli, Durch's heilige Land (Tagebuchblätter), 4. Aufl., Basel 1890
  • Guy le Strange, Palestine under the moslems, London 1890

Zeitungen und Zeitschriften

  • 1890: Central-Anzeiger für Jüdische Litteratur. Blätter für neuere und ältere Litteratur des Judentums; Herausgeber: Nehemias Brüll; erschien zwischen Januar 1890 und Dezember 1890 in Frankfurt a. M.; der "Central-Anzeiger", herausgegeben von dem Frankfurter Reformrabbiner Nehemias Brüll (1843-1891), sollte als Nachfolgeorgan die Aufgaben der renommierten Zeitschrift für "Hebräische Bibliographie" des jüdischen Gelehrten Moritz Steinschneider (1816-1907) übernehmen; in Form eines "fortwährenden Wegweisers auf dem Gebiete der jüdischen Litteratur" sah das Blatt seine "Hauptaufgabe in der wissenschaftlichen Registrierung der sämmtlichen ihr angehörigen neu erscheinenden Schriften"; der "Central-Anzeiger" sollte als "Verzeichnis der jüdischen und hebräischen Litteratur" dienen und alle Schriften, "die das Judentum und seine Wissenschaft betreffen", kritisch kommentieren; darüber hinaus wurden Anzeigen von Bücherkatalogen und Mitteilungen über Buchhandel und Bücherwesen berücksichtigt und kleinere "Litterarhistorische Abhandlungen und Miscellen" veröffentlicht; aufgrund des frühen Todes des Herausgebers musste die Zeitschrift ihr Erscheinen bereits zum Jahresende 1890 wieder einstellen
  • Um 1890: In Johannesburg beginnt der Jewish Star sein Erscheinen (Wochenschrift, englisch)
  • Seit 1890: Jüdische Volkszeitung, in Berlin wöchentlich in deutscher Sprache von Birnbaum hrsg. nationaljüdisches Blatt
  • Seit 1890: El Telegrafo, in Konstantinopel 3 x wöchentlich in Spaniolisch erscheinende (parteilose) Zeitschrift
  • Seit 1890: Egalitatea, in Bukarest wöchentlich in rumänischer Sprache erscheinende zionistische Zeitschrift (bis 1940)
  • Seit 1890: Al Chakik, in Alexandria erscheinendes jüdisches Blatt in arabischer Sprache
  • Seit 1890: Al Talerif, in Tunis in arabischer Sprache erscheinende jüdische Tageszeitung
  • Seit 1890: Der Schneider-Verband, in New York herausgegebenes Berufsorgan in jiddischer Sprache
  • 1890–1891: Monatsblätter für Vergangenheit und Gegenwart des Judentums, in Berlin monatlich in deutscher Sprache erscheinende wissenschaftliche Zeitschrift
  • 1890–1891: Der Unparteiische Beobachter, in Wien halbmonatlich in deutscher Sprache erscheinende Zeitschrift
  • 1890–1893: Jagdil tora, in Berlin zweiwöchentlich in Hebräisch erscheinendes orthodoxes Blatt
  • 1890–1897: Przyszłość, in Lemberg/Galizien wöchentlich in polnischer Sprache erscheinendes chowewe-zionistisches Blatt
  • 1890–1899: Der Telegraph, in New York erscheinende jiddische Wochenzeitschrift
  • 1890–1902: Arbeiter-Zeitung, in New York erscheinendes jiddisches Blatt sozialistischer Ausrichtung

1890 in Wikipedia


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